Ist eine Dienstreise Arbeitszeit? So urteilt das Bundesarbeitsgericht

Muss der Arbeitgeber die Zeit für An- und Abreise zu einem Geschäftstermin im Ausland bezahlen? Ein Urteil des Bundearbeitsgerichts sorgt derzeit für Fragezeichen. Was Sie jetzt wissen müssen.

Anne Koschik | 23.10.2020
Sozialversicherungsnachweis dabei? Laut einer Umfrage haben viele Geschäftsleute von der EU-Verordnung noch nicht einmal gehört.

Dienstreise ohne A1-Bescheinigung Sozialversicherungsnachweis dabei? Laut einer Umfrage haben viele Geschäftsleute von der EU-Verordnung noch nicht einmal gehört. Foto: Mike Kotsch on Unsplash

Es ist ein wesentlicher Satz, der arbeitsrechtlich für Aufruhr sorgt. „Entsendet der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer vorübergehend ins Ausland, erfolgen die Reisen zur auswärtigen Arbeitsstelle und von dort zurück ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers und sind deshalb in der Regel wie Arbeit zu vergüten.“ Der Satz stammt aus einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Und kurz zusammengefasst, sagt er: Dienstreisezeit ist als Arbeitszeit zu bewerten. Zumindest, wenn es  ins Ausland geht.

Was sich unter Aktenzeichen 5 AZR 553/17 so klar liest, klingt nicht nur grundsätzlich, sondern auch neu. Ist es aber nicht, sondern lediglich „die Klarstellung eines speziellen Sachverhalts in höchstrichterlicher Instanz“, sagt Arbeits- und Wirtschaftsrechtler Hartmut Braunschneider: „Die Entscheidung des BAG ändert nichts an den bislang geltenden Regelungen. Sie fügt nur eine neue Facette hinzu.“

So habe das Gericht bereits 2012 festgestellt, dass vom Arbeitgeber angeordnete Fahrten zu einer auswärtigen Arbeitsstelle Teil der versprochenen Dienste des Arbeitnehmers seien und dass für diese Fahrzeiten durch Arbeits- oder Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung getroffen werden könne (5 AZR 355/12). Solche Vergütungsregelungen könnten künftig in manchen Fällen unnötig sein.

Aber auch wenn jetzt das BAG seine aktuelle Entscheidung anlässlich einer „Entsendung ins Ausland“ formuliere, gehe es dort sachlich eigentlich um Reisen „ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers“ – egal wohin.  Braunschneider: „Und wenn derartige Interessen vorliegen, kann auch für Reisezeiten im Inland nichts anderes gelten: Sie müssen bezahlt werden.“

Was Sie zur aktuellen BAG-Entscheidung wissen müssen:

Darum ging es
Im konkreten Fall ging es um einen Bauinspektor. Der hatte sich gut zwei Jahre lang mit seinem Arbeitgeber darüber gestritten, ob eine Geschäftsreise nach China, die er im Rahmen eines Entsendeauftrags wahrnahm, komplett als Arbeitszeit abgerechnet werden kann. Hauptstreitpunkt war die Länge der An- und Abreise. Diese wollte der Arbeitnehmer im vollen Umfang bezahlt bekommen. Der Arbeitgeber jedoch erstattete ihm jeweils nur acht Stunden für An- und Abreise.

Das macht den Fall speziell
Per Entsendungsvertrag hatte der Bauinspektor die Möglichkeit, Business statt Economy Class zu fliegen, wenn die Flugpreisdifferenz vom Arbeitnehmer getragen würde. Der Kläger wählte im Fall der Reise nach China die teurere Klasse für Hin- und Rückflug. Dafür nahm er eine Zwischenlandung in Dubai in Kauf. Hätte er die günstigere Economy Class gewählt, wäre die Reise per Direktflug erfolgt.

Der Bauinspektor wollte, dass sein Arbeitgeber die längere Reisezeit für den Business-Flug inklusive Zwischenstopp als Arbeitszeit wertet. Der Arbeitgeber hingegen erklärte sich nur bereit, ein Maximum von acht Stunden Reisezeit pro Tag zu vergüten. Allerdings dauerten sowohl der Economy- als auch der Business-Flug länger.

So hat das Bundesarbeitsgericht entschieden
Generell muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei Dienstreisen ins Ausland die Zeit für An- und Abreise vergüten. Allerdings muss der Arbeitgeber nicht für längere Reisezeiten aufkommen, die der Arbeitnehmer selbst gewählt hat.

Im speziellen Fall heißt das: Der Arbeitgeber muss nur die Reisezeit für den kürzeren Direktflug in der Economy Class voll vergüten, alles was darüber hinaus geht nicht. Weil in der Vorinstanz aber nicht geklärt wurde, wie groß die Zeitdifferenz zwischen dem Direktflug in der Economy Class und dem längeren Business-Class-Flug war, ist der Fall vom BAG an das zuständige Landesarbeitsgericht in Rheinland-Pfalz zurückverwiesen worden.

