Mein Sechser im Lotto war Otto

Robert Gernhardt gilt als einer der erfolgreichsten deutschen Dichter der Gegenwart. Angefangen hat er als Nonsenslyriker und als Ghostwriter von Blödelbarde Otto Waalkes. Mit uns sprach Gernhardt im Jahr 2005 über Geld, Literatur und Karriere.

Martin Roos | 23.01.2006

Die Fragen stellte Martin Roos

Guten Tag Herr Gernhardt, reimen Sie doch mal etwas auf „pervers“.
Robert Gernhardt: Tja, meine Reime sind recht teuer, per Vers bekomm‘ ich tausend Eier.

So viel kriegen Sie per Zeile?
Nein. Natürlich nicht. Ich habe mal in der Werbebranche gearbeitet. Da kam so etwas schon eher vor.

Sind Sie reich?
Ich muss mir keine Gedanken über meine Ausgaben machen. Das war aber schon früher so. Ich hatte immer etwas mehr Geld, als ich ausgab. Auch als Student mit 150 Mark im Monat habe ich auch nie Schulden gemacht.

Wo hatten Sie das Geld her?
Ich bekam Bafög und ich habe gejobbt. Als Latein-Nachhilfelehrer, als Hilfskraft in einer Schreinerei, im Tiefbau und in der chemischen Industrie.

Zur Person: Robert Gernhardt, 69, geboren in Tallinn, Abitur in Göttingen, Studium der Malerei und Germanistik in Stuttgart und Berlin. Gernhardt ist Mitbegründer der „Neuen Frankfurter Schule“, einer Gruppe von Satirikern, deren Publikationsorgan nach der Zeitschrift Pardon das Satiremagazin Titanic wurde. Seit 1964 lebt er als freiberuflicher Maler, Zeichner, Karikaturist und Schriftsteller in Frankfurt am Main. Sein Durchbruch gelang ihm in der Zusammenarbeit mit Otto Waalkes – als Autor für Ottos TV-Shows, Bücher und Filme. Im Laufe der 1990er Jahre wurde Gernhardt zunehmend als Lyriker bekannt. Seine erste Frau starb 1989. Seit 1990 ist er in zweiter Ehe verheiratet. Seit Anfang des Jahres ist er Gastprofessor an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Ich habe Geld und Geldangelegenheiten stets ernst genommen. Wenn ich mir etwas geliehen habe, gab ich es stets zurück. Ich habe immer darauf geachtet, dass der Geldpegel so hoch war, dass ich mir das, was ich wirklich brauchte, leisten konnte.

Für was geben Sie heute das meiste Geld aus?
Ein Instinkt bringt mich dazu, im Rahmen meiner finanziellen Möglichkeiten zu bleiben. Und der Instinkt sagt mir, du hast keine Motoryacht zu wollen. Ich habe immer viel Geld für Bücher ausgegeben.Und für größere Wohnungen, um Platz für die Bücher haben. Stimmt, wenn ich nicht meine knapp 300 Quadratmeter-Wohnfläche hätte, könnte ich meine Bücher nicht mehr nutzen.

Sie, als ehemaliger Nonsenslyriker, zählen zu den erfolgreichsten deutschen Dichtern der Gegenwart. Gibt es eigentlich viele Neider in der Literatur-Branche?
Untereinander hegen wir bestimmt hin und wieder finstere Gedanken. Ich habe da mal einen Vierzeiler gemacht: „Ob ich dem X seinen Bucherfolg neide? Die Welt ist doch groß, sie hat Platz für uns beide. Der nimmt mir doch nichts, diese schmierige Kröte, außer dem Ruhm und die Fraun und die Knete.

