Neue Uni, neues Glück

Für die einen ist es ein notwendiges Übel, weil sie ursprünglich nicht an ihrer Wunsch-Uni studieren konnten, andere möchten einfach etwas Neues entdecken: Gründe für einen Studienortswechsel gibt es viele.

Vivien Leue | 11.09.2018
Uni Wechsel Probleme Erfahrungsbericht

Marina Welsch wollte immer schon nach Berlin. Nicht nur für ein Wochenende, sondern zum Leben – und zum Studieren. „Die Stadt ist sehr abwechslungsreich und auch für Studenten toll: Man hat die Freie und die Humboldt-Uni zur Auswahl“, schwärmt die 22-Jährige. „Und mein Wechsel hierhin war total unproblematisch.“ Welsch studiert Jura. Zum Wintersemester 2004/2005 schreibt sie sich an der Uni in Mainz ein. Als Notlösung. Ihren Wunschplatz an der Humboldt-Universität (HU) in Berlin hatte sie nicht bekommen. „Mainz ist zwar schön. Aber für mich war eigentlich von Beginn an klar, dass ich nach Berlin möchte.“ Schon im zweiten Semester in Mainz informiert sie sich deshalb über einen möglichen Wechsel.

Nach der Zwischenprüfung erscheint ihr der ideale Zeitpunkt zu sein und so bewirbt sich die Jura-Studentin zum Ende des vierten Semesters in Berlin. Dann heißt es warten: Erst nach Bewerbungsschluss prüft die Fakultät, wie viele Plätze es gibt und wer sie bekommt. „Wir machen ein Ranking nach den Noten des Zwischenprüfungszeugnisses“, erklärt Sonja Wendeler vom Prüfungsbüro der juristischen Fakultät an der HU Berlin. „Mal bekommt man mit sechs Punkten einen Platz, mal mit acht Punkten, das hängt immer davon ab, wie viele Studenten sich bewerben.“ Etwa 100 bis 150 seien das pro Semester, sagt sie.

Marina Welsch kann zehn Punkte vorweisen und gehört zu den Glücklichen, die eine Einladung zur Einschreibung bekommen. „Ich bin dann zum fünften Semester nach Berlin gegangen“, erzählt sie. Die Zwischenprüfung wurde ihr komplett anerkannt. Die Scheine und Zeugnisse zeigte die Jura-Studentin im Prüfungsbüro vor – und war nach zehn Minuten wieder draußen, „so schnell und einfach ging das“.

So glatt wie bei Marina Welsch läuft es nicht immer. „Je nach Fach und Fall ist der Uni-Wechsel einfach bis kompliziert“, sagt der akademische Studienberater Markus Hünemörder von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Einige Studiengänge sind auch zum höheren Fachsemester zulassungsbeschränkt. Dort gibt es nur freie Plätze, wenn Studenten die Uni verlassen. Im Fach Grundschullehramt werden beispielsweise selten Plätze frei, sagt Hünemörder.

Rund 15 Prozent der Studenten wechseln die Uni

Auch Medizin sei ein Studiengang mit schwierigen Wechselbedingungen. „Hier ist ein Studienplatztausch die eleganteste Lösung.“ Große Unterschiede gibt es zudem bei der Beurteilung von erbrachten Leistungen. „Die Anerkennung eines einzelnen Scheins in Anglistik ist beispielsweise leichter als die Anerkennung eines ganzen Fachsemesters in Biologie“, so der Studienberater aus München. Überhaupt gebe es in geisteswissenschaftlichen Fächern oftmals mehr Ermessensspielräume als bei landes- oder gar bundesweit normierten Studiengängen wie Medizin oder Lehramt. Zumindest die Jura-Zwischenprüfung wird aber an vielen Unis in Deutschland problemlos akzeptiert.

Fächerübergreifend wechseln etwa 15 Prozent aller Studierenden im Laufe ihres Studiums die Hochschule. Dabei neigen die angehenden Ingenieure, Mathematiker und Naturwissenschaftler offenbar eher zum „Stubenhocker“, wie Zahlen des Deutschen Studentenwerks zeigen. Aus der jüngsten Sozialerhebung geht hervor, dass nur etwa zwölf Prozent der Studenten dieser Fächer die Hochschule wechseln. Bei den Sprach- und Kulturwissenschaften sowie in den Bereichen Sozialwissenschaften, Pädagogik und Psychologie sind es dagegen 17 Prozent.

