Warum Sie eine Dienstreise innerhalb Europas 10.000 Euro kosten kann

Schuld ist eine EU-Verordnung, die nur wenige Geschäftsreisende kennen.

Lazar Backovic | 11.06.2019

Die A1-Bescheinigung ist bei Dienstreisen innerhalb Europas Pflicht. Allerdings weiß kaum jemand von der Verordnung. Alles zum Antragsverfahren, Ausnahmen – und saftigen Bußgeldern

Ein Geschäftsessen in Wien, ein wichtiger Fachvortrag in Frankreich oder eine Messe in Amsterdam: Bei all diesen Gelegenheiten müssen Angestellte eine sogenannte A1-Bescheinigung bei sich tragen. Wer das Dokument nicht vorweisen kann, muss unter Umständen hohe Bußgelder zahlen.

Die Verordnung der Europäischen Union (EU) mit der Nummer 883/2004 gilt dabei schon seit 2010. Ihr Ziel ist es, die vielen verschiedenen Sozialversicherungssysteme innerhalb der Europäischen Union zu koordinieren. Lange Zeit sind die meisten EU-Länder lax mit dieser Regelung umgegangen. Aktuell nehmen allerdings verstärkt Kontrollen und Bußgeldbescheide wegen fehlender A1-Bescheinigung oder anderer Entsendeformulare zu. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Wozu brauche ich eine A1-Bescheinigung?

Eigentlich ist die A1-Bescheinigung als Erleichterung bei Entsendungen gedacht. Der Gedanke: Niemand soll doppelt Beiträge zur Sozialversicherung zahlen, wenn er innerhalb Europas in mehreren Ländern arbeitet. Um zu beweisen, dass man bereits im Heimatland sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist und in das dortige System einzahlt, gibt es die A1-Bescheinigung. Sie soll außerdem bei Kurzeinsätzen Lohn- und Sozialdumping verhindern.

Ab wie vielen Tagen brauche ich ein A1-Formular?

Bereits ab dem ersten Tag. „Im Grunde genommen reicht schon die Grenzüberschreitung“, sagt Julia Tänzler-Motzek, Arbeitsrechtsexpertin in der Großkanzlei CMS. Heißt: Theoretisch könnten Fach- und Führungskräfte selbst beim Tanken im europäischen Ausland nach der A1-Bescheinigung gefragt werden. „Das ist jedoch eher unwahrscheinlich.“ Realistischer sind Kontrollen im Umfeld von größeren Messen oder in Betrieben. Auch dann reichen allerdings schon wenige Stunden im europäischen Ausland.

In welchen Ländern gilt das A1-Verfahren?

Die A1-Bescheinigung gilt für alle EU-Länder, sowie für Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz. Seit die Verordnung in Kraft getreten ist, muss formell jeder, der in einem EU-Mitgliedsstaat vorübergehend einer Beschäftigung nachgeht, eine sogenannte A1-Bescheinigung mitführen – und zwar egal, wie lange oder in welcher Branche er dort tätig ist.

Wie beantrage ich eine A1-Bescheinigung?

Gesetzlich oder freiwillig Versicherte bekommen die A1-Bescheinigung von ihrer Krankenkasse. Bei Privatversicherten ist die Deutsche Rentenversicherung zuständig.

Für Arbeitnehmer, darunter fallen auch Fach- und Führungskräfte, ist seit dem 1. Januar 2019 das elektronische Antragsverfahren verpflichtend. Für Beamte nehmen die deutschen Rentenversicherungsträger ebenfalls elektronische Anträge entgegen.
Selbständige und Personen, die gewöhnlich in mehreren europäischen Ländern beschäftigt sind, stellen den Antrag auf Papier. Wichtig: Aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfen Anträge auf eine A1-Bescheinigung nicht per E-Mail gesendet werden.

Wer beantragt die A1-Bescheinigung?

Für Arbeitnehmer und Beamte stellt der Arbeitgeber den Antrag. Selbständige wenden sich direkt an die für den Antrag zuständige Stelle, sprich die Krankenkasse oder den Rentenversicherungsträger.

Gibt es Vereinfachungen, wenn ich häufiger in mehreren Mitgliedsstaaten arbeite?

