Wie alt ist jung?
Das Zeitfenster für das „richtige Alter“ im Berufsleben wird immer enger: Gerade mal sieben Jahre bleiben dem Durchschnittsabsolventen, um seine Karriere anzuschieben. Denn spätestens mit Mitte 30 trifft Jobwechsler der Jugendwahn der Unternehmen.
Das Zeitfenster für das „richtige Alter“ im Berufsleben wird immer enger: Gerade mal sieben Jahre bleiben dem Durchschnittsabsolventen, um seine Karriere anzuschieben. Denn spätestens mit Mitte 30 trifft Jobwechsler der Jugendwahn der Unternehmen.
Als Petra Urlings zum ersten Mal hörte, dass sie zu alt sei für den Arbeitsmarkt, war sie 29. Die Kulturmanagerin hatte beim Arbeitsamt wegen einer beruflichen Neuorientierung angeklopft. Doch der Berater weigerte sich fast, mit ihr zu reden. „Sie sind ja schon eine Seniorin auf dem Arbeitsmarkt“, meinte er nur. Ein Schock für die Endzwanzigerin. „Nach dem Gespräch habe ich mich gefühlt wie 80.“
Petra Urlings‘ Erlebnis auf dem Arbeitsamt war kein Ausrutscher eines unsensiblen Job-Beraters. Es war der Auftakt zu einer Reihe von Demütigungen und Absagen, die alle mit ihrem Geburtsdatum zu tun hatten: „Die Unternehmen lesen im Lebenslauf nur das Alter, und dann ist meist schon finito“, zürnt die Kölnerin. Für Umsteiger wie sie eine echte Katastrophe: „Da geht so viel Potenzial verloren.“
Verrückte Arbeitswelt: Während die Deutschen immer älter werden, grassiert in den Unternehmen der Jugendwahn. Quer durch alle Branchen zieht sich das Kartell der Firmen, die Menschen im besten Arbeitsalter als unbrauchbar für den Arbeitsmarkt ansehen. Das zeigt die Umfrage unter 300 Unternehmen, die karriere nach dem Altersschnitt ihrer Belegschaft befragte. Die Bandbreite reicht von 33 Jahren bei den Werbern bis zu 43 Jahren im Maschinenbau (siehe Grafik S. 47).
Nur wer direkt nach dem – zügigen – Studium Berufseinstieg und erste Karriereschritte schafft, findet vor den Augen der Personaler Gnade. So wird die Zeitspanne für das „richtige Alter“ immer kürzer: Mit 27,9 Jahren beendet der deutsche Durchschnittsabsolvent sein Erststudium. Von da an bleiben ihm gerade mal sieben Jahre Zeit, um sich auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren. Denn mit 35 Jahren endet nach Meinung vieler Personalverantwortlicher bereits das ideale Arbeitnehmeralter. „Mit Mitte 30 gilt man heute schon als älter“, weiß Hanne Schweitzer, Vorsitzende des Kölner Büros gegen Altersdiskriminierung.
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Jung, billig, Formbar
Stellenanzeigen liefern den Praxistest: Da werden „für ein junges, motiviertes Team“ „Berufseinsteiger“ mit „erster Praxiserfahrung“ oder „maximal drei Jahren Berufserfahrung“ gesucht, „idealerweise zwischen 25 und 35 Jahre alt“. Was die Altersbeschränkungen sollen, steht nirgends. Doch die Botschaft ist klar: Wir wollen billige, formbare Jungdynamiker mit Hang zur Selbstausbeutung. Wer das nicht mitmacht, braucht sich gar nicht erst zu bewerben.
Claus Goworr, der mit seiner Unternehmensberatung CGC in einer Studie den Jugendwahn der Unternehmen beleuchtete, sieht neben solch praktischen auch psychologische Gründe für die Haltung der Arbeitgeber: Älterwerden verbinden viele mit Inflexibilität, Stagnation und Krankheit. Goworr: „Diese Einstellung wird von Managergeneration zu Managergeneration weitergegeben.“
Petra Urlings hat keine Illusionen mehr, was ihr Alter angeht. Sie ist jetzt 36. Und obwohl sie als Chefin zweier Unternehmen mittlerweile auf eigenen Füßen steht, testet sie manchmal noch ihren Marktwert. Dann ruft sie in Personalabteilungen an, nur so zum Spaß. Fast immer muss sie sich dann anhören: „Wie alt sind Sie? … Ach so, tut uns leid. Bis 34 wär’s ja noch gegangen …“
Rache ist süß
Zwar spielt auch Urlings das Nicht-älter-als-Spielchen mit, nur eben nach ihren eigenen Regeln: Für ihren Nebenjob als Jazz-Sängerin und Pianistin macht sich die Mittdreißigerin regelmäßig ein paar Jahre jünger. „Ich verkaufe mich als 30, manchmal auch als 29“, sagt sie mit sarkastischem Unterton. „Sonst hätte ich als Künstlerin keine Chance mehr.“ Das ist ihre Form der Rache am allgemeinen Jugendwahn. Daraus hat sie sogar ein Geschäft gemacht: Mit ihren beiden Unternehmen – einer Künstlervermittlung vor allem für Ältere sowie einer Freizeitagentur für Kunden jenseits der 50 – bedient Petra Urlings bewusst die so genannte „Grey Economy“.
