Internationaler Vergleich: Mit weiblichen Chefs liegt Deutschland immer noch am unteren Ende der Skala

Starke Frauen gibt es vor allem in Norwegen. Es sind noch lange nicht genug.

Anne Koschik | 15.01.2020
Der Anteil der Führungsfrauen in großen Unternehmen ist in Deutschland weiterhin sehr gering.

Frauen an der Spitze Der Anteil der Führungsfrauen in großen Unternehmen ist in Deutschland weiterhin sehr gering. © Karriere Foto: Miguel Bruna on Unsplash

Führungsfrauen haben es in Deutschland weiterhin schwer. Nur zwei Prozent der Vorstandsvorsitzenden sind hierzulande weiblich. Das zeigt die heute veröffentlichte „Route to the Top“-Studie der internationalen Personalberatung Heidrick & Struggles, bei der mehr als 900 der größten Unternehmen in 16 Ländern weltweit untersucht wurden.

Damit steht Deutschland ähnlich schlecht da wie Spanien, die Schweiz, Italien und Schweden. Im Durchschnitt liegt der Anteil weiblicher Führungskräfte international bei fünf Prozent und ist damit gerade mal um einen Prozentpunkt im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

Mächtige Frauen in Deutschland

Nur die Spitzenmanagerinnen Antje Leminsky und Claudia Hoyer der M-Dax-Unternehmen Grenke AG und TAG Immobilien stechen in Deutschland hervor. Digitalexpertin Leminsky führt seit knapp zwei Jahren die Geschäfte des süddeutschen Finanzdienstleisters mit einem Umsatz von knapp drei Milliarden Euro und fast 1.500 Mitarbeitern weltweit.

Bereits acht Jahre lenkt Claudia Hoyer in ihrer Rolle als COO die Geschicke der TAG Immobilien AG, die  mehr als 300 Millionen Euro Umsatz erzielt. Die 47-Jährige trägt die Verantwortung für knapp 1.000 Mitarbeiter.

Zu nennen ist außerdem die SAP-Co-Vorsitzende Jennifer Morgan. Da sie nach dem Auswertungsstichtag für die Studie berufen wurde, konnte sie für die Gesamtauswertung noch nicht berücksichtigt werden. Gleiches gilt für Martina Merz, die am 1. Oktober 2019 an die Spitze von Thyssen-Krupp berufen wurde.

Forderung nach mehr Diversität

Für Heidrick & Struggles hat das Ergebnis der Studie Aufforderungscharakter. Denn: „Grundsätzlich kann sich das Fehlen an Diversität, nicht nur an der Konzernspitze, zu einem ernsthaften Risiko entwickeln“, sagt Michael Oberwegner, Deutschlandchef von Heidrick & Struggles. „Mehr Diversität abzubilden, wird daher in den nächsten Jahren eine Hauptherausforderung für deutsche Aufsichtsräte bleiben.“

Doch selbst in den Vorreiter-Ländern besteht noch Nachholbedarf. Obwohl Frauen zum Beispiel in Norwegen längst aufgeholt und in viele großen Unternehmen die Zügel in der Hand haben. In dem skandinavischen Land sind auch nur 16 Prozent der Vorstandsvorsitzenden des Leitindex OBX Frauen.

Vergleichsweise hohe Quoten weisen mit einem Anteil von zehn Prozent Belgien und mit acht Prozent die USA auf, dicht gefolgt von Großbritannien mit sieben Prozent.

CEO-Berufungen mit großer Strahlkraft

Tatsächlich dient „der vergleichsweise hohe Anteil an Frauen in den beiden großen angelsächsischen Volkswirtschaften“ bei der Besetzung von CEO-Positionen weltweit als Benchmark.

„In einem zunehmend diversen Umfeld ist es überfällig, dass auch mehr Frauen auf den Chefposten rücken, zumal sich in den Vorständen und den Ebenen darunter in dieser Hinsicht viel bewegt“, sagt Oberwegner. Die erste weibliche Dax-Vorsitzende könne in Deutschland „einen Dammbruch auslösen“. Denn weibliche CEO-Berufungen „besitzen eine sehr große Strahlkraft“.

