Der Bund fürs Leben

Die Mitgliedschaft in einer Studentenverbindung kennt keine Kündigung. Wer beitritt, muss sich in die Hierarchie einfügen, sich bewähren und gegen Vorurteile ankämpfen. Ein Blick hinter die Kulissen der Burgundia-Leipzig zu Düsseldorf.

Daniel Borchardt | 18.09.2017

Ein großzügiges Wohnhaus in der Düsseldorfer Chlodwigstraße ist Mittelpunkt des Verbindungslebens für die Mitglieder der Burgundia-Leipzig. In den oberen Stockwerken wohnen einige der Mitglieder in schlichten Einzelzimmern, im Erdgeschoss und Keller sind die Gemeinschaftsräume. Die Uniformen werden im „Chargenzimmer“ aufbewahrt, im Veranstaltungssaal und an den beiden Theken treffen sich die Burgunden zu offiziellen Anlässen oder für ein gemeinsames Altbier nach Feierabend. Überall im Haus sind die Farben der 130 Jahre alten Korporation zu sehen, viele Wände des schlichten Baus sind mit Andenken und Fotos geschmückt.

Jonas Holtkemper eilt über den langen Flur, vorbei an Fernsehraum, Wohnküche und den Wandbemalungen in altertümlicher Schrift. Er klopft an die Zimmertür von Thomas Bogs, das Holz scheppert unter seiner Hand: „Du ziehst gleich den Wix fürs Foto an“, ruft Holtkemper. Ein knappes „Ja“ tönt aus dem Raum zurück. Minuten später taucht Thomas Bogs im Erdgeschoss des Hauses wieder auf. Der „Vollwix“ schindet Eindruck: Eine Schärpe spannt sich über die schnieke Jacke, die weiße Hose steckt in Gamaschen, dazu lange Handschuhe. Auf dem Scheitel trägt der Student einen Hut, leuchtend orange und mit einem Gummiband gesichert. Die Uniform sieht ein wenig aus wie aus dem Fundus eines Historienfilms.

Holtkemper und Bogs sind bei der Studentenverbindung Burgundia-Leipzig zu Düsseldorf. Der eine als Vorsitzender („Senior“), der andere als Fux, also im ersten Mitgliedsjahr. Die Hierarchie ist eindeutig: Füxe rackern bei Veranstaltungen, lernen die Eigenheiten des Verbindungslebens kennen und müssen sich am Ende ihrer zweisemestrigen „Probezeit“ in der Burschenprüfung beweisen. Bis zu fünf Stunden lang werden sie unter anderem zur Geschichte der Uni und der Verbindung befragt.

Verbindungen locken mit günstiger Miete

Senior Holtkemper kam wie viele Neulinge zu Beginn seines Medizinstudiums wegen des günstigen Zimmers zur Burgundia. Sein Großvater, ebenfalls in einer Studentenverbindung, brachte ihn auf die Idee. Das Angebot ist verlockend: 15 Quadratmeter kosten hier 150 Euro warm, karge Möblierung inklusive. Ein Jahr können die Interessenten auf dem Haus Verbindungsluft schnuppern, wie es im Jargon heißt. Dann müssen sie sich entscheiden: Entweder sie ziehen wieder aus oder treten als Fux in die Verbindung ein.

So haben sie Zeit genug, um sich mit den gängigen Vorurteilen gegenüber den rund 200 000 Studenten in Verbindungen und Burschenschaften auseinander zu setzen: Über sinnfreie Trinkgelage, unfaire Klüngelei und rechtsradikale Tendenzen schimpfen die Kritiker. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen einzelnen Zusammenschlüssen sowie den zahlreichen Dachverbänden.

Der Forscher und Buchautor Dietrich Heither untersucht seit 20 Jahren kritisch die Verbindungsszene und hat ein Spektrum „vom gemäßigten Konservativismus bis hin zum rechten Rand“ ausgemacht: „Gerade unter dem Dachverband ,Deutsche Burschenschaft‘ finden sich Ansätze braunen Gedankenguts.“

Doch die Burgunden, Mitglied im katholischen Cartellverband, gehen wie viele andere Verbindungen auf Distanz: „Leute mit solchen Ansichten werden bei uns nicht geduldet“, sagt Holtkemper und verweist auf Bundesbrüder mit ausländischen Wurzeln. Die Düsseldorfer geben sich offen, um den gängigen Klischees zu begegnen: An vielen Veranstaltungen können Gäste teilnehmen.