Seit im vergangenen Jahr Frank Schirrmachers Buch „Das Methusalem-Komplott“ erschien, ist in Deutschland die Diskussion um die Frage „Wie alt ist eigentlich jung“ voll entbrannt. „Der statistische Altersquotient beginnt mit 65, die Alterskatastrophe des Einzelnen aber oft schon mit 40 Jahren“, schreibt der FAZ-Herausgeber in seinem Bestseller. Er irrt: Feinfühlige wie Petra Urlings spüren die Ausläufer der Alterskatastrophe bereits um den 30. Geburtstag herum. Mit Mitte 30 erkennen dann auch die Dickfelligsten, dass ihnen die Jobwelt nicht mehr zu Füßen liegt. Und wer mit 40 Jahren noch keine Dauerstellung in einem Unternehmen ergattert hat, der ist vielerorts bereits chancenlos.
Mit 35 zu alt fürs Rentner-TV
Den Tiefenrekord in Sachen Einstiegsgrenzen hält unangefochten die Model-Branche: „Eine Anfängerin sollte nicht älter als 18 sein, wenn sie eine internationale Karriere starten will“, sagt Beatrix Szlapka, Scouting Director bei der Münchener Agentur Louisa Models. „Sonst ist es wirklich zu spät.“ Bei Männern ist man großzügiger: Für sie ist der Weg zum Catwalk noch bis 25 offen. Gnadenlos geht auch die Showbranche mit der biologischen Uhr um. Selbst Prominente sind vor der Auslese nach Faltentiefe nicht gefeit. So geriet Moderatorin Birgit Schrowange, 46, ausgerechnet beim „Seniorensender“ ZDF aufs Abstellgleis: „Als ich 35 war, hat man mir gesagt, ich sei zu alt, um eine eigene Sendung zu moderieren.“ Kein Wunder, dass so mancher Star beim Alter schummelt – nicht etwa nur angejahrte Schlagerbarden wie Jürgen Drews und Costa Cordalis, nein, auch die Mädels der ehemaligen Girlieband Tic Tac Toe.
Doch es sind beileibe nicht nur die hippen, schnelllebigen Branchen, in denen ältere Bewerber aussortiert werden wie faule Äpfel. Auch Discounter wie Lidl und Aldi achten peinlich genau darauf, dass neue Mitarbeiter ins junge Altersgefüge passen. Da sucht Lidl per Zeitungsanzeige eine „Sekretärin (maximal 28)“, und Aldi wünscht sich von Bewerbern für den Posten eines Bereichsleiters Filialorganisation, dass sie „demnächst ihr Studium … abschließen“.
„Ich hatte immer das Gefühl, bei Aldi gebe es ein unausgesprochenes Gesetz, dass kein Bereichsleiter eingestellt wird, der älter als 29 ist“, berichtet eine ehemalige Führungskraft des Discounters, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Die Altersgrenze habe etwas mit der Erziehung im Aldi-System zu tun: „Die wollten, glaube ich, den Führungsnachwuchs noch relativ unbedarft bekommen, um ihn auf die Aldi-Ideologie zu trimmen.“ Selbst für Kassiererjobs kämen nur Bewerberinnen bis 38 Jahre in Frage, schärfte man den angehenden Bereichsleitern ein. „Es hieß, bei Älteren sei die Wahrscheinlichkeit zu groß, dass sich Leistungsfähigkeit und Gesundheitszustand bald verschlechtern.“ Aldi Süd hat eine Stellungnahme zu diesen Vorwürfen abgelehnt. Für Thomas Zwick vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ist das Argument von der mangelnden Leistungsfähigkeit Älterer purer Unsinn. „Sie nimmt nicht ab, sie verschiebt sich nur“, betont der Volkswirt, der in einer Studie die Einstellung von Personalern gegenüber älteren Arbeitnehmern untersucht hat. Jüngere Mitarbeiter seien stärker bei Flexibilität und Innovationsfreudigkeit, so Zwick, während Ältere mit Qualitätsbewusstsein, Loyalität und Überblick glänzten.
