Unternehmensberatung: Was vom Tage übrig bleibt
Work-Life-Balance bei Unternehmensberatungen – das war bislang vor allem Thema für Witze. Die Realität sind lange Arbeitstage und Nächte im Hotel. Doch spätestens wenn die hungrigen Talente weniger werden und der Frauenanteil unter den Consultants steigt, müssen Beratungen einen Ausgleich bieten. Manche tun es schon.
Mehr als zehn Jahre bestand das Leben von Erwin Lammenett aus Arbeit. Es waren die 90er, das Jahrzehnt der unbegrenzten Möglichkeiten, und Lammenett hatte als Chef einer Management- und IT-Beratung mit 60 Mitarbeitern kräftig Anteil daran. Der Preis waren 14-Stunden-Tage, 30 Kilo Übergewicht und Verdacht auf Zirrhose. Von seiner Tochter bekam er drei Jahre so gut wie nichts mit. „Wie Tausende, die beruflich weiterkommen wollen, bin ich in die Falle getappt“, sagt der heute 40-Jährige.
Traumarbeitgeber Unternehmensberatung
Kaum ein Job bietet Einsteigern bessere Entwicklungs- und Verdienstmöglichkeiten. Und kaum ein Job ist härter. Montag früh auf dem Flughafen, lange Arbeitstage und Nächte im Hotel. Privatleben ist, was übrig bleibt. Work-Life-Balance kam bisher nur in Beraterwitzen vor, in denen private Termine als „Marketing- und Akquise-Veranstaltungen“ notiert und „Partner“ mit der Führungsposition in einem Consultingunternehmen assoziiert werden.
Verblasste Stars
Noch finden die Beratungen genug hungrige Talente, die Abstriche beim Privatleben hinnehmen, um ein Stück des Mythos von McKinsey & Co. abzubekommen. „Aber der Nimbus des jungen superklugen Consultants, der in Business Class, feinen Hotels und Vorstandsetagen zu Hause ist und mit Brillanz die Probleme der Konzerne löst, ist verblasst“, sagt Tom Sommerlatte, Ex-Chef von Arthur D. Little und ein Pionier der Branche in Deutschland. „Mit der geringeren Faszination des Beraterdaseins hat die Sehnsucht nach einer besseren Work-Life-Balance an Gewicht gewonnen.“ Nach der jüngsten Access-Studie „Die beliebtesten Arbeitgeber“ favorisieren die meisten Absolventen zwar immer noch die Beratung als erste Jobstation, aber die Attraktivität hat deutlich gelitten (siehe Ausgabe 11/2004). Gleichzeitig registrierte die Studie bei den Hochqualifizierten einen deutlichen Trend Richtung Sicherheit und Work-Life-Balance.
Wollen die Beratungen wachsen wie bisher, werden sie den Bewerbern bessere Perspektiven zur Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben bieten müssen – spätestens wenn die Universitäten weniger Nachschub ausspucken und die Beratungen stärker auf Frauen angewiesen sind.
„Langsam entdecken die Beratungen das Thema Work-Life-Balance. Die demografische Entwicklung und die Konkurrenz aus der Old Economy wie die Automobilindustrie zwingen sie dazu“, bestätigt Klaus Reiners, Sprecher des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberatungen. Seit anderthalb Jahren bietet der BDU Veranstaltungen zu diesem Thema an, darunter ein Seminar mit Ex-Workaholic Erwin Lammenett.
Der weite Weg zur Balance
Als es 2001 erst mit seiner Firma und dann mit seiner Gesundheit bergab ging, zog der Berater die Notbremse. Lammenett begann zu laufen und speckte in einem halben Jahr 15 Kilo ab. Ein Jahr später absolvierte er – 30 Kilo leichter – in zwölf Stunden und 40 Minuten seinen ersten Triathlon. Erwin Lammenett arbeitet nicht weniger als früher, sondern verbindet Arbeit, Sport und Familie, geht mit seinen Kindern schwimmen und diktiert beim Laufen seine Briefe.
Für das Gros seiner Beraterkollegen ist die Balance zwischen Berufs- und Privatleben bislang ein ferner Traum. Noch sehen die Consultingunternehmen keinen akuten Handlungsbedarf, sich mit dem Thema Work-Life-Balance intensiver auseinander zu setzen. Laut einer Umfrage von karriere unter den zehn größten Managementberatungen hat die Zahl der Bewerber 2004 nach zwei Jahren Flaute wieder deutlich angezogen, so dass die Einstellungsziele weitgehend erreicht wurden. Für 2005 planen fast alle Beratungen mehr Einstellungen. „Es wird immer Leute geben, die lange Arbeitszeiten und Reisetätigkeit für eine interessante Karriere in Kauf nehmen“, glaubt Just Schürmann, der das Recruiting bei der Boston Consulting Group verantwortet.
Intern löst das Thema in der Branche nach den Worten einer Insiderin deutlich mehr Nervosität aus: „Alle großen Beratungen haben Probleme, genug gute Leute zu finden. Und in jedem Vorstellungsgespräch fragen die Bewerber mittlerweile nach Work-Life-Balance.“ Auch untereinander diskutieren die Berater mehr über das Thema, weiß Christian Deller, Vorsitzender einer Vereinigung von Ehemaligen der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, der viele Consultants angehören.
