Härteprüfung zum Steuerberater

Sie kennen sich aus im Dschungel der Steuergesetze. Dort wo andere die Hände über dem Kopf zusammen schlagen, bewahren sie den Überblick. Doch die Ausbildung ist hart. Die Durchfallquoten im Steuerberaterexamen sind legendär. Junge Karriere berichtet, warum sich der Stress noch immer lohnt und wie die Hürde zu nehmen ist.

Katja Wilke | 11.09.2018

Jedes Jahr der gleiche K(r)ampf. 8 000 Kaufleute, Ökonomen und Juristen müssen sich in den kommenden Wochen entscheiden, ob sie an einer der härtesten Prüfungen teilnehmen, die die Republik zu bieten hat. Die Rede ist nicht vom Ironman in Frankfurt, sondern von einem Triathlon in den Disziplinen Recht, Wirtschaft und vor allem Steuern: Bis Ende Mai läuft die Anmeldefrist zum Steuerberaterexamen.

Katja Immes hat ihren persönlichen Steuronman im vergangenen Jahr hinter sich gebracht. In einem dreimonatigen Intensivkurs quälte sich die 33-Jährige erst quer durch die Fachgebiete und dann, vollgepumpt mit Wissen über alle Kuriositäten des deutschen Steuerrechts, durch drei sechsstündige Klausuren und die mündliche Abschlussprüfung. Für die Mönchengladbacherin ein Leben im Ausnahmezustand: „Einerseits das Lernen und daneben immer der Druck, bestehen zu müssen.“ Für die Juristin hat sich der Stress gelohnt: Sie schaffte den Steuer-Triathlon gleich im ersten Anlauf.

Künstliche Schranken
So viel Erfolg haben nur wenige. Wie jedes Jahr wird auch 2006 wieder rund die Hälfte der Examenskandidaten durchfallen (siehe Grafik). „1 000 gehen rein, 800 geben ab, 600 werden zur mündlichen Prüfung zugelassen, und davon fallen noch einmal 100 durch“, rechnet Jürgen Pinne, Präsident des Deutschen Steuerberaterverbandes, vor. Die Steuerberaterkammern, die zusammen mit den Finanzverwaltungen der Länder die schriftliche Prüfung organisieren, verteidigen die Durchfallquote mit ihrem hohen Qualitätsanspruch: Der Steuerberater habe einen verantwortungsvollen Job, alle Aspiranten müssten deshalb auf Herz und Nieren geprüft werden.

Jürgen Pinne überzeugt diese Argumentation wenig. Für ihn stellt die hohe Durchfallquote eine „künstliche Zugangsschranke“ dar. Der Verbandschef kritisiert, dass der Berufsstand nicht an der schriftlichen Prüfung beteiligt ist – und diese somit völlig praxisfern sei. „Da tauchen Sachverhalte auf, die ich in 35 Jahren Berufspraxis noch nicht erlebt habe“, sagt der praktizierende Steuerberater Pinne. „Wer bei seinen Lösungen den Richtlinien der Finanzverwaltung folgt, hat gute Karten. Bearbeitungen, die einen anderen Weg einschlagen, werden als falsch bewertet.“

Drei Monate Büffeln reicht nicht
Welch „exotische Sachen da abgefragt werden“, hat Ina Könnes am eigenen Leib erfahren. Die Betriebswirtin hatte im vergangenen Jahr einen dreimonatigen Kurs bei einem Repetitor absolviert. „Die Vorbereitung war zu knapp“, weiß die 32-Jährige heute. Wegen der mauen Ergebnisse in der schriftlichen Prüfung wurde sie gar nicht erst zum mündlichen Examen zugelassen. Weil es nur einen Termin pro Jahr gibt, musste sie für ein volles Jahr in die Warteschleife.

Die Mehrzahl der Prüflinge hat das Gefühl, einer kaum zu bewältigenden Stoffmenge gegenüberzustehen. Die Klausuren sind in der Regel derart umfangreich und mit Problemfällen überladen, dass man nur mit hundertprozentiger Vorbereitung über Monate hinweg bestehen kann. 20 Prozent streichen noch vor Abgabe der letzten Klausur entmutigt die Segel. 