Geht das wirklich so zu?
Mit Sicherheit. Das ist ein realistischer Blick auf die Welt der Literatur. Der Platz ist begrenzt. So wie auch die öffentliche Aufmerksamkeit begrenzt ist. Die kann sich nicht allzu viele Namen merken

Sind Sie ein 68er?
Nein, dafür war ich zu alt, nämlich ein Jahr über 30: Jahrgang 1937. Damals hieß es ja: Trau keinem über 30. Außerdem hatte ich schon geheiratet und stand im Berufsleben. Der richtige 68er war Student und lebte in der Welt der Möglichkeiten. Ich saß damals neben einem 68er-Mädel bei einer Fete. Die fragte mich, was ich mache. Ich sagte: Ich male. Sie frage: Haste schon ein Bild verkauft? Ich sagte, ja. Ihr Erwiderung: Schon korrupt

Was ist für Sie Karriere?
Ursprünglich wollte ich Maler werden, bin als Maler angetreten, hatte Erfolge, machte aber keine Karriere. Zehn Jahre habe mich sehr intensiv bemüht, bis ich an einem Punkt kam, an dem ich feststellte, dass ich nicht mehr erreichen werde. Irgendwie war auch die Liebe zur Malerei nicht mehr so groß. Allerdings habe ich parallel zum Malen immer geschrieben. Ich schrieb für Funk und Fernsehen und natürlich für Zeitschriften. Anfänglich war es für mich erst einmal eine Möglichkeit, mich zu unterhalten – auch finanziell. Ich schrieb nie für die Schublade, immer für die Öffentlichkeit. Dass ich heute im renommierten Fischer-Verlag publizieren darf, bedeutet für mich so etwas wie ein Happy End

Viele werfen Ihnen vor, dass Sie ja „nur“ als Nonsenslyriker bekannt geworden sind. Kränkt sie das?
Überhaupt nicht, weil es stimmt. Ich habe viele Dinge geschrieben, die mir einfach nur Spaß gemacht haben. Gleichzeitig hatte ich das Glück, es immer irgendwo unterbringen zu können. Zuerst in der Satirezeitschrift Pardon, ab 1979 in der von Hans Traxler, FK Waechter, Chlodwig Poth, Pit Knorr und mir gegründeten Zeitschrift Titanic. Jeder von uns legte damals 50.000 Mark hin. So hielten wir zusammen 26 Prozent der Anteile. Das war wichtig, denn wir wollten ein Mitspracherecht haben und uns nicht reinreden lassen. Ich hatte eine Doppelseite „Gernhardts Erzählungen“ – Bildergeschichten – und schrieb für die Rubrik „Humorkritik“, in der wir komische und witzige Produkte anderer kritisierten. Beides war für mich damals wichtig. Ich wollte Komisches produzieren und zugleich herausfinden, wie Komik funktioniert und was mich zum Lachen bringt

Der Glückstreffer Ihres Lebens war Otto Waalkes 1973?
Die Begegnung mit ihn war für mich tatsächlich so etwas wie ein Sechser im Lotto. In „Pardon“ hatten wir die Nonsensdoppelseite „WimS“ ins Leben gerufen. Otto war einer der Leser und trug Texte dieser Seite auf der Bühne vor. So zum Beispiel ein Gedicht, das mit den Worten beginnt: „Lieber Gott, nimm es hin, dass ich was Besondres bin.“ Dieser Sechszeiler war nicht mit einem Autorennamen gekennzeichnet. Otto gab sich deswegen – etwas arglos – als Verfasser aus. Darauf schrieb ihm die damalige Pardon-Redaktion einen Brief. Otto und ich kamen ins Gespräch und arbeiteten fortan zusammen, zuerst für seine TV-Shows, dann die Bücher und Filme. Mit von der Schreiberpartie waren Pit Knorr und Bernd Eilert

Da konnten Sie dann viel Geld verdienen?
Dank der ersten „Otto-Bücher“ und des ersten Otto-Films. Das Geld steckte ich in ein „Aufbauprojekt“. Mit Freunden hatte ich in den 70er Jahren ein Haus preiswert gekauft, dem allerdings zwei Stockwerke durch Kriegsschäden fehlten. Die konnte ich draufsetzen.

