Verzicht in der Chefetage: Wie ein origineller Diätplan zum gesunden Management beiträgt

Weniger ist mehr: Fasten schafft eine neue Wahrnehmung und bringt Gewinn – nicht nur beim Essen, sondern auch beim Führen. Die Sechs-Punkte-Diät zum Erfolg.

Anne Koschik | 17.11.2021
Diätplan für Manager: Wer sich weniger auflädt und abgibt, schafft Potenziale, Energie und ist erfolgreicher.

Weniger ist mehr Diätplan für Manager: Wer sich weniger auflädt und abgibt, schafft Potenziale, Energie und ist erfolgreicher. © Karriere Foto: Ursula Gamez on Unsplash

Wenn es rundherum zu viel wird, kann die Kunst des bewussten Verzichts und des Loslassens hilfreich sein: Das haben Führungskräfte-Coachin Nathalie Karré und Helga Pattart-Drexler, Head of Executive Education der WU Executive Academy der Wirtschaftsuniversität Wien, mittels Impact Forschung herausgefunden.

In zahllosen Gesprächen in Unternehmen und mit Führungsteams haben sie erkannt, wovon sich Führungskräfte besser trennen sollten, um einen Reinigungsprozess im Unternehmen in Gang zu setzen und neuen Schwung zu entwickeln.

Ihre Diät setzt an im Erkennen des Zuviel: von Reizüberflutung über schlechte Nachrichten, Workload und Fremderwartungen, Coronakrise, Home Office, einem Wandel bei den Arbeitsprozessen und im Führungsverständnis, neuen technologische Anforderungen bis hin zum Tagesgeschäft mit Quartalszielen und dem ständigen Erfolgsdruck.

Da hilft nur noch bewusster Verzicht. Und der ist schwer: „Wir haben oft die Angst, dass, wenn wir auf etwas verzichten, uns etwas verloren geht“, sagt die Expertin für Führungskräfteentwickung, Helga Pattart-Drexler. „Diät heißt in diesem Fall: Führungskräfte geben etwas ab und befreien sich von einer Last.“ Im Verzicht liege damit ein Gewinn – an mehr Fokus, mehr Qualität im Tun, mehr Raum für neue Ideen und Lösungen.

Enthaltsamkeit schafft Kraft und Energie

„In der Enthaltsamkeit beim Fasten oder Meditieren erhält man mehr Klarheit, mehr Kraft und Energie, eine intensivere Wahrnehmung. Alles was man einschränkt, nimmt man danach verstärkt wahr“, so Management-Trainerin Karré, die in ihrem Buch „Der Jungbrunnen-Effekt“ das „echte“ 16-Stunden-Fasten propagiert und daraus auch Lehren für die Führung abgeleitet hat.

Im Gegensatz zu anderen Management-Lehren liegt die Erfolgsgarantie nicht unmittelbar im messbaren monetären Gewinn der einzelnen Führungskraft, sondern in der Auswirkung auf andere: Das „Übergewicht“ wird auf das Team verteilt. „Die Teilhabe der anderen lässt die Diät gelingen“, sagt Expertin Pattart-Drexler. Bislang hätten sich Führungskräfte oft allein ein Ziel gesetzt. „War dann keine Zeit dafür oder stimmte der Umsatz auch so, wurde am Führungsstil nichts geändert.“

Und so funktioniert die Diät fürs Management:

1. Sich von Energiefressern trennen

Das Problem: Gerade in großen Unternehmen haben sich häufig Projekte, Prozesse und Strukturen angesammelt, die weiterverfolgt werden, obwohl sie niemand vermissen würde. Dabei binden sie Ressourcen, Arbeitszeit und Arbeitskraft.

Die Verschlankung: „Energiefresser gemeinsam mit den eigenen Mitarbeitern zu identifizieren und mal ordentlich zu entrümpeln, macht Raum, Zeit und Energie für neue Projekte und effektivere Abläufe frei“, sagt Helga Pattart-Drexler. Das löst Verzögerungen, Überforderungen, Ineffektivität und Frust im Team auf.

2. Macht abbauen

Das Problem: Gerade in traditionellen, sehr hierarchisch strukturierten Unternehmen würden Machtverhältnisse zementiert – und die, die am lautesten schreien, mit dem Aufstieg belohnt. „In solchen Strukturen nutzen Menschen oft die Leistung, Ergebnisse und Netzwerke anderer zu ihrem Vorteil“, kritisiert Nathalie Karré. Dass einzelne Führungskräfte sich Lorbeeren für die Leistungen ihres Teams abholen, müsse der Vergangenheit angehören, sagt auch Helga Pattart-Drexler.

