Mein Karrierecoach: Mein Job erfüllt mich nicht mehr: Soll ich aus Karrieregründen daran festhalten?
Ein Unternehmensberater sieht keinen echten Sinn mehr in seiner Tätigkeit. Er fragt sich, ob er den Job wechseln sollte. Der Karrierecoach antwortet.
Mein Karrierecoach In dieser Rubrik können Leserinnen und Leser ihre Fragen zu Job und Karriere stellen. Die Antwort hat diesmal Karrierecoach Tom Diesbrock geliefert. © Karriere Foto: ©: Daryl William Collins
Das Problem in dieser Woche:
Marius H. ist Mitte 30 und seit einigen Jahren angestellt in einer größeren Unternehmensberatung. Zwar macht ihm seine Arbeit oft Spaß und ist sehr gut bezahlt – nur erscheint sie ihm nicht mehr sinnvoll. Er fragt sich schon länger: „Gibt es nicht einen Job, der besser zu mir und meinen Werten passt?“
Soll er also möglichst bald kündigen? Oder wäre das unvernünftig und würde seiner zukünftigen Karriere eher schaden? Denn schließlich würden ja einige weitere Jahre als Berater sein Kompetenzprofil aufwerten und seine Chancen am Arbeitsmarkt erhöhen.
Bisher versucht Marius H., seine Optionen zu bewerten und zu analysieren, welche Entscheidung die klügere wäre: „Ich komme überhaupt nicht weiter, sondern fühle mich immer ratloser und blockierter. Soll ich gehen oder bleiben?“
Karrierecoach Tom Diesbrock antwortet:
In so einer Sackgasse befinden sich viele beruflich unzufriedene Menschen. Was ihnen die Lösung bringen soll – nämlich die binäre Frage, ob man am Job festhält oder sich besser einen neuen sucht, ist in Wirklichkeit Teil des Problems.
Dahinter steckt die Tendenz unseres Gehirns, eher auf prägnante Alternativen zu vertrauen: Habe ich nämlich zwei Optionen zur Auswahl, von denen ich eine sehr gut und die andere kaum kenne, halten sich die allermeisten Menschen an die erste. Das Unbekannte schätzen wir nämlich instinktiv generell als riskanter ein. Prägnant ist die Tätigkeit, der wir seit Jahren nachgehen. Gar nicht prägnant ist die Alternative „einen anderen Job machen“.
Kein Wunder also, wenn Sie in Ihrer Situation mental blockiert sind. Um eine gute Entscheidung treffen zu können, brauchen Sie prägnante Alternativen – und die können Sie folgendermaßen entwickeln:
1. Sorgen Sie für ausreichend „Material“
Sie schreiben, dass Sie sich eine sinnvollere Tätigkeit als Ihre heutige wünschen. Das ist schon mal ein wichtiger Anhaltspunkt, und bestimmt haben Sie noch weitere. Um berufliche Alternativen zu entwickeln, die Ihnen wirklich entsprechen, sind Ihre Interessen und Werte die beste Grundlage, also das Material, das Sie auf neue Ideen bringen kann.
Wenn Sie sich noch nicht sicher sind, ob Sie in Ihrem Bereich bleiben oder vielleicht etwas ganz anderes machen möchten, sollten Sie möglichst alle Ihre Interessen und Werte einbeziehen. Am besten nehmen Sie sich dafür ein großes Blatt Papier und verwenden die „Mindmapping“-Technik: Gehen Sie dabei unbedingt ins Detail. Angenommen, Sie interessieren sich für Geldanlagen, notieren Sie das und fragen sich dann, was genau Ihnen daran besonders am Herzen liegt.
2. Entwickeln Sie zuerst Job-Ideen
Anstatt in Stellenbörsen zu schauen, welche beruflichen Möglichkeiten es gibt, rate ich Ihnen, sich auf der Basis Ihrer Interessen und Werte zu überlegen, was Sie gern tun würden. Denken Sie also nicht in definierten Job-Profilen, sondern in Job-Ideen.
In dieser Phase ist noch gar nicht wichtig, ob eine Idee auch umsetzbar ist. Trauen Sie sich unbedingt, auch Möglichkeiten zu denken und Ideen zu entwickeln, die Ihnen momentan unrealistisch erscheinen. Denn sonst denken Sie wahrscheinlich viel zu eng und verwerfen Optionen, die auf den zweiten Blick tatsächlich infrage kommen.
Ganz wichtig ist: Schreiben Sie alles auf, was Ihnen zu einer Job-Idee in den Sinn kommt, am besten spendieren Sie jeder Idee ein eigenes Blatt.
3. Entwerfen Sie Umsetzungspläne
Erst in dieser Phase geht es darum, die konkrete Umsetzung Ihrer Ideen zu planen. Fragen Sie sich nicht, ob eine Job-Idee machbar ist, sondern überlegen Sie, wie es klappen könnte: Wie könnte eine kluge Bewerbungsstrategie oder ein Businessplan dafür aussehen? Wer oder was könnte Sie unterstützen? Was müssten Sie noch lernen? Welche Risiken oder Hindernisse könnte es dabei geben?
Am Ende dieses Schritts haben Sie prägnante Job-Alternativen zur Auswahl. Jetzt geht es nicht mehr nur um „Gehen oder Bleiben“, sondern darum, welche Ihrer Alternativen interessanter sind als Ihr heutiger Job. Womöglich entscheiden Sie sich auch, noch einige Zeit als Berater zu arbeiten, um parallel eine neue Karriere zu entwickeln.
Jetzt fällt die Entscheidung wahrscheinlich gar nicht mehr so schwer. Die meisten Menschen haben heutzutage mit komplexen Produktionsprozessen und Projektarbeit zu tun. Dass man sich dabei an Strukturen orientiert, ist ganz selbstverständlich. Wenn es aber um die eigene Karriere geht, wird oft nur gegrübelt und im Kreis gedacht. Deshalb empfehle ich Ihnen hier, Ihre berufliche Entwicklung strukturiert anzugehen und dabei kreativ und divergent zu denken.
Wenn Menschen ihr Tätigkeitsprofil verändern oder sich sogar beruflich neu orientieren wollen, scheitern die wenigsten daran, dass sie keine Ideen haben, sondern weil sie sich mit ihren eigenen Denkverboten ausbremsen.
Wenn Sie auch eine Frage an den Handelsblatt Karrierecoach haben, schicken Sie uns eine Mail an: [email protected] – wir leiten Ihre Frage anonymisiert an unsere Experten weiter.
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