Hilfe in der heißen Phase
Wer bereits bei einem großen Beratungsunternehmen arbeitet, hat meist bessere Karten. Große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wie die „Big Four“ PricewaterhouseCoopers, Ernst & Young, KPMG und Deloitte Touche Tohmatsu bieten ihrem Nachwuchs interne Schulungen und flexible Arbeitszeitgestaltung in der „heißen Phase“ des Steuerberaterexamens an. Schließlich sollen die massenhaft eingestellten Absolventen nach Jahren hoch spezialisierter Arbeit an großen Transaktionen nicht völlig unvorbereitet in die breit angelegte Prüfung gehen.

„Wer sich auf das Examen vorbereitet, kann sich bei uns bis zu vier Monate freistellen lassen“, sagt Ernst-&-Young-Partner Christoph Spiekermann, „und muss bei guter Planung nicht einmal Gehaltseinbußen hinnehmen.“ So können Prüflinge den aufgesparten Jahresurlaub nutzen oder erfolgsabhängige Gehaltsbestandteile in bezahlte Freizeit umwandeln lassen. Viele Gesellschaften gewähren auch Mitarbeiterdarlehen oder Kostenzuschüsse.

Eine willkommene Hilfestellung, denn mit den 75 Euro Zulassungs- und 500 Euro Prüfungsgebühr ist es beim Steuerberaterexamen nicht getan. Rund 3 000 Euro fallen allein für den Repetitor an. Die Kurse, die entweder über ein Jahr berufsbegleitend oder als dreimonatige Crashkurse laufen, sind zwar nicht vorgeschrieben, aber ohne professionelles Coaching traut sich fast kein Prüfling ins Examen.

Juristen haben immerhin einen Startvorteil: Durch ihre Staatsexamina sind sie geübter im Klausurenschreiben und im Umgang mit Regelwerken und kryptischem Amtsdeutsch. „Als BWLer muss man erst mal verstehen, was Subsumieren bedeutet“, sagt Ina Könnes, die gerade auf die Ergebnisse ihres zweiten Versuchs wartet. Ihr Rat an alle Steuer-Triathleten: „Übungsklausuren schreiben, und zwar so viele wie möglich.“ Die mündliche Prüfung ist dann oft nur noch reine Nervensache.

Ina Könnes hat nach ihrem Studium zunächst in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gearbeitet und ist dann in das Steuerberaterbüro ihres Vaters eingetreten. Wenn er in den nächsten Jahren in Rente geht, will sie die Praxis übernehmen. „In den kommenden Jahren gehen zahlreiche Kollegen in den Ruhestand“, sagt Jürgen Pinne vom Steuerberaterverband.

Gesättigter Markt
Der aktuelle Altersdurchschnitt freiberuflicher Steuerberater liegt bei rund 50 Jahren. Die Übernahme eines gut laufenden Büros galt lange als der sicherste Weg in die Selbstständigkeit. Doch die Lust auf die eigene Praxis ist den Absolventen vergangen. Die Quote derer, die sich selbstständig machen, liegt nur noch bei 30 bis 35 Prozent. „Viele Büros werden geschlossen, weil sich kein Nachfolger findet“, sagt Jürgen Pinne.

Der Grund: Um rund ein Drittel ist die Zahl der Steuerberater in den letzten zehn Jahren gestiegen. Über 70 000 gibt es mittlerweile, drei Viertel davon arbeiten auf eigene Rechnung. Und zunehmend müssen sich Steuerberater gegen Konkurrenz aus den Reihen der Bilanzbuchhalter und Anwälte wehren. Denn die erinnern sich plötzlich daran, dass das Steuerrecht eine ihrer ureigenen Domänen ist. „Der Markt ist gesättigt“, meint Jürgen Pinne. „Wer sich heute selbstständig machen will, hat es viel schwerer als noch vor zehn Jahren.“

Spielräume und Sahnejobs
Auf Dauer wird sich nur behaupten, wer seine Praxis wirtschaftlich führt und effektives Marketing betreibt. Insbesondere kleinere und mittelgroße Steuerbüros suchen zurzeit nach Wegen, sich besser am Markt zu positionieren. Nischen für Neueinsteiger sieht Pinne etwa bei der Insolvenz-, Finanzierungs- oder Ratingberatung. „Da ist noch Spielraum.“ Und eine Beschäftigungsgarantie bietet nicht zuletzt der deutsche Gesetzgeber, der auf absehbare Zeit kaum aus dem Dickicht der Regeln und Ausnahmen hin zur Steuererklärung auf dem Bierdeckel finden wird.