Das lässt sich aus der Entscheidung mitnehmen
Die BAG-Entscheidung sei kein Freibrief für die Bezahlung von Reisezeiten, sondern sehr auf den Einzelfall gemünzt, erklärt Arbeitsrechtler Braunschneider. Nutzt der Arbeitnehmer also seine Entscheidungsfreiheit, auf eigenen Wunsch Business statt Economy Class zu fliegen oder das Auto statt eines öffentlichen Verkehrsmittels zu wählen, sollte er vorab mit seinem Vorgesetzten prüfen, welche für ihn nachteiligen Folgen das haben kann. Für die durch Zwischenstopps längere Wegezeit oder die freiwillige Anstrengung des Autofahrens muss jedenfalls kein Arbeitgeber bezahlen.

Was bei Arbeitswegen aktuell gilt

Wegezeiten zum festen Arbeitsort werden gemeinhin nicht als Arbeitszeiten gewertet.
Wer morgens in die Bahn oder ins Auto steigt, um regulär zur Arbeit zu fahren, hat noch keine Minute Arbeitszeit angehäuft. Die Uhr tickt erst, wenn der Arbeitnehmer das Firmengebäude betritt.

Interessant in dem Zusammenhang: Während das Arbeitsvertragsrecht den Weg zwischen Wohnort und Arbeitsstätte unberücksichtigt lässt, schützt die gesetzliche Unfallversicherung Arbeitnehmer auch auf ihrem Arbeitsweg – allerdings nicht bei Unterbrechungen aus privaten Gründen.

Wegezeiten ohne fest zugewiesene Arbeitsstätte
Für Arbeitnehmer, bei denen Reisetätigkeit zur Arbeitsleistung gehört, liegt der Fall anders. So können Außendienstmitarbeiter, Kundendienstmonteure, Bauarbeiter, Berufskraftfahrer, Kurier- und Taxifahrer, Bahn- und Schifffahrtsangestellte sowie Piloten und Flugbegleiter ihre Wegezeiten als Arbeitszeiten ansehen, die selbstverständlich vergütet werden müssen.

Was bei Geschäftsreisen im In- und Ausland generell gilt

Der Weisung eines Arbeitsgebers, eine Dienst- oder Geschäftsreise zu unternehmen, muss der Mitarbeiter Folge leisten, wenn sie „billigem Ermessen“ entspricht  – dann auch am Wochenende.

Wichtig: Die im Arbeitszeitgesetz geforderten 11 Stunden Ruhezeit gelten auch auf Dienstreisen.

Ist der Arbeitnehmer an Sonntagen gefordert, steht ihm ein Ersatzruhetag zu. 15 Sonntage im Jahr müssen zudem beschäftigungsfrei sein. Daneben können tarifliche und betriebliche Sondervereinbarungen zum Einsatz kommen.

Während der regulären Arbeitszeit gelten die normalen Vergütungsregeln. Nimmt die Dienstreise weniger Zeit in Anspruch, als der normale Arbeitstag dauert, ist der Arbeitgeber selbst schuld, wenn er die Leistung seines Mitarbeiters nicht voll in Anspruch nimmt.

An- und Abreise bei Geschäftsreisen

Inwiefern die reine Fahrtzeit im Rahmen einer Dienstreise auch als Arbeitszeit angerechnet werden kann, wird nach der „Beanspruchungstheorie“ entschieden.

Beispiel 1:
Der Arbeitgeber stellt seinem Angestellten frei, wie er die Fahrtzeit verbringt.
Das bedeutet: Fahrtzeit ist keine Arbeitszeit.
(auch dann nicht, wenn der Arbeitnehmer sich freiwillig mit dienstlichen Aufgaben beschäftigt)

Beispiel 2:
Der Arbeitgeber weist seinen Angestellten an, während der Fahrtzeit für das Unternehmen tätig zu sein.
Das bedeutet: Fahrtzeit ist Arbeitszeit.

Beispiel 3:
Der Arbeitgeber ordnet an, dass der Angestellte seine Dienstreise mit dem Auto antritt und das Fahrzeug selbst steuert.
Das bedeutet: Fahrtzeit ist Arbeitszeit.

Beispiel 4:
Der Arbeitgeber ordnet an, dass ein Angestellter als Beifahrer im Wagen des Kollegen mitfährt.
Das bedeutet: Fahrtzeit ist keine Arbeitszeit.

Beispiel 5:
Der Arbeitgeber ordnet eine Reise mit Bahn oder Flugzeug an oder stellt es dem Angestellten frei, ein Transportmittel zu wählen.
Das bedeutet: Fahrtzeit ist keine Arbeitszeit.
(Wählt der Angestellte abweichend und freiwillig das Auto und fährt selbst, kommt er in diesem Fall nicht in den Vorzug, dass seine Fahrtzeit auch als Arbeitszeit gewertet werden muss.)

An- und Abreise bei Geschäftsreisen, die die übliche Arbeitszeit überschreiten

Für Fälle, in denen die An- oder Abreise die übliche Arbeitszeit überschreitet, gibt es in Unternehmen meistens betriebliche Vereinbarungen oder es bestehen tarifliche Regelungen. So auch im aktuellen Fall des Bauinspektors.

Gibt es keine passenden Vereinbarungen, hängt es davon ab, ob die (Reise-) Leistung „den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist“ (§ 612 BGB). Je höher das Gehalt eines Arbeitnehmers ist, umso eher werden Reisezeiten damit bereits abgegolten sein. Wenn Reisen aber ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers erfolgen, dann sind sie in der Regel wie Arbeit zu vergüten.