Sinnfreie Barrieren
Welch paradoxe Züge der Jugendwahn mitunter annimmt, zeigt eine Studie unter 95 Unternehmen, die die Unternehmensberatung Towers Perrin in Zusammenarbeit mit der Fachzeitschrift Personal und dem Handelsblatt veröffentlichte. Auf die Frage, welche Eigenschaften ihrer Mitarbeiter für sie am wertvollsten seien, antworteten 87 Prozent mit Kundenorientierung. Doch während 47 Prozent den Älteren eine gute Serviceeinstellung attestieren, halten nur 37 Prozent ihr junges Personal für kundenorientiert. Trotzdem favorisiert fast die Hälfte der Firmen bei Neueinstellungen Bewerber unter 35 Jahren (siehe Grafik S. 48).
Beim Mischkonzern Unilever in Hamburg ist man stolz auf das Motto „Von der Uni zu Unilever“. „Wir können die Fähigkeiten unserer Mitarbeiter am besten entwickeln, wenn sie möglichst früh ins Unternehmen einsteigen“, erklärt Eva Schadeck, verantwortlich für das Personalmarketing. Deshalb seien die meisten Neulinge zwischen 27 und 30, wenn sie zu Unilever kommen. Von der Faustregel, dass Berufseinsteiger mit Ambitionen nach etwa fünf Jahren das Unternehmen wechseln sollten, hat Eva Schadeck noch nichts gehört. Entsprechend mäßig die Chancen für Quereinsteiger oder Stellenwechsler: „Da muss jemand schon supertolle Sachen gemacht haben, wenn er für unser UniTrain-Programm noch interessant sein soll.“
Mit ihren 30 Jahren bekäme Katharina Groß bei Unilever wohl keinen Fuß mehr in die Tür. Dabei hatte die Schwäbin nach den Zwischenprüfungen bewusst den Studiengang gewechselt. Sie wählte VWL statt Geisteswissenschaften. „Ich dachte, damit verbessern sich meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“ Pustekuchen: Trotz Topexamen und Auslandserfahrung ist Katharina Groß seit über einem Jahr auf Jobsuche. Und je länger sie sucht, desto klarer wird ihr: Der Studienfachwechsel war ein Riesenfehler. Denn er kostete sie drei Jahre ihres Lebens – genau die drei Jahre, die sie jetzt zu alt ist für den Berufseinstieg. „Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass ich mich nicht mal ausprobieren und umentscheiden kann“, ärgert sie sich über die „magische Altersgrenze 30“ in den Personalabteilungen.
Nicht nur Berufseinsteiger müssen sich sputen. Auch Führungspositionen im unteren Management werden am liebsten an Unter-40-Jährige vergeben. Wie früh für den Aufstieg die Klappe fällt, zeigt ein Stellenangebot auf der Webseite des privaten Klinikkonzerns Helios. Publik gemacht hat es das Büro gegen Altersdiskriminierung. „Maximal 35 Jahre alt“ dürfe der gesuchte stellvertretende Klinikleiter sein, heißt es dort.
Auf Nachfrage von karriere mag PR-Referent Torsten Böhmer die Altersgrenze zwar nicht so streng sehen: „Einen Bewerber, der etwas älter ist, bei dem wir aber Potenzial vermuten, werden wir immer berücksichtigen.“ Allerdings wolle Helios als „junger Klinikkonzern“ potenzielle Führungskräfte so früh wie möglich gewinnen, um sie langfristig ans Unternehmen zu binden. „Die Unternehmen schätzen durchaus ihre älteren Mitarbeiter. Aber nur wenn sie bereits im Unternehmen sind“, erklärt Wirtschaftsexperte Zwick. Für alle jenseits der 35 heißt das: Am einmal ergatterten Pöstchen festhalten und am internen Aufstieg arbeiten. Wer sich aus dem Unternehmen wegbewegt, könnte bald ganz weg vom Fenster sein. Eine mobile Job-Gesellschaft sieht anders aus.