Nichts ist eben schlimmer als Geld, das rumliegt.
Von mir aus kann es auch rumliegen. Ich habe dem Geld gegenüber sowieso immer ein schlechtes Gewissen. Wenn ich die Finanzseiten der Zeitungen in die Hand nehme, sagt mir eine innere Stimme: Du musst das lesen, um zu wissen, was sie dir da raten. Dein Geld will doch arbeiten. Aber stattdessen arbeite ich lieber selbst

Es gibt für Sie vielerlei Titulierungen. Der Wilhelm Busch der Gegenwart. Der Humorkritiker, der Meister des blühenden Schwachsinns. Der Reimer von hohem Rang. Gefallen Ihnen solche Titel?
Zum Teil sind sie sehr dumm. „Blühender Schwachsinn“ – nein, das mache ich nicht. Der Begriff „Nonsens“ meint nicht Blödsinn oder Schwachsinn. Nonsens ist regelmäßig verweigerter Sinn. Wer Nonsens macht, muss den Betrachter erst in ein scheinbar stabiles Sinngebäude hineinlocken, um ihn dann vor die Wand fahren zu lassen. Dazu braucht es durchaus Intelligenz

Gefallen Ihnen die heutigen Trash- und Comedy-Künstler?
Manche schon, die Leute von der Schillerstraße, Olli Dietrich oder Bully mit seinem Film „Der Schuh des Manitu“. Gut gemachte Sachen. Im Verhältnis zu meinen Anfängen (1962) hat sich nicht so sehr die Qualität, als vielmehr die Quantität der Komik verändert: Für Komiker gibt es heute viele Auftrittsmöglichkeiten in TV, Radio und Printmedien. Das ist gut, jedenfalls besser als früher. Heute können die Komiker und Komiktexter erst einmal Geld verdienen. Möglicherweise hilft das ihnen, finanziell unabhängig die komischen Dinge zu machen, die sie selber lustig finden, unabhängig von Quote und Publikum

Und Otto Waalkes?
Otto ist immer noch eine Ausnahmeerscheinung. Ein Prototyp eines Gauklers, der ein bisschen zaubern kann, ein bisschen Rollschuhlaufen, ein bisschen Keyboard und sehr viel Gitarre beherrscht, der das Publikum packen und zum Lachen bringen kann

Wären Sie auch gerne mehr aufgetreten?
Nein. Diese Fixierung auf die Auftrittskomik gibt ein völlig falsches Bild wieder von dem, was oder wer eigentlich komisch ist. Denn hinter all diesen Komikern stehen immer Schreiber. Und die sind für mich die wichtigeren Komikproduzenten. Das wirklich Neue passiert in der Regel am Schreibtisch. Und nicht erst auf der Bühne

Sie sind vom Otto-Ghostwriter heute zum Gastprofessor an der Düsseldorf Heinrich-Heine-Universität avanciert. Amüsiert Sie das?
Ja, das amüsiert mich

Ist die Auszeichnung für Sie ein Ritterschlag für die ernst zu nehmende Lyrik, die Sie machen?
Nun, eines kann man der deutsche Kritik nicht vorwerfen – nämlich, dass sie mir meine abseitigen Tätigkeiten für die Comedy übel genommen hätte. Mir ist das nie vorgehalten worden, wenn – beispielsweise – ein neuer Gedichtband zur Rezension anstand. Dafür bewundere ich die deutsche Kritik

Was erhoffen Sie sich von Ihrer Gastprofessur?
Ich möchte den Leuten sagen: Habt keine Angst vor Gedichten. Lyrik soll man lesen, auswendig lernen, mit sich tragen – sie wird es einem auf vielfältige Weise vergelten

Als Download oder SMS?
Es gibt SMS-Gedichte. Ich habe Kurzgedichte aus meiner Feder in einem Bändchen von SMS-Gedichten wiedergefunden. In Ordnung. Wo und wie ich gelesen werde, ist nicht so wichtig. Ich habe sogar mal Zeilen von mir auf einer Klowand in der Uni von Münster entdeckt. Da stand: Der Habicht fraß die Wanderrate, nachdem er sie geschändet hatte.

Wie wichtig ist Lyrik heute?
Lyrik ist lebenssteigernd. Sie ist nicht muffig, trüb und erklärungsbedürftig, wie viele annehmen. Es gibt sehr viel Helles und Schnelles in der Welt der Lyrik. Was gibt es Schöneres, als gute Worte zu lesen oder zu hören, die große Menschen in ihren Sternstunden gefunden und aufgeschrieben haben. Die zu lesen und zu memorieren, bedeutet doch auch, dieses Lebensgefühl zu teilen. Gedichte beschleunigen außerdem das eigene Lebensgefühl, weil sie so kompakt sind.