Hauptmotivationen für den Uni-Wechsel: Endlich in die Lieblingsstadt ziehen. Einige Studenten wollen auch näher beim Partner sein. Die meisten vollziehen beim Wechsel auch eine fachliche Veränderung. „Ein Hochschulwechsel ist oft mit einem Fach- oder Studienabschlusswechsel verbunden“, sagt Stefan Grob, Sprecher des Deutschen Studentenwerks. Von den Uni-Wechslern gingen sechs Prozent lediglich an eine andere Hochschule – 61 Prozent dagegen wechselten auch gleichzeitig Fach und Abschluss.

So wie Stefanie R. Bei der Psychologiestudentin reift bereits im zweiten Semester der Gedanke, die Dortmunder Uni zu verlassen. „Ich war unzufrieden mit der Uni und der Organisation. Vieles war einfach chaotisch“, erzählt die 23-Jährige. „Außerdem wollte ich gerne auf Diplom studieren. Das ging in Dortmund aber nicht mehr – dort hatte gerade der Modellversuch des Psychologie-Bachelors begonnen.“

Als möglicher neuer Studienort steht Bremen auf ihrer Liste. „Ich bin einfach dorthin gefahren, habe mir die Stadt angeschaut und mich gefragt: Fühle ich mich hier wohl? Was sagt mein Bauch?“ Das Bauchgefühl sagte Ja, die 23-Jährige bewirbt sich zum Wintersemester 2006 – und wird angenommen. „Ich konnte aber nicht ins dritte Semester wechseln, in das ich eigentlich kam, sondern musste wieder im ersten Semester anfangen.“ Sie bereut ihre Entscheidung trotzdem nicht: „Ich empfinde den Wechsel als eine sehr große Bereicherung. Es macht einen an Erfahrung reicher – auch an negativer.“

Studienberater Hünemörder von der LMU München macht Studenten trotz der Schwierigkeiten Mut: „Der Wechsel funktioniert meistens, aber man muss mit vielen Leuten reden und am Ende läuft es bei der Anerkennung von Scheinen oft auf eine Einzelfallentscheidung hinaus.“ Die Zentralen Studienberatungen eignen sich als erste Ansprechpartner. „Am Ende entscheiden dann die Fachstudienberatungen und das Prüfungsamt.“ Hünemörders Tipp: „Dort möglichst persönlich vorbeigehen und nicht nur einen Brief schreiben.“

So machte es auch Stefanie R. Mit viel Sorgfalt stellte sie eine Mappe mit ihren Prüfungsunterlagen zusammen und klopfte an die Türen der Bremer Professoren. „Das Anerkennen der Scheine war aber dennoch schwierig“, erzählt sie. „Viele Seminare in Dortmund galten nur als ,bestanden‘, ohne Noten.“ Die Bremer akzeptierten unbenotete Scheine jedoch nicht. Die meisten Prüfungen musste Stefanie R. daher in der Hansestadt nachholen. „Das erste Semester in Bremen habe ich mich hauptsächlich auf die Prüfungen vorbereitet und nur wenige Kurse besucht. Ich kannte den Stoff ja schon aus Dortmund“, erzählt die 23-Jährige. Dadurch traf sie aber nur wenige neue Kommilitonen. „Im zweiten Semester hatten sich schon Grüppchen gebildet“, erinnert sie sich. Da war es gar nicht so leicht, noch reinzukommen.

Neue Stadt, neue Freunde, neues Leben – nach Erfahrungen von Studienberatern wechseln einige Studenten genau dafür den Hochschulort. „Wer mit sich und seiner Lebenssituation unzufrieden ist, wird das auch an einer neuen Uni kaum anders erleben“, sagt der Leiter der Psychotherapeutischen Beratungsstelle der Uni Freiburg, Albert Fersching. „Man nimmt die Schwierigkeiten, die man mit sich selbst hat, auch an eine neue Uni mit.“ Er rät Wechselwilligen, sich deshalb genau zu fragen: Was will ich mit einem Studienortswechsel erreichen?

In Europa warten oft Probleme

Moritz Sprenger wollte weg aus Siegen und endlich wieder Hockey spielen – das ging in der sauerländischen Stadt nicht. Seit diesem Semester studiert er BWL an der Wirtschaftsuni in Wien – und ist hellauf begeistert. „Wien ist einfach super“, sagt der 21-Jährige. Noch weiß er nicht, welche Scheine ihm anerkannt werden. „Du kannst deine Prüfungen erst zur Anerkennung geben, wenn du hier eingeschrieben bist“, erklärt Moritz. Er hat zwar bereits zwei BWL-Semester in Siegen absolviert, doch wenn er Pech hat, muss er in Wien noch einmal von vorne anfangen. Denn obwohl die Umstellung auf den Bachelor den Wechsel auch innerhalb Europas vereinfachen soll – in der Praxis funktioniert das noch nicht immer.