Mit allen Tricks
Selbst im Bundeswirtschaftsministerium nimmt der Jugendwahn groteske Züge an – wie etwa im Referat IIB6, das einen Sachbearbeiter „grundsätzlich nicht älter als 35 Jahre“ sucht. Das Pikante dabei: Das Referat ist zuständig für „Beobachtung und Analyse des Arbeitsmarktes und Arbeitsmarktstatistik“.
Noch höhere Hindernisse für Bewerber baut der Esslinger Feinkeramikhersteller Kyocera in einer Stellenanzeige auf. Einen Kaufmann oder Ingenieur „zwischen 28 und 33 Jahren“ wünscht sich das Unternehmen für seinen technischen Vertrieb. Nach dem Grund für die enge Altersspanne gefragt, findet Produktmanager Walter Bock eine erstaunliche Erklärung: „Das hat eigentlich gar nichts zu bedeuten. Das hat sich früher mal so eingebürgert.“ Als jetzt wieder eine Stelle frei wurde, habe er eben den alten Anzeigentext wiederverwendet. Kandidaten bis 40 Jahren seien ihm aber durchaus willkommen.
„Lasst euch nicht verarschen – vor allem nicht beim Alter“, kommentiert Jürgen Hesse solche willkürlichen Einstellungshürden. Der Karriereexperte und Geschäftsführer des Berliner Büros für Berufsstrategie kennt die Tricks, mit denen Unternehmen die Flut an Bewerbungen zu kanalisieren versuchen: „Heute werden alle Argumente bemüht, um zu rechtfertigen, warum jemand eine Position nicht bekommt.“ So sei es Usus in Personalabteilungen, in Online-Bewerbungsformularen eine Altersgrenze einzuprogrammieren. Wer diese überschreite, den sortiere die Software automatisch aus. „Für alle, die altersmäßig nicht dem Idealbild entsprechen, ist so eine Maschine tödlich“, warnt Hesse.
Er empfiehlt deshalb, sich nicht auf die standardisierten Bewerbungswege zu verlassen. Stattdessen sollten Bewerber jenseits der 30 Fähigkeiten nutzen, die sie unerfahrenen Mitbewerbern voraushaben: ihr Netzwerk aktivieren, bei Unternehmen anrufen oder vorsprechen statt nur zu schreiben. Denn im persönlichen Gespräch lassen sich die Bedenken der Personaler viel leichter ausräumen.
Das alte Lied vom Mangelberuf
Vor allem Ingenieure müssen sich gute Argumente zurechtlegen, warum sie jenseits der 35 noch nicht zum alten Eisen gehören. Und das, obwohl die Industrie fast täglich das Klagelied vom Ingenieurmangel anstimmt. Laut einer Studie der VDI Nachrichten und des ZEW haben 42 Prozent der Unternehmen Probleme, offene Stellen für Ingenieure zu besetzen. Gleichzeitig stehen rund 70.000 Ingenieure auf der Straße – 82 Prozent davon sind über 35 Jahre. Für die Dresdner Hochschulforscher Andrä Wolter und Mandy Pastohr ist das pure Verschwendung der Ressourcen Alter, Erfahrung und Engagement. In einer Studie zum Ingenieurbedarf in Deutschland urteilen sie, das Problem liege „weniger in einem Angebotsdefizit an Fachkräften als in erster Linie in dem Jugendlichkeitswahn der betrieblichen Personalrekrutierung“.
Rauf oder Raus
Den hat auch Harald Mehlem bitter zu spüren bekommen. Drei Jahre lang war der Softwareprogrammierer aus Großkrotzenburg arbeitslos, suchte den IT-Markt rauf und runter. Dass er Zeugnisse von mehreren Top-Unternehmen vorweisen kann, vier Jahre in den USA gearbeitet hat – das alles zählte nicht mehr. „Viele Bewerbungen kamen ungelesen zurück“, erinnert sich der 36-Jährige. Ein Blick auf das Geburtsdatum, und die Personaler hatten genug gesehen.
„Schon 1994 hieß es bei Microsoft: Leute über 30 stellen wir erst gar nicht ein. Da bekam ich zum ersten Mal etwas Panik.“ Mehlems Problem: Er hat Spaß an seiner Arbeit als Programmierer. Managementaufgaben liegen ihm nicht. Doch wer in der IT-Branche älter werden will als 40, muss rechtzeitig den Sprung auf den Chefsessel schaffen. Schließlich liegt das Durchschnittsalter in der Branche nach Angaben der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg gerade mal bei 33,5 Jahren. „Wer hier einsteigt, will schnell viel verdienen, um sich zwischen 35 und 40 sinnvollerweise nach einer anderen Branche umzusehen“, weiß Wolfgang Müller, IT-Experte bei der IG Metall. Doch das käme für Spezialisten wie Mehlem einem Berufswechsel gleich – und dessen Erfolg ist für Enddreißiger zweifelhaft. Wer gekündigt wird, versucht sich deshalb meist als Freelancer. Doch wirklich gut verdient kaum einer.
