Durchsetzungsfähigkeit

Als Einzelkämpfer, an der Spitze eines Teams oder aber in der Unternehmensleitung – ohne Eigeninitiative und Durchsetzungsvermögen schafft Mann oder Frau es nicht.

Marie Luise Müller | 13.09.2022
Durchsetzungsfähigkeit im Job Karriere

Bei der Aufzählung von Attributen, die die Persönlichkeit und das Managementverhalten einer Führungskraft umschreiben, nehmen Begriffe wie Durchsetzungsstärke, Durchsetzungsvermögen, Durchsetzungsfähigkeit neben Ausbildung und nachgewiesener fachlicher Qualifikation fast immer eine wesentliche Rolle ein. Als Einzelkämpfer, an der Spitze eines Teams oder aber in der Unternehmensleitung – ohne Eigeninitiative und Durchsetzungsvermögen schafft Mann oder Frau es nicht.

Durchsetzungsvermögen, das Wort signalisiert in den Köpfen von Entscheidungsträgern Entschlossenheit, Nachdrücklichkeit und Ausdauer. Und das sind Eigenschaften, die nach geltender Meinung unerlässlich sind, denn sie garantieren vermeintlich immer persönlichen oder geschäftlichen Erfolg.

Durchsetzungsvermögen, das heißt für viele Menschen frei von Selbstzweifeln zu sein und über ein unerschütterliches Selbstvertrauen zu verfügen. Derart ausgestattet – so vermitteln diese Macher – können Ziele geradlinig verfolgt werden. Wer weiterkommen will, muss seine Stärken zeigen und sie verkaufen können. Unsicherheit kennt der Durchsetzungsstarke nicht; das drückt sich in Gestik, Mimik und Körperhaltung aus, und es wird besonders deutlich im sprachlichen Umgang. Wünsche werden klar, sachlich, schnell, präzise formuliert.

Durchsetzungsvermögen, das heißt auch, nicht nur Forderungen zu stellen, sondern wo immer nötig Kompromissbereitschaft zu zeigen. Kompromisse sind nicht ehrenrührig, wenn sie einer gemeinsamen Sache dienen.

Und Durchsetzungsvermögen heißt nach landl??ufiger Meinung, möglichst keine Empfindlichkeiten zu zeigen und nur minimale Angriffsflächen zu bieten. Auch in den hitzigsten und kontroversesten Diskussionen wird der Durchsetzungsstarke bewusst versuchen, nur die Sache zu sehen, für diese einzutreten und sich mit Überzeugung dafür einzusetzen.

Durchsetzungsvermögen bedeutet daneben auch die Fähigkeit, mit Konflikten und Kritik konstruktiv umzugehen. Gerade Frauen gelten oft als konfliktscheu; ihnen wird keine eigene überzeugende Meinung zugetraut. In der Bewertung wird dies häufig als mangelndes Durchsetzungsvermögen registriert.

Dabei ist das nicht selten ein Trugschluss, denn ihre Art der Durchsetzung ist oft die sprichwörtlich „leise“, Frauen stellen sich rasch auf die gegebene Situation ein und sind – verblüffend für Viele – damit sehr wirkungsvoll. Die über Jahrhunderte praktizierte Rollenverteilung hat Durchsetzungsvermögen geschlechtsspezifisch zugeordnet. Und das bedeutete automatisch, dass in den Köpfen der meist männlichen Entscheidungsträger Durchsetzungsvermögen nur von den eigenen Geschlechtsgenossen im täglichen Leben praktiziert und deutlich gemacht wurde.

Bedauerlicherweise wurde im Zuge dieser Haltung Rücksichtslosigkeit häufig mit Durchsetzungsvermögen gleichgesetzt. Widerstände wurden übersehen, nicht akzeptiert und schon gar nicht auf Stimmigkeit geprüft. Inzwischen scheint sich jedoch in vielen Köpfen die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass man sich nur an Widerständen reiben kann und diese ein Teil einer positiven persönlichen Entwicklung sein können.

Durchsetzungsvermögen heißt also überzeugen können, nicht überreden oder überstimmen. Überzeugen in der Sache, aber auch als Persönlichkeit in einer Vorbildfunktion. Denn Durchsetzungsvermögen ist eine klassische Führungstugend in einem nahezu gleichwertigen Team. Das bedeutet ein gutes Gespür für Situationen, die klare Einschätzung des Teams und die Fähigkeit, die Talente von Mitarbeitern und Kollegen zu erkennen und zu fördern. Aber auch das Erkennen eigener Grenzen. Denn auch wenn Durchsetzungsvermögen es mit sich bringt, selbstbewusst mit der eigenen Leistung umzugehen, sollte der eigene Egoismus nicht ohne jegliche Rücksichtnahme ausgelebt werden. Der Balanceakt, Leistung zu erbringen und die Leistungen anderer nicht nur zu erkennen, sondern auch anzuerkennen und zur Erreichung der verabschiedeten Ziele zu nutzen, muss Teil einer strategischen Ausrichtung sein und bedeutet wirkliches durchsetzungsstarkes Verhalten.

Durchsetzungsvermögen ist letztlich kein Persönlichkeitsmerkmal, das allen Menschen gleichermaßen mitgegeben wurde. Aber eine Eigenschaft, die durchaus in kleinen Schritten erlernbar ist. Auf dem persönlichen Karriereweg nach oben sollten jeweils überschaubare Ziele für bestimmte Zeiträume angestrebt und konsequent verfolgt werden. Gleichzeitig muss immer kritisch hinterfragt werden, wie habe ich diese Ziele erreicht? War ich in der Lage, neben meiner Sachkenntnis und meiner Position persönlich zu überzeugen und mich durchzusetzen? Habe ich im Sinne der Sache agiert oder meinen Egoismus gepflegt und ausgelebt? Hinterlasse ich den Eindruck des ewig Besserwissenden, der seine Macht auf Gedeih und Verderb ausspielt oder aber können sich Vorgesetzte und Mitarbeiter auf mich verlassen? Wissen sie, dass meine Motivation in der Leistung und Anerkennung des gesamten Teams liegt? Hoffentlich, denn das motiviert Mitarbeiter; die positive Resonanz und der Einsatz – auch bei überdurchschnittlichen Anforderungen bis an die persönlichen Belastungsgrenzen jedes Einzelnen – ist dann fast sicher. Und damit ist auch der Weg frei für neue Herausforderungen.

Motivation, Leistungswille und -bereitschaft werden gefördert und das Verantwortungsgefühl aller Beteiligten wächst mit den Anforderungen. Plötzlich scheint Durchsetzungsvermögen möglich und bleibt nicht nur einigen wenigen vorbehalten.