DAK-Studie : Vor allem Arbeitnehmer ab 60 nehmen Pillen gegen Stress

Eine Studie zeigt: Wer besonders gut in seinem Job sein will, greift eher zum Hirndoping.

Angelika Ivanov | 14.11.2024
Vor allem Beschäftigte ab 60 greifen zu Gehirndoping. Das zeigt ein Bericht der DAK.

Pillen gegen Stress Vor allem Beschäftigte ab 60 greifen zu Gehirndoping. Das zeigt ein Bericht der DAK. Quelle: Michael Longmire/ unsplash © Karriere

Ob Antidepressiva, Stimulanzien oder Betablocker: 700.000 Beschäftigte nehmen rezeptpflichtige Medikamente, um im Job zu bestehen – zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Krankenkasse DAK. Damit ist der Anteil der Deutschen, die sich im Job regelmäßig dopen, seit Jahren gleichbleibend hoch. Während 3,1 Prozent mindestens einmal im vergangenen Jahr gedopt haben, griffen 1,8 Prozent der Beschäftigten regelmäßig zu Pille.

Untersucht wurden sogenannte Neuro-Enhancer, also Medikamente, die die Gedächtnisleistung oder Stimmung verbessern. Das umfasst Wirkstoffe wie Metoprolol gegen Bluthochdruck und Stressabbau, Fluoxtin gegen Depressionen, Memantin gegen Alzheimer und Demenz und Methylphenidat gegen ADHS.

Die Dunkelziffer dürfte laut den Autoren noch deutlich höher ausfallen. Denn das Wissen über das Thema nimmt zu. Mehr als 70 Prozent der berufstätigen Deutschen gaben an, dass ihnen bekannt ist, dass sie mit verschreibungspflichtigen Medikamenten ihre Leistung im Job verbessern könnten. Zum Vergleich: Als die Krankenkasse das Thema 2008 untersucht hat, war Doping im Job noch weniger als jedem zweiten Berufstätigen zwischen 18 und 65 Jahren bekannt.

Und was bedeutet das jetzt?

„Der Medikamentenmissbrauch ist kein Massenphänomen“, sagt Andreas Storm, Vorsitzender des Vorstandes der DAK-Gesundheit. „Dennoch zeigt unsere Analyse, wie wichtig gesunde Rahmenbedingungen im Job sind. „Arbeitsanforderungen dürfen Mitarbeiter nicht dazu verleiten, bessere Ergebnisse mithilfe von Medikamenten erzielen zu wollen.“

Wer Angst um seinen Job hat, greift eher zur Pille

Für die Studie wurden die Arzneimitteldaten von 5,6 Millionen erwerbstätigen Versicherten analysiert und zusätzlich mehr als 5500 Berufstätige befragt.

Doch warum benötigen so viele Arbeitnehmer Stimmungs-Aufheller am Arbeitsplatz? Liegt es am Leistungsdiktat der modernen Gesellschaft? An zu viel Stress? Den eigenen Erwartungen?

Oder doch an den vielen Unsicherheiten, hervorgerufen durch mehr Flexibilität, Digitalisierung, Klimakrise und Globalisierung?

Laut DAK-Studie sind zu viel Leistungsdruck, Stress und Überbelastung die häufigsten Gründe für Doping. Die meisten Arbeitnehmer dopen ihr Gehirn, um berufliche Ziele besser zu erreichen. Das gab jeder Zweite an, der regelmäßig Medikamente einnimmt. Vier von zehn der betroffenen Arbeitnehmer greift zur Pille, um nach der Arbeit noch Energie und gute Laune für Privates zu haben.

Aber auch die Unsicherheit durch Entlassungen, Pleiten und Digitalisierung ist ein häufig genannter Grund für Doping. Wer Angst um seinen Job hat, greift eher zur Pille.

Vor allem ältere Arbeitnehmer greifen zum Hirndoping

Das gilt vor allem für Männer. Jeder vierte männliche Betroffene glaubt, dass er ohne Mittel emotional nicht in der Lage sei, seine Arbeit zu schaffen. Bei den Frauen hatte nur jede achte Angst, nicht mehr mithalten zu können.

Dabei gibt es bei der Häufigkeit der Nutzung keinen Unterschied. Frauen nehmen Neuro-Enhacer aber aus anderen Gründen. Jede vierte Beschäftigte gab an, durch die Mittel den Kontakt mit anderen Menschen auszuhalten.

Das Klischee des dopenden Top-Managers bestätigt die Studie hingegen nicht. Der typische Konsument von Anti-Stress-Mitteln ist weder der Börsenhändler, der täglich mit Millionen Euro oder Dollar jongliert, noch der Chirurg, der stundenlang im OP steht, oder der Unternehmenslenker mit Verantwortung für tausende Mitarbeiter.

Die Auswertung kommt zu dem Ergebnis, dass vor allem ältere Arbeitnehmer nachhelfen. So ist die Verbreitung unter 60- bis 65-Jährigen am höchsten. 4,4 Prozent von ihnen haben innerhalb der vergangenen Monate mindestens einmal gedopt. Das ist ein Drittel mehr als der Durchschnitt, der bei 3,3 Prozent liegt.

Bleibt die Frage, woher die Deutschen ihre Pillen und Pulver bekommen?

Die Bezugsquellen für die Medikamente sind genauso zahlreich wie die Beweggründe für die Einnahme. Jeder zweite bekommt die Pillen sogar auf Rezept vom Arzt. Jeder siebte beschafft sich die Mittel von Freunden, Bekannten oder aus der Familie. Jeder zwölfte hingegen bestellt sie rezeptfrei im Internet.

DAK warnt vor Abhängigkeit

Klaus Lieb ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz. Er warnt vor dem Kauf im Netz. „Der Bezug ist riskant. Dort gibt es viele Medikamentenfälschungen, die ohne Rezept abgegeben werden und der Gesundheit erheblich schaden können“, sagt er.

Außerdem gibt er zu bedenken, dass die Wirkung oft nur kurzfristig sei und einen „minimale Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit“ habe. Die negativen Folgen wie Kopfschmerzen, Schwindel, Nervosität und Schlafstörungen könnten hingegen langfristig sein.

Psychiater Lieb schlägt vor, dass Betroffene stattdessen lieber an der eigenen Erwartungshaltung arbeiten sollten. So sind häufig die individuellen Ansprüche der Auslöser für zu viel Stress im Job. Und gerade das lässt sich selten mit einer Pille herunterschlucken.

Wirksamer seien soziale Kontakte, Achtsamkeit, Umdenken und das aktive Herangehen an herausfordernde Situationen, so Lieb.

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