Auch Mehlem machte zähneknirschend Abstriche beim Gehalt: „Zum Schluss habe ich in meine Bewerbungen geschrieben: Wenn Sie glauben, ich sei nicht bezahlbar, dann machen Sie mir bitte ein Angebot.“ Ziemlich frech sei das gewesen, findet er. Aber es wirkte: Seit Januar ist er wieder in Lohn und Brot, gestaltet Anzeigen für eine Agentur. Und auch in diesem Unternehmen ist er wieder einer der Ältesten.
Was Mehlem in der IT-Branche zu schaffen macht – das Aufsteigen-oder-Aussteigen-Prinzip – prägt auch die Altersstruktur in Unternehmensberatungen. Marktführer McKinsey, berüchtigt für seine blutjungen Berater, schreckt Berufserfahrene schon auf der Homepage ab: „McKinsey war und ist eine junge Firma. Unser Durchschnittsalter liegt bei Anfang 30 … Kein Wunder bei einer mittleren Verweildauer von ca. 4,5 Jahren der Berater.“ Unternehmenschef Jürgen Kluge – selbst bereits 51 – gibt sogar offen zu, dass bei Einstellungen 34 Jahre die Obergrenze sei, „bei 32 wird’s schon kritisch“.
Wer seinen Berufsweg auf lange Sicht plant, sollte rechtzeitig aufs richtige Pferd setzen. „Eine Startup-Bude wird natürlich jüngere Leute beschäftigen als eine alteingesessene Firma“, betont Thomas Zwick vom ZEW. Gerade mal 31,5 Jahre beträgt laut Akademie für Technikfolgenabschätzung das Durchschnittsalter bei IT-Unternehmen, die erst vor zwei Jahren gegründet wurden. Zum Vergleich: Bei den Gründungen aus den Jahren 1951 bis 1975 waren die Mitarbeiter im Schnitt 38,8 Jahre alt. Diesen Aspekt sollte im Auge behalten, wer sich auf die Suche nach einem dauerhaften Job macht. „In manchen Branchen altert man schneller als in anderen“, warnt Jürgen Hesse auch vor der unüberlegten Wahl vermeintlicher Traumbranchen.
Nie im richtigen Alter
Viola Marquardt kennt das Problem „Job & Alter“ inzwischen in allen grausamen Facetten. Gerade mal 26 Jahre alt war die jüngste Speditionsleiterin Baden-Württembergs, als sie sich bei einer Luftfrachtgesellschaft um einen Job in Südafrika bewarb. Doch sie bekam eine Absage. Grund: Ihr Englisch reiche nicht aus. Marquardt handelte rasch und gründlich, bildete sich zur staatlich anerkannten Assistentin für Englisch und Französisch weiter.
Zwei Jahre später klopfte sie wieder bei dem Unternehmen an – und musste sich diesmal anhören: „Sie sind doch im gebärfähigen Alter, wie sieht es denn mit Ihrem Kinderwunsch aus?“ Viola Marquardt reagierte auch auf diese Unterstellung mit brutaler Konsequenz: Sie ließ sich sterilisieren. Es nützte nichts: Den Job bekam ein jüngerer Mann. Und die Serie der Absagen setzte sich fort: „Jedes Mal, wenn ich mich fürs Ausland beworben habe – bestimmt 20, 30 Mal – habe ich gehört, ich sei zu alt.“ Inzwischen hat die 35-Jährige es aufgegeben, ihre Qualifikationen bei unwilligen Arbeitgebern anzupreisen: 2001 gründete Viola Marquardt ihre eigene Spedition; im vergangenen Jahr eröffnete sie ein Tierhotel für Hunde und Katzen. „In der Selbstständigkeit spielt das Alter keine Rolle“, weiß sie heute. „Meinen Kunden geht es nur um Know-how und gute Organisation.“ Und die kleinsten Kunden sind ihr ohnehin die liebsten: Von den Tieren hat sie noch nie eine Klage über ihr Alter gehört.
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