2-Stunden-Chef: Warum so viele Chefs ihren Mitarbeitern Eigenverantwortung und Motivation rauben

Zwei Stunden Führung am Tag reichen aus, sagt eine Managerin aus eigener Erfahrung.

Lazar Backovic | 15.01.2020
Zwei Stunden Führung am Tag reichen - das rät eine erfahrene Managerin.

Reduzierte Führung Zwei Stunden Führung am Tag reichen - das rät eine erfahrene Managerin. © CoWomen on Unsplash

Schuld an dem Umdenken der früheren KFC-Deutschlandchefin Insa Klasing hat Rewa. 2016 wirft die Vollblutstute die erfolgreiche Managerin Insa Klasing im Galopp ab.

Klasing, damals Deutschlandchefin der Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken, bricht sich beim Sturz beide Arme. Sechs Wochen Reha folgen, das heißt: sechs Wochen Büropause.

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Danach kommt Klasing mehrere Wochen lang nur für zwei Stunden am Tag ins Büro. Eine lehrreiche Zeit, über die die 40-Jährige ein Buch mit dem provokanten Titel „Der Zwei-Stunden-Chef“ geschrieben hat.

Klasings These: Wer als Führungskraft mehr als zwei Stunden am Tag führt, macht etwas falsch.

Frau Klasing, wie viele Stunden haben Sie heute gearbeitet?

Ich bin um neun Uhr morgens zum Flughafen gefahren und bin vor einer Weile in Stuttgart gelandet. Jetzt ist es kurz vor halb drei. Ich würde schätzen, so viereinhalb Stunden.

Also halten Sie sich nicht an Ihre eigene Regel?

Doch. Ein Zwei-Stunden-Chef zu sein, bedeutet ja nicht, dass man nach zwei Stunden den Stift fallen lässt und nach Hause geht. Ich sage lediglich, man braucht am Tag nicht mehr als zwei Stunden in Führung zu investieren.

Danach sind Sie frei für andere Themen, die etwa die Zukunft Ihres Unternehmens betreffen.

Zwei Stunden für Führung – meinen Sie das wirklich ernst?

Absolut. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und sage: Mehr als zwei Stunden am Tag zu führen, ist sogar schädlich, weil man die Mitarbeiter in ihrer Eigenverantwortung und ihrer Motivation ausbremst.

Menschen brauchen Freiraum, um sich weiterzuentwickeln.

Das gilt für Mitarbeiter, aber auch für Chefs. Es bringt also nichts acht, neun zehn oder noch mehr Stunden am Tag sein Team an der engen Leine zu halten und nach Feierabend noch Arbeitsaufträge zu verteilen.

Erzählen Sie das mal einem Dax-Vorstand oder einem Unternehmer.

Das Problem ist: Das gängige Paradigma ist noch immer, mit Kontrolle zu führen. Chefs geben oftmals nicht nur das „Was“ einer Aufgabe oder eines Projekts vor, sondern auch das „Wie“, die konkrete Umsetzung.

Das verselbstständigt sich. Je mehr Abstimmungsschleifen ich einführe, desto mehr werde ich in irgendwelche Runden und Meetings eingeladen, desto mehr Verantwortung wandert vom Mitarbeiter zu mir.

Das frisst unheimlich viel Zeit und Energie.

Und wie geht es Ihrer Meinung nach besser?

Chefs müssen lernen, mit Autonomie statt mit Kontrolle zu führen. Es ist heute nicht mehr möglich vorauszusehen, was morgen auf Sie und Ihr Unternehmen zukommt.

Der Vorgesetzte weiß einfach nicht mehr die Antwort auf alles. Deshalb müssen Führungskräfte situativ führen und zwischen verschiedenen Rollen changieren. Dazu reichen aus meiner Sicht zwei Stunden.

Welche Rollen sind das?

Im Buch habe ich vier verbleibende Chefrollen genannt. Erstens: der Visionär. Er erklärt dem Team das „Wozu“. Zweitens: der Coach, der zuhört, Stärken sieht, Feedback gibt.

Rolle drei ist die des Ermutigers, der seinen Leuten auch mal „tschakka“ zuruft. Und die vierte Rolle ist die letzte Instanz, die Konflikte offenlegt und klare Entscheidungen trifft, wenn es nötig ist.

Wie sind Sie nach Ihrem Unfall zu diesen Erkenntnissen gekommen?

Ich musste nach meinem Unfall lernen, auszumisten. Was von meinem alten Führungsverhalten kann weg? Was darf bleiben? So habe ich definiert, wozu ich die zwei Stunden am Tag nutzen würde.