Die gibt es. Übt ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger seine gewöhnliche Erwerbstätigkeit in zwei oder mehr EU-Mitgliedstaaten aus, kann er eine Bescheinigung beantragen, die ein Jahr Gültigkeit hat. Eine Regelmäßigkeit liegt bereits bei einem Tag im Monat oder fünf Tagen im Quartal vor.

Die EU hat zudem die Möglichkeit eingeräumt, eine A1-Bescheinigung auch für sogenannte Grenzgänger zu beantragen. Das sind Angestellte, die in Deutschland arbeiten, aber zum Beispiel in Österreich wohnen. Mit der A1-Bescheinigung kann der Arbeitnehmer nachweisen, dass im Wohnstaat – im Beispiel also in Österreich – keine zusätzliche Sozialversicherung erforderlich ist.

Wie lange warte ich auf eine A1-Bescheinigung?

Bei den Krankenkassen vorgeschrieben ist eine Bearbeitungszeit von drei Arbeitstagen. Allerdings berichten einzelne Firmen auch von längeren Wartezeiten. Wer die Bescheinigung sofort braucht, sollte unbedingt den gestellten Antrag mitnehmen. Bei Kontrollen wird dies oft als Nachweis akzeptiert.

Wie wahrscheinlich sind behördliche Kontrollen der A1-Bescheinigung?

Theoretisch können Arbeitnehmer und Selbstständige in jedem EU-Staat, sowie in Norwegen, Island, Liechtenstein oder der Schweiz kontrolliert werden. Am rigorosesten werden Entsendeformulare wie die A1-Bescheinigung jedoch in Frankreich und Österreich kontrolliert.

Die Österreichische Finanzpolizei etwa teilt auf Anfrage mit, dass sie allein im Jahr 2018 mehr als 2100 Kontrollen durchgeführt hat und dabei Bußgelder in einer Gesamthöhe von 4,7 Millionen Euro verhängt hat. Im Einzelfall liegen die Bußgelder pro Arbeitnehmer zwischen 1.000 und 10.000 Euro. Sind bei einer Kontrolle mehrere Angestellte betroffen, werden die Summen addiert.

Wer zahlt Bußgelder im Zusammenhang mit der A1-Bescheinigung?

Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht ausreichend über seine Pflichten im Zusammenhang mit der A1-Bescheinigung aufgeklärt, muss das Unternehmen für Bußgelder des Arbeitnehmers aufkommen. „Generell besteht eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinen Angestellten“, sagt CMS-Arbeitsrechtlerin Tänzler-Motzek.

Doch keine Regel ohne Ausnahme. Schwierig dürfte die Argumentation für einen Angestellten werden, wenn er in vollem Bewusstsein über die Regeln ohne A1-Bescheinigung erwischt wurde. Dann könnte im Zweifel sogar der Arbeitnehmer selbst zur Kasse gebeten werden. Bisher ist über so einen Fall jedoch noch nie gerichtlich entschieden worden.

Bin ich der einzige, der noch nie eine A1-Bescheinigung ausgefüllt hat?

Sind Sie nicht! Der Geschäftsreise-Abwickler „Air Plus International“ hat kürzlich mehr als 700 Geschäftsreisende aus neun europäischen Ländern zur Nutzung der A1-Bescheinigung befragt. Ergebnis: Gerade einmal jeder vierte der Befragten denkt vor Abreise ins europäische Ausland regelmäßig an die erforderliche A1-Bescheinigung.

44 Prozent der befragten Geschäftsreisenden gaben außerdem an, dass sie die A1-Pflicht gar nicht kennen.

Sind Änderungen bei der A1-Verordnung geplant?

Im Frühjahr 2019 hatten sich die Europäische Kommission, Parlament und Rat darauf verständigt, insbesondere Kurzeinsätze innerhalb Europas zu erleichtern. Allerdings ist diese Einigung wenig später durch den Europäischen Rat doch wieder gekippt worden. Somit bleibt vorerst alles beim Alten.

Ab 2020 gibt es kleinere Neuerungen. Die wichtigste: Ab dem 1. Januar 2020 sollen Antragsbestätigungen sofort über Abrechnungsprogramme wie SAP und Co. erstellt werden können. Das dürfte kurzfristige Dienstreisen ins EU-Ausland deutlich erleichtern.