Die Probleme bei innereuropäischen Studienortswechseln kennt Peter Zervakis gut. Er ist Projektleiter im Bologna-Zentrum der Hochschulrektorenkonferenz: „Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Studienleistungen ist trotz der Bologna-Reformen noch immer sehr schwierig und nicht überall selbstverständlich“, sagt Zervakis. Noch seien die Studiengänge im EU-Raum nicht gleichwertig.

Moritz Sprenger ging trotz der Anerkennungsprobleme nach Wien. In Siegen fühlte sich der gebürtige Hamburger überhaupt nicht wohl. „Ich wollte dort von Anfang an nicht hin“, sagt er. Zum Sommersemester 2007 hatte er von der ZVS Siegen als Studienort zugewiesen bekommen. „Das war erst mal ein Schock“, erinnert er sich. „In Siegen konnte ich noch nicht einmal Hockey spielen“, sagt der passionierte Sportler.

Bereits zu Beginn des Studiums beginnt der BWL-Student, nach einer Alternative zu suchen. Ein Freund schwärmt von Wien und weckt sein Interesse. Neben der österreichischen Hauptstadt bewirbt er sich noch an einem Dutzend Hochschulen in Deutschland. „In Wien wurde ich sofort genommen, von einigen Unis in Deutschland habe ich dagegen erst kurz vor dem Semesterbeginn eine Zusage erhalten.“ Da stand für Sprenger längst fest, dass er nach Wien gehen würde. „Ich bin für drei Tage hierher geflogen, habe mir Wohnungen angeschaut und das gleich mit dem Einführungstag an der Uni kombiniert.“ Der 21-Jährige ist sofort begeistert. Auch das Einleben in die neue Umgebung und an der neuen Uni klappt prima – trotz vieler Veränderungen. „Es ist schon anders hier, die Vorlesungen sind beispielsweise drei bis vier Stunden lang, das bin ich gar nicht gewohnt.“ Zu jedem Kurs stehen die nötigen Unterlagen und Übungen im Internet bereit. Anwesenheitspflicht besteht nicht. „Ich gehe daher nicht immer in die Vorlesungen“, gibt Sprenger zu. Viel lieber entdeckt er seine neue Stadt – und spielt dreimal die Woche Hockey. „Der Wechsel war genau das Richtige, auch wenn ich wieder im ersten Semester anfangen musste.“

Negativ-Erfahrungen machen viele Studenten auch beim innerdeutschen Studienortswechsel, beobachtet Regina Weber. Die 25-Jährige ist Vorstandsmitglied beim Freien Zusammenschluss der StudentInnenschaften. Sie selbst studiert an der Uni Potsdam. „Die Studiengänge sind oft einfach nicht die gleichen“, sagt sie. Es gebe unterschiedliche Schwerpunkte und Studiengangskonzepte, „beispielsweise mal mit einem, mal mit zwei Bachelor-Fächern.“

Zudem fehle den Hochschulen das Vertrauen in andere Hochschulen. Das zeigt sich besonders beim Übergang vom Bachelor zum Master. „Die Zugänge zum Master werden oft so gestaltet, dass sie nur zu den eigenen Bachelor-Abschlüssen passen“, so Weber. Wer sich nach dem Bachelor an einer fremden Hochschule bewirbt, habe oft schlechtere Chancen als Bewerber der dortigen Uni. Bei einem Studienortswechsel zum Master kommt erschwerend hinzu, dass die Zeit zwischen dem Bachelor-Abschluss und dem Beginn des Masterstudiums meist sehr kurz ist. Den Bachelor-Absolventen bleiben nur wenige Wochen, um sich mit dem Abschlusszeugnis zu bewerben, nach Wohnungen zu suchen und umzuziehen. „Wer das nicht schafft, verliert ein ganzes Jahr“, sagt Weber.

Stefanie R. erinnert sich heute nur noch schmunzelnd an ihren Bewerbungsmarathon. „Der Wechsel war viel Papierkram und Rennerei“, sagt sie, „aber es hat sich gelohnt.“ Sie fühlt sich an der neuen Uni besser gefördert und hat das nordisch-kühle Bremen ins Herz geschlossen. Moritz Sprenger möchte nach den Dutzenden Bewerbungen seine Erfahrungen jetzt an andere Studenten weitergeben. Er bastelt an einer Internetseite, die Infos und Ratschläge rund um den Uni-Wechsel geben soll.