In der Praxis ist es mir leichter gefallen, die 20 Prozent, die bleiben durften, auszuwählen statt der 80 Prozent, die wegmussten. So bin ich auf die vier Rollen gekommen.

Sie waren damals Deutschlandchefin von Kentucky Fried Chicken. Was hat der Unfall in Ihrem Team verändert?

Es hat sich eine Wahnsinnsenergie entwickelt. Das habe ich sofort gespürt, als ich wiederkam. Jeder hat mehr Verantwortung übernommen und das sehr gut gemacht.

Das Team hat damals Innovationen beschleunigt und Produkte schneller vorangebracht – nach dem Motto: „Wenn sie wiederkommt, will sie ja auch Ergebnisse sehen.“

Am Ende wurde es das erfolgreichste Geschäftsjahr in meiner Zeit bei KFC. Das war für mich das Zeichen, loszulassen. Auch wenn ich das erst lernen musste.

Wie haben Sie Ihre Rolle in dieser neuen Stimmung wiedergefunden?

Das war alles andere als trivial. Schließlich habe ich mich ja selbst gefragt, wozu es mich als Chef braucht. Ich habe dann aber viel am und nicht im Unternehmen gearbeitet.

Bin die Zukunftsstrategien angegangen, habe Netzwerke gepflegt und mich darauf fokussiert, wie wir Kundenwünsche noch besser erfüllen können.

Das sind alles Dinge, die wichtig sind als Chef, zu denen die meisten aber gar nicht kommen, weil sie mit Kontrollieren beschäftigt sind.

Nun sollte nicht jeder Chef erst vom Pferd fallen, um das Loslassen zu lernen. Was sind Ihre Tipps für Delegier-Anfänger?

Die Chefs müssen es schaffen, ihr Ego zu überlisten. Das geht über Fragen. Wofür lohnt es sich, das eigene Verhalten fundamental zu verändern? Wie könnte eine neue Haltung aussehen.

Wenn ich schon mit dem Glaubenssatz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ an die Arbeit gehe, werde ich vermutlich wenig ändern. Das muss stark aus einem selbst kommen und kontinuierlich trainiert werden.

Führt Delegieren automatisch zu Zeitersparnis?

Es kann sein, dass es am Anfang mehr Zeit kostet. Denn es geht hier ja um Vertrauen. Das baut man nicht in Tagen, sondern eher in Monaten auf.

Es kommt aber auch sehr auf die jeweilige Unternehmens- und Fehlerkultur an. Je hierarchischer eine Organisation ist, desto länger dauert es, bis Erfolge sichtbar werden.

Klar fallen irgendwann Abstimmungsschleifen weg, aber dafür kommt sehr viel Kommunikation dazu. Das habe ich auch nach meinem Unfall gemerkt.

Was mache ich mit Leuten, die partout keine Verantwortung übernehmen wollen?

Das ist ein guter Punkt. Oft ist dieses Verhalten über Jahre systematisch angewöhnt. Wichtig ist, diesen Leuten klar zu sagen, was Ihre Erwartung ist, nämlich: Entscheidung A oder B wandert jetzt ins Team.

Danach sollten Sie bei den Mitarbeitern eine Rückmeldung einholen: Was braucht Ihr dazu, um diese Erwartung zu erfüllen? Manchen ist zum Beispiel die Sicherheit wichtig, dass der Chef auch dann noch hinter einem steht, wenn etwas schiefgeht.

Auf so etwas muss man eingehen – sonst wird das Loslassen im Chaos enden.

Sind Sie Ihrer Stute Rewa im Nachhinein eigentlich dankbar, dass Sie sie aus dem Sattel geworfen hat?

Im Nachhinein ist der Unfall das Beste gewesen, was mir passieren konnte, denn ich habe dadurch gelernt, loszulassen und das Autonomieprinzip entdeckt, aus dem das Buch entstanden ist.

Aus meiner Sicht liegt die Zukunft der Führung darin, die Autonomie der Mitarbeiter in das Zentrum des eigenen Führungsverhaltens zu stellen. Und das hätte ich ohne Rewa nie entdeckt.

Was macht Rewa heute eigentlich?

Es geht ihr gut. Aber ich habe sie leider verkaufen müssen, als ich von Düsseldorf nach Berlin gegangen bin, um mein Start-up zu gründen.

Vom Konzern-Management in die Gründerszene, das war der bisher radikalste Bruch in meinem Leben, würde ich sagen. Viel radikaler als die beiden Brüche nach meinem Unfall.

Frau Klasing, vielen Dank für das Interview.