Insgesamt zeige sich, dass der Zug, mehr Frauen an der Unternehmensspitze zu installieren, langsam, aber stetig an Fahrt aufnehme. Dies spiele sich vor dem Hintergrund weiter steigender Anforderungen an moderne Unternehmenslenker ab.

Wichtige Erkenntnisse der Studie auf einen Blick:

In der diesjährigen „Route to the top“-Studie haben die Autoren auch generelle Trends bei der Besetzung der Unternehmensspitzen identifiziert – mit folgenden Erkenntnissen:

Externe oder interne Besetzung?

Bei Neuberufungen kamen zu 73 Prozent interne Bewerber zum Zuge. Im vergangenen Jahr sind damit deutlich weniger CEOs als üblich von außen auf den Chefposten gerückt. Fast 14 Jahre waren die meisten Kandidaten bereits im Unternehmen, bevor sie das Zepter übernehmen konnten. In den USA und China sogar rund 20 Jahre.

Urteil:
Hier zeigt sich ein gewisses Maß an Risikoscheue. Kandidaten von außen ordneten in der Regel zunächst das Führungsteam neu und müssten sich in die Unternehmenskultur erst einleben. Bei internen CEO-Berufungen sei die Phase der Einarbeitung kürzer, da man sich bereits kenne.

Vorherrschende Qualifikation

Viele CEOs waren im Vorfeld als Finanzchefs beschäftigt: Bei 18 Prozent der CEOs war das Finanzressort das Sprungbrett für die Unternehmensleitung. Das gilt insbesondere für Deutschland, wo der Anteil sogar bei 29 Prozent liegt.

Urteil:
Dass in Deutschland Finanzchefs besonders gute Karten besitzen, wird als Zeichen für finanzielle Solidität gesehen. In den USA, Frankreich und den Niederlanden haben besonders COOs gute Aussichten auf den Vorstandsvorsitz. Die Funktion des Chief Operating Officers ist in Deutschland aber nicht einmal durchgängig in den Vorständen eingerichtet.

Auslandserfahrung erwünscht

44 Prozent der neuen CEOs besitzen Auslandserfahrung. Ausländischer Herkunft sind rund ein Fünftel der Unternehmenslenker.

Urteil:
Die Bedeutung, sich einmal in einem fremden kulturellen Umfeld bewährt zu haben, nimmt stetig zu. Die dabei gesammelten Fähigkeiten sind entscheidende Karrierebausteine – vor allem im Umfeld der Dax- und MDax-Unternehmen.

Nur in den USA und China sind „Cross border“-Erfahrungen weniger ausgeprägt:Ausländer kommen hier selten zum Zuge.

Kaum Chancen für unter 40-Jährige

Während alle aktuellen CEOs durchschnittlich 49,6 Jahre alt waren, als sie ihr Amt antraten, sind die neu berufenen Vorsitzenden bereits 52 Jahre. Sogenannte „Super-CEOs“, die mit unter 45 Jahren bereits in die Schlüsselposition berufen wurden, finden sich vornehmlich in kleineren Volkswirtschaften wie Norwegen (44 Prozent), Belgien (38 Prozent) und Schweden (31 Prozent). Die geringste Chance auf eine CEO-Berufung ist so jungen Jahren gibt es in den USA, wo der Anteil an Super-CEOs nur bei elf Prozent liegt. Deutschland liegt mit 24 Prozent nahe am globalen Mittelwert von 21 Prozent.

Urteil:
Erfahrung ist gerade in erwarteten schwierigen Zeiten eine große Währung.

Verweildauer

Im Schnitt halten sich CEOs sechs Jahre in ihrem Amt.

Urteil:
Andere Länder, andere Sitten: Während deutsche CEOs durchschnittlich seit sieben Jahren an der Unternehmensspitze stehen, erreichen französische, belgische und spanische CEOs mit acht Jahren die längste Verweildauer. Nur rund vier Jahre schaffen es häufig die CEOs von Unternehmen in China, der Schweiz, Dänemark und Schweden.

Mehr: Die Lust an Führungsaufgaben sinkt generell – bei Männern und Frauen.