Angestellten Steuerberatern winken in den großen Gesellschaften oft gleich mehrere Karriereoptionen und gute Gehälter. Fällt das Einstiegssalär für Steuerberater-assistenten in den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit 35 000 bis 45 000 Euro pro Jahr noch vergleichsweise bescheiden aus, steigt es nach bestandener Prüfung zügig an. So sind Branchenkennern zufolge nach fünf Jahren schon 80 000 Euro drin.

Der Weg in die Partnerschaft ist zwar schwieriger geworden, doch „up or out ist für uns kein Thema“, sagt Christoph Spiekermann von Ernst & Young. „Wer gute Leistungen bringt, kann sich bei uns entwickeln und wird dabei auch gefördert.“ Für einige ist der „Steuerberater“ beispielsweise Durchgangsposten auf dem Weg zum Wirtschaftsprüfer. Andere wählen eine internationale Ausrichtung und legen eine weitere Prüfung zum CPA (Chartered Public Accountant) ab.

Gut ausgebildete Fachleute lassen die Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ungern ziehen. Immerhin fischen auch Großkanzleien inzwischen verstärkt Steuerexperten vom Markt – oder solche, die bereit sind, sich in kurzer Zeit dazu zu machen. In Wirtschaftssozietäten geht es schließlich gleichermaßen um juristische wie steuerliche Aspekte. Multidisziplinäre Kanzleien wie Nörr Stiefenhofer Lutz rekrutieren daher auch Wirtschaftswissenschaftler, die dort ihre Laufbahn zum Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer einschlagen. „Rund die Hälfte unserer Steuerberater sind Nichtjuristen“, sagt Karl Rauser von Nörr. Auch die Kanzleien unterstützen ihre Leute bei der Vorbereitung auf das Examen. Im Gegenzug müssen die Kandidaten Flexibilität bei der Planung zeigen: Steht ein großer Deal an, muss die Steuerberaterprüfung eben verschoben werden.

Erst das Examen, dann das Leben
Wer Steuerberater werden will, muss eben Opfer bringen – beruflich wie privat. „Eine Familie gründet man am besten erst, nachdem man das Examen in der Tasche hat“, sagt einer, der durch die Mühle gegangen ist, augenzwinkernd. Doch mit der Prüfung ist das Büffeln nicht vorbei. „Steuerberater sein bedeutet lebenslanges Lernen“, warnt Jürgen Pinne. Was im Bundessteuerblatt veröffentlicht wird, muss nach der gängigen Rechtsprechung innerhalb eines Monats beherrscht werden.

Lohnt sich der ganze Stress? Offenbar schon, betrachtet man die Gehälter in den Wirtschaftsprüfungen, den Bedarf der Law Firms und den Dschungel der Steuergesetzgebung. Andreas Wellmann, Geschäftsführer beim Steuerberater-Repetitor Dr. Bannas, sorgt sich jedenfalls wenig darum, dass ihm die Klientel wegbricht. „Ich habe noch niemanden erlebt, der die Zeit, die er in sein Steuerberaterexamen investierte, bereut hätte – so entbehrungsreich sie auch war.“

Wer darf Steuerberater werden?
Um einen Antrag auf Zulassung zum Steuerberaterexamen bei der obersten Finanzbehörde stellen zu können, müssen Kandidaten eine dieser Voraussetzungen erfüllen:

Mitte 2005 hat die Bundeskammerversammlung der deutschen Steuerberater beschlossen, einen Studiengang „Master of Taxation“ einzurichten und damit eine verkürzte Steuerberaterprüfung zu ermöglichen. Der Start des Studiengangs ist noch offen.