Die Verschlankung: „Führungskräfte sollten nach Mitarbeitern Ausschau halten, die besser und anders sind als sie“, sagt Karré. Denn nicht der Vorteil für den Einzelnen zähle: „Erfolg setzt sich schließlich aus der Summe der Leistungen aller im Team zusammen.“ Wichtig sei, „sich zurückzunehmen und den Mitarbeitern und ihren Meinungen Raum zu geben.“

3. Sich von Glaubenssätzen verabschieden

Das Problem: Oft sind Führungskräfte von ihren eigenen Glaubenssätzen geprägt. „Nicht selten werden Experten zu Führungskräften befördert – wegen ihres ausgezeichneten Fachwissens, nicht aber wegen ihrer Führungskompetenz – trotzdem mit einem riesigen Hebel für zehn, 50, 100 Mitarbeiter“, so Führungskräfte-Coachin Karré.

Die Verschlankung: Sich zu verabschieden von althergebrachten Praktiken, ist unbedingt notwendig Dazu gehöre zum Beispiel auch der Glaubenssatz, „als Führungskraft kein Feedback zu benötigen“, sagt Karré. Eine Führungskraft, die nie ehrliches Feedback erhält, könne kaum zu einer positiven Unternehmenskultur beitragen. „Ich kann nur wachsen und mein Team mit mir, wenn wir uns die eigenen blinden Flecken regelmäßig ansehen“, sagt auch Helga Pattart-Drexler.

4. Emotionalen Stress vermeiden

Das Problem: Der Arbeitsalltag mit all seinen Aufgabenstellungen, neuen Anforderungen – siehe Coronakrise – und Erwartungen ist gerade für Führungskräfte fordernd. Stressbedingte Unausgeglichenheit ist die Folge.

Die Verschlankung: Mit Selbstmanagement lässt sich das lösen. Dazu gehöre, Emotionen zwar anzuerkennen, sie aber nicht unkontrolliert an anderen Menschen auszulassen und sich bei überbordendem Stress ausgleichende, beruhigende Aktivitäten, wie zum Beispiel Meditation, zu suchen. „Wer in sich selbst ruht und sein Leben in Balance hält – dazu gehören Arbeit, Freizeit, Familie, Gesundheit und Zeit für sich selbst – der kann auch anderen Entwicklungsräume erlauben“, sagt Expertin Karré.

5. Nicht alles kontrollieren wollen

Das Problem: Kontrolle gibt zwar vermeintlich Sicherheit, ist in der Wirtschaft – und Gesellschaft – des 21. Jahrhunderts aber eine Illusion. „Wir können uns nicht mehr für alles absichern, nicht mehr alle Faktoren in Entscheidungen einbeziehen und daher weder planen noch kontrollieren“, sagt Helga Pattart-Drexler.

Die Verschlankung: „Relax, nothing is under control.“ Dieser Spruch hat sich spätestens seit der Corona-Krise mehr als bewahrheitet. „Endlich stehen wir nun vor der Situation, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern mehr vertrauen“, sagt Nathalie Karré. Die Learnings aus der Corona-Zeit müssten in die gemeinsamen Arbeitsprozesse in Zukunft integriert werden.

6. Verantwortung abgeben

Das Problem: Sich für alles verantwortlich fühlen und für die Mitarbeiter entscheiden zu müssen, Experte für alles sein und alles wissen zu müssen: Diese Vorgaben stammen noch aus „Command & Control“-Führungsmustern. Führungskräfte müssen heute zunehmend das große Ganze im Auge behalten: das Zusammenspiel des Teams, die strategische Ausrichtung, die Ziele des Projekts, der Abteilung, des Unternehmens.

Die Verschlankung: Verantwortung abzugeben wird zur Notwendigkeit, um den Kopf für die Menschen- und Strategieführung freizuhaben. Eine Studie von Wayne Baker zeigt deutlich: Dort, wo Menschen andere mit Wissen versorgen, sie ermutigen, Energie ins System hineinbringen und lösungsorientiert agieren, steckt die meiste Leistung in Unternehmen.

Sich dabei mit der individuellen Persönlichkeit der Mitarbeiter auseinanderzusetzen und ihre Kompetenzen weiterzuentwickeln, sei eine der wichtigsten Führungsaufgaben überhaupt, sagt Nathalie Karré.

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