Kündigungsgespräch: Mit diesem Avatar können Manager Entlassungen trainieren

Jede zweite Führungskraft ist bei Entlassungen überfordert. Ein amerikanisches Start-up verspricht Hilfe.

Michael Scheppe und Alexander Demling | 19.11.2021
Er wurde vom US-Start-up Talespin programmiert, um Manager auf Personalgespräche vorzubereiten.

Entlassungs-Dummy Barry I Er wurde vom US-Start-up Talespin programmiert, um Manager auf Personalgespräche vorzubereiten.

Als Barry im Eckbüro des Chefs Platz nimmt, ist er noch entspannt. „Du hast eine neue Frisur, oder?“, fragt der grauhaarige Mann mit den großen Lachfalten. Barrys Gegenüber nimmt sich keine Zeit, die Höflichkeiten zu erwidern: „Ich habe schlechte Nachrichten.“

Barry verschränkt die Arme. „Das klingt jetzt aber offiziell“, meint der Mittfünfziger. Sein Chef sagt: „Deine Einstellung lässt mir keine andere Wahl als dich zu entlassen.“ Er sei respektlos zu den Kollegen gewesen.

Barry ist kein Mensch, sondern ein Avatar in einer Virtuellen Realität. Er wurde vom US-Start-up Talespin programmiert, um Manager auf Personalgespräche vorzubereiten. Ein Entlassungs-Dummy sozusagen, sprachbegabt und leidensfähig. Mit einer VR-Brille auf der Nase, werden die Nutzer in ein fiktives Büro gesetzt, in dem sie Barry sprechen können.

Der funktioniert wie ein Computerspiel. Die Nutzer hat bei jedem Schritt drei Antwortmöglichkeiten. Das mag unrealistisch klingen, für Talespin-Gründer Kyle Jackson ist das aber ein Vorteil: „Für Einsteiger ist es wichtig, Routinen zu entwickeln.“ Wer noch nie ein konfliktgeladenes Personalgespräch geführt habe, halte sich besser an vorgefertigte Antworten.

Jeder sechste Angestellte sorgt sich in der Coronakrise um seinen Job

Gespräche wie mit Barry werden Manager demnächst häufiger führen müssen – nur das kein Avatar, sondern ein echter Mitarbeiter vor ihnen sitzen wird. Die aktuellen Entlassungen zeugen davon, dass nach der Kurzarbeit vielerorts der Rauswurf folgt: Bei der Lufthansa müssen 26.000 Mitarbeiter bangen, Airbus will 15.000 Stellen abbauen, bei der Commerzbank stehen 10.000 Stellen auf der Kippe.

Dass sich solche Meldungen häufen werden, befürchten immer mehr Angestellte: Jeder Sechste sorgt sich laut Corona-Studie der Universität Mannheim um seinen Job.

Kündigungen sind nicht nur für diejenigen schmerzhaft, die die Firma verlassen müssen, auch Manager leiden darunter. „Für Führungskräfte ist das Trennungsgespräch eines der schwierigsten Situationen überhaupt“, sagt Bernd Fricke, Experte für Trennungsmanagement und Direktor von Kienbaum.

Schon 2016 ergab eine Umfrage des Beratungshauses, dass zwei Drittel der Firmen ihre Manager nicht auf die Durchführung von Trennungen vorbereiten. Das Bewusstsein dafür sei zwar größer geworden, sagt Fricke, doch in etwa jeder zweiten Firma seien Führungskräfte bei Trennungsgesprächen noch immer überfordert. „Das Thema wird von Unternehmen gerne verdrängt, weil es so unangenehm ist.“

Unangenehm kann auch Barry werden – je nachdem welche Antwortmöglichkeiten die Nutzer auswählen. Wählt man die falschen Formulierungen, fängt er an zu weinen oder wird gar aggressiv.

Das Start-up Talespin aus der Nähe von Los Angeles ist in der Pandemie sehr beschäftigt. Von europäischen Firmen habe Jackson zuletzt sogar ein größeres Interesse bemerkt als von amerikanischen. Ein Innovations-Lab von BMW etwa habe Talespins Plattform kürzlich erst getestet.

Kündigung per VR-Brille

Talespin bietet zwar kein dezidiertes Kündigungstraining an, sondern trainiert vor allem Personalgespräche mit diskussionsfreudigen oder zerstrittenen Mitarbeitern. Da persönliche Treffen im von der Pandemie stark getroffenen Amerika nicht möglich sind, versendet Talespin seine VR-Brillen direkt an Manager, die damit zu Hause üben können.

Vorteil: Man könne sich ganz auf sich selbst konzentrieren, erzählt Gründer Jackson. So sei die Simulation „ein sicherer Ort, an dem man Fehler machen kann“. Und besser sie passieren bei Barry als beim nächsten realen Gespräch. „Schließlich ist einen Mitarbeiter zu feuern eine besonders schlimme Erfahrung“, sagt Jackson – „und zwar für alle Beteiligten“.

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