Es wird immer wieder versucht, Literatur populärer zu machen, zum Beispiel auf dem Literaturfestival Lit. Cologne, das Mitte März stattfindet. Ich war mehrfach dort, im letzten Jahr habe ich einen Vortrag über Schiller gehalten. Da kamen 700 Leute. Freiwillig. Die mussten mir ein einhalb Stunden zuhören. Und zwar nicht Schiller-Scherze, sondern durchaus Ernsthaftes zum Dichter Schiller. Das war schon großartig. Natürlich kommen die Leute auch wegen der Namen oder wegen des Events und nicht nur wegen der Literatur. Aber unterm Strich ist es sehr lobenswert, dass solch eine Veranstaltung auf die Beine gestellt wurde.

Haben Sie Kontakt zur schweren deutschen Literaturszene?
Nein, zur schweren nicht. Früher nicht zur Dichtergruppe Gruppe 47, heute nicht zu Leuten wie oder Grass. Aber Hans-Magnus Enzensberger und Peter Rühmkorf bin ich schon mehrmals über den Weg gelaufen.

Keine Kontakt zu Böll gehabt?
Nur virtuell. Ich habe ihm mal einen Vierzeiler gewidmet: „Der Böll war als Typ wirklich klasse. Da stimmten Gesinnung und Kasse. Er wär‘ überhaupt erste Sahne, wären da nicht die Romane.

Was raten Sie jungen Leuten, die heute mit Schreiben ihr Geld verdienen wollen? Lohnt es sich in dieser schlechtbezahlten Branche zu arbeiten?
Ich bin doch ein gutes Beispiel dafür, wie es auch geht. Ich bin nicht als Dichter angetreten. Ich hatte ein Ausdrucksverlangen und kam in eine Gruppe von Leuten, denen es ähnlich ging. Die meisten Künstler des Komischen haben erst in Gruppen zusammengearbeitet, bevor sie dann allein aufgetreten sind. Man muss in einem Umfeld groß werden, in dem man seine komische Kraft erproben kann. Das Ernsterwerden stellt sich schon früh genug ein.

Was ist komische Kraft?
Einfallsreichtum, starker Ausdruckwillen. Pointenhunger. Man muss etwas in Erfahrung bringen wollen, man muss etwas zu sagen haben und man muss lachen machen wollen.

Sind Sie nun der Wilhelm Busch unserer Zeit?
Nein, das bin ich Gott sei Dank nicht. Denn Wilhelm Busch hat mit 52 Jahren die komische Produktion eingestellt. Er hat sich seiner frühen Werke geschämt. Und das tue ich nicht. Er hat danach nichts wirklich Komisches mehr geschrieben. Ich aber hoffe, dass mir das hin und wieder gelingt. Mein nächster Gedichtband soll eine Sammlung von zum Teil sehr albernen und zum Teil sehr betroffen machenden Versen werden. Sie wird „Später Spagat“ heißen, aber noch ist es nicht so weit

Hätten Sie jemals gedacht, eine solche Karriere hinzulegen?
Ich hatte mal so etwas wie eine Erleuchtung als 14jähriger auf dem Fahrrad – sie lautete: „Sie sollen mich nicht kriegen.“ Das hat mich geprägt. „Sie“ – das waren diejenigen, die mich auf etwas festlegen wollten. Diese sollten mich nicht kriegen. Und das glaube ich bis heute geschafft zu haben. Wenn ich als Maler kritisiert wurde, konnte ich ja stets sagen, ich bin Schreiber. Wenn ich als Schreiber kritisiert wurde, konnte ich sagen, ich bin komischer Zeichner. Und wenn ich als komischer Zeichner kritisiert wurde oder werde, dann bin ich ja immer noch der Dichter Gernhardt, den das alles nicht lädiert.

Dieser Artikel ist erschienen am 23.01.2006