Regeln gehören zur Tradition

Stolz sind die Burgunden auf ihre lange Tradition: Vor genau 130 Jahren in Leipzig gegründet, unter dem Druck der Nazis aufgelöst und nach dem Krieg in Düsseldorf zu neuem Leben erweckt. Von den alten Zeiten zeugen Ahnenfotos, ebenso wie die historischen Fahnen am Kopfende des Saals. Davor ein imposanter Stuhl, kunstvoll geschnitzt und reich verziert. Hier nimmt der Senior Platz, um die wichtigen Zusammenkünfte zu leiten: Ob „Kneipe“ oder „Kommers“ – die offiziellen Treffen laufen nach festen Regeln ab. Bei solchen Gelegenheiten tauschen befreundete Mitglieder ihre „Zipfel“, kleine Metallanhänger mit persönlicher Widmung.

Gerade die Traditionen sind es, die viele Mitglieder faszinieren. „Verbindungen, die Wert auf Formen und Ablauf legen, haben keine Nachwuchssorgen“, berichtet Holtkemper. So auch die Burgunden, bei denen gerade sechs Neulinge ihr Fuxenjahr durchlaufen. Vielen gefallen die festliche Atmosphäre, rauschende Bälle und die enge Gemeinschaft. Burgunde Robert Austerschmidt erklärt: „Innerhalb der Gruppe braucht niemand Angst vor Fehlern haben, mit Zusammenhalt und Beistand kann die Verbindung für den Einzelnen wie eine Familie sein.“

Von den Mitgliedern wird volles Engagement erwartet

Grundstein der gegenseitigen Verpflichtungen ist das Lebensbundprinzip, dem sich jedes Mitglied verschreibt. Ein Austritt nach dem Fuxenjahr ist in den Statuten nicht vorgesehen. Zum Ende des Studiums wechseln die Mitglieder in die Riege der „Alten Herren“. Mit ihren Mitgliedsbeiträgen, aber auch durch ihre Kontakte, helfen sie den jungen Studenten, etwa bei der Praktikumssuche und beim Berufseinstieg. „Wer allerdings allein wegen des Vitamin B in eine Verbindung eintritt, erleidet sehr schnell Schiffbruch“, sagt Holtkemper. Die Veranstaltungen im üppigen Semesterprogramm und deren Vorbereitung kosten viel Zeit, von jedem Mitglied wird volles Engagement erwartet. Mal steht ein Vortrag an, mal ein Bummel in den Nachbarstädten. Hinzu kommt das „Chargieren“, der Besuch bei offiziellen Veranstaltungen befreundeter Verbindungen. Ebenso sollte jedes Mitglied mal ein Amt in der Gemeinschaft übernommen haben.

Inzwischen scharen sich ein Dutzend Mitglieder um die rustikale Theke im Veranstaltungssaal. Hinter dem schwarzen Altbier-Fass trohnt ein ausgestopfter Reineke Fuchs als Maskottchen der jüngsten Mitglieder. Für den Abend ist ein gemeinsames Festessen angesetzt. Ein Fux will sich beweisen. Es riecht nach geschmorten Hähnchenkeulen, der Gastgeber schmückt im Keller die lange Tafel für seine Bundesbrüder. „Essen ist fertig“, meldet er an die Theke im großen Saal. Einen Moment später zieht der Tross zur Tafel. Den Vollwix legt Bogs aber ab: Für das gemütliche Beisammensein an diesem Abend reicht das schmale Couleurband in den Verbindungsfarben völlig aus.

Studentenverbindung A-Z

Alter Herr/Hohe Dame: Verbindungsmitglied im Berufsleben, finanziert durch seine Beiträge die Aktivitäten der Korporation. Wird auch „Philister“ genannt. 
Bierkrank: Ausdruck für Studenten, die nicht mehr trinken wollen oder können. 
Bierverschiss: Verweis für Teilnehmer einer – Kneipe. 
Bummel: Offizieller Spaziergang durch die Stadt, dabei wird die – Coleur angelegt. 
Couleur: Farben der Verbindung, werden als Band, – Zipfel oder Mütze getragen. 
Fux/Fuchs: Neumitglied im ersten Jahr, Status endet mit der Burschenprüfung. 
Kneipe: Traditionelle Studentenfeier mit strengem Ablaufplan, in der festlicheren Variante „Kommers“ genannt. 
Pauken/Mensur: Studentische Fechtkunst bei schlagenden Verbindungen. Verletzungen im Gesicht sind möglich, die Narben heißen „Schmiss“ und waren früher Statussymbole. 
Stiftungsfest: Gründungsjubiläum, wird mit festlichem Ball und Kommers gefeiert. 
Zipfel: Schmuckanhänger in – Coleur, tauschen befreundete Bundesbrüder/ -schwestern miteinander. 
Zirkel: Symbol einer Verbindung, enthält mehrere Buchstaben in ausgeschmückter Handschrift, Abschluss bei aktiven Mitgliedern mit einem Ausrufezeichen.