Grenzen durchbrechen: Warum es sich lohnt, im Job Risiken einzugehen

Wer sich bewusst Herausforderungen stellt, in denen er oder sie scheitern könnte, erhöht die Spannung und die Freude am Handeln. Die damit einhergehende Unsicherheit ist ein deutliches Zeichen für persönliches Wachstum.

Michaela Brohm-Badry, wiwo.de | 19.12.2021

Wir lieben das Risiko des Scheiterns. Studien in sportlichen Wettbewerbssituationen zeigen: Hat ein Spiel kein ausbalanciertes Gleichgewicht hinsichtlich der Gewinnchancen beider Mannschaften, finden die Zuschauer das Spiel langweilig. Und das gilt sogar, wenn die eigene Mannschaft dabei ist, zu gewinnen und darüber hinaus auch für die Spieler selbst gilt: Hohe Unsicherheit bezüglich des Ausgangs erhöht bei den Spielern die Spannung und den Spaß so die angloamerikanischen Forscher Abuhamdeh und Csikszentmihalyi.

Spiele, bei denen man durch die überlegene eigene Kompetenz den Gegner leicht besiegen könnte, wurden als weit weniger spannend und glücksbringend eingestuft und seltener gespielt, als risikoreiche Spiele. Der unsichere Ausgang und die damit einhergehende Spannung erhöhen demnach die intrinsische Motivation: Das Risiko, verlieren zu können, erhöht die Freude am Tun. No Risk – No Fun!

Die Herausforderung als Motivation

Deshalb macht es wohl so wenig Spaß, mit einem weit unterlegenen Freund Schach oder Tennis zu spielen, joggen zu gehen oder an einem arbeitsteiligen Projekt zu arbeiten. Wenn die andere Seite nicht liefert, wird die Partie eher zum pädagogischen Projekt.

Es liegt nahe, diese Befunde nicht nur auf externe Wettbewerbssituationen zu beziehen, sondern auch auf den Umgang mit uns selbst, denn Motivation kann als innere Spannung gedeutet werden – wir messen uns selbst an inneren Gütemaßstäben und wetten gegen uns selbst, dass wir sie erreichen. Ist die Sache zu leicht („das ist einfach“), motiviert uns das wenig, ist sie viel zu schwer („absolut nicht zu schaffen!“), gilt das gleiche. Wir haben mehr Spaß und Spannung, wenn der Ausgang tatsächlich ungewiss ist („vielleicht, vielleicht!“). Daher hier die Aufforderung die Grenzen des eigenen Verhaltens, Wissens und Könnens nach und nach zu erweitern und sich bewusst Herausforderungen zu stellen, die wir nur – im wahrsten Sinne des Wortes – mutmaßlich – bewältigen können. Mutig sollten wir sein.

Mutig sein lohnt sich

Mut, so Forscher der Universität Zürich, ist eine emotionale Stärke, welche durch Willensleistungen innere oder äußere Barrieren überwindet, um ein Ziel zu erreichen. Mut ist der Wille zur Bewältigung in gefährlichen oder schwierigen Situationen: Beispielsweise

• die Wahrheit zu sagen, statt sich durchzulavieren („Wenn ich ehrlich bin, denke ich, dass …“)

• tapfer sich Bedrohungen oder Schmerzen zu stellen und Herausforderungen anzunehmen („Das versuche ich!“)

• ausdauernd zu beenden, was begonnen wurde („Das schließe ab, auch wenn es schwierig ist!“) oder

• der Welt mit Enthusiasmus zu begegnen und energisch zu handeln („Das würde ich gerne machen! Das mache ich!“).

Abzugrenzen ist dieser Mut natürlich vom Wagemut – dem hochriskanten, oft selbstgefährdenden Verhalten – worum es hier nicht geht. Vielmehr geht es hier darum, sich die Freiheit zu nehmen, mutig etwas wahrhaftiger, tapferer, ausdauernder oder enthusiastischer zu handeln, als bisher; selbstauferlegte Grenzen zu durchbrechen. Fast so, wie in dem Cat Stevens-Klassiker zu Harold und Maud: „If you want to sing out, sing out, and if you want to be free, be free, ‚cause there’s a million things to be, you know that they are.“

Wollen wir demnach ein mutiges Leben, so sollten wir uns Herausforderungen suchen, die das Potenzial haben, scheitern zu können, denn an den Grenzen der eigenen Erfahrungen liegt das Wachstumspotenzial. Wer beispielsweise immer nur einfache Stücke auf dem Klavier oder Cello übt, immer nur tut, was er sowieso schon kann, macht nur schwerlich Fortschritte, und hat wenig Spaß. Wer sich aber Herausforderungen stellt, die im Misserfolg enden könnten, generiert so oder so neue Erfahrungen und entwickelt sich.

Die eigene Komfortzone verlassen

Und das hat auch mit der innerer Freiheit zur Unsicherheit zu tun: Wenn wir sicher und routiniert mit einer Aufgabe umgehen, lernen wir nicht mehr dazu. Erst die leichte emotionale Verunsicherung führt dazu, unsicher neues Terrain abzutasten, neue, potenziell gefährliche Ideen und Handlungsmöglichkeiten zu erkunden und somit das eigene Handlungspotenzial („Kompetenzen“) zu erweitern. Diese anfängliche Phase der „emotionalen Labilisierung“ (Erpenbeck) ist grundlegend für alle Lernprozesse. Herausforderungen, welche leicht verunsichern, fördern daher unser emotionales, soziales und geistiges Wachstum. Herausforderungen sollten daher ruhig fremdartig, neu, groß, seltsam, widersprüchlich, verrückt, „ver-rückend“ oder sonst wie anregend sein.

Wir wachsen im permanenten Ausprobieren und so sind die besten Mitarbeiter, die besten Vorgesetzten, die besten Studierenden, die die besten Schüler/innen diejenigen, die Fehler machen. Denn sie gehen über das hinaus, was sie schon können, probieren neue Wege, lernen dabei, was wirklich funktioniert, und scheitern oder siegen. Auf jeden Fall aber entwickeln sie sich weiter. Im Gegensatz zu allen anderen, die auf Nummer sicher gehen.


Zuerst veröffentlicht auf: wiwo.de