Der 33-Jährige war selbst vier Jahre Berater und hat für seine Dissertation Work-Life-Balance-Instrumente wie Teilzeit und Sabbatical am Beispiel einer Unternehmensberatung untersucht. Ergebnis: Arbeitsmotivation und -zufriedenheit stiegen stark, besonders im klassischen Teilzeitmodell, bei dem die Berater dauerhaft weniger arbeiten.
Pausieren erlaubt
Gefragt nach solchen Modellen, verweisen Beratungen vor allem auf die Freistellung für Promotion oder MBA und das Sabbatical. Auf diese unbezahlte Auszeit von meist zwei Monaten haben die Berater in der Regel schon nach zwei Jahren Anspruch. „Bei uns sind immer 15 bis 20 Prozent der Berater im Sabbatical“, berichtet BCG-Geschäftsführer Just Schürmann. Er selbst hatte vor einigen Jahren eine Auszeit für eine längere Reise genutzt und im Herbst erneut wegen der Geburt seiner ersten Tochter pausiert. Auch Nina Wessels vom Konkurrenten McKinsey ist im Herbst nach der Geburt ihres Kindes aus einem sechsmonatigen Sabbatical zurückgekehrt. Seitdem koordiniert sie an vier Tagen pro Woche vom Kölner Büro die Recruiting-Aktivitäten des Marktführers im deutschsprachigen Raum. „Wo habe ich schon eine ähnlich große Flexibilität bei der Familienplanung“, sagt die 36-jährige promovierte Volkswirtin und rühmt die Vorteile des Projektgeschäfts. „Unsere Berater entscheiden zum Großteil selbst, wie sie arbeiten möchten. Eine Auszeit hat keine negativen Auswirkungen auf die Karriere.“
Experte Deller teilt die Auffassung der Kollegin, allerdings nur was das Sabbatical betrifft. Von den Teilzeitbeschäftigten kennt er andere Erfahrungen. „Sie haben den Eindruck, sie hätten Karrierenachteile und würden schlechter bewertet“, zitiert er aus seiner Dissertation. Bei den Partnern sei noch nicht angekommen, dass Mitarbeiter in Teilzeit motivierter seien. „Es scheint nicht zum Image des Beraters zu passen.“
Das Teilzeit-Tabu
Nur widerwillig oder gar nicht geben die Beratungen deshalb ihre Teilzeitquoten preis. Offenbar fürchten sie um ihren Ruf als hart arbeitende Masterminds, wenn sich herumspricht, dass auch ihre Mitarbeiter ein Stückchen mehr vom Leben abbekommen wollen.
Ihr Ressentiment gegen Halbtags-Consulting begründet die Branche vor allem praktisch. „Teilzeit geht häufig auf Kosten der Beratungsergebnisse, denn viele Projekte sind zeitkritisch und die Leute nicht immer leicht ersetzbar. Da ist schon große Flexibilität erforderlich“, erklärt BDU-Sprecher Reiners. „Man kann schwer ein Beratungsprojekt leiten, in dem alle Teilzeit arbeiten. Die Balance muss stimmen“, sagt auch BCG-Berater Schürmann.
Im Mutterland der Berater klappt flexibles Arbeiten besser. „In den USA ist Teilzeit weiter verbreitet“, stellt Marcus Kerwin vom Konkurrenten Bain & Company fest. Dort verteilten die Berater ihre Arbeitszeit gleichmäßig auf zwei Projekte und könnten deshalb eher auf 50 Prozent reduzieren. „In Deutschland erwarten die Auftraggeber meist, dass sich die Berater auf ein Projekt konzentrieren.“ Doch auch in den USA müssten die Teilzeitmitarbeiter einspringen, wenn es das Projekt erfordert.
Die Macht der Frauen
Trotz aller Pobleme mit Kundenwünschen und leidendem Image – auf Dauer kommen auch die Unternehmensberatungen an Teilzeitlösungen nicht vorbei. Denn während die Nachfrage nach guten Absolventen weiter steigt, wird das Angebot mit den geburtenschwachen Jahrgängen sinken. Seit einiger Zeit schon sprechen die Beratungen daher auch gezielt Absolventen anderer Studienrichtungen an.
Und Frauen. Mit ihnen aber funktioniert das klassische Rollenmodell – der Mann jettet als Berater durch die Welt, die Frau erzieht die Kinder – nicht mehr. Schon heute sind es vor allem die Beraterinnen, die Teilzeitlösungen nutzen. „Wenn jemand den Wunsch hat, tun wir unser Möglichstes. Berater in Teilzeit werden jedoch in der Minderheit bleiben“, prognostiziert Sven Breipohl von Roland Berger. Fest steht: Das familienfreundlichste Unternehmen werden Beratungen nie.
Privatleben Privatsache
So wird es auch in Zukunft stark von der Eigeninitiative der jungen Consultants abhängen, Berufs- und Privatleben unter einen Hut zu bringen. Branchenveteran Tom Sommerlatte, neben seinem Job an der Spitze von Arthur D. Little Vater von elf Kindern, rät seinen Kollegen, die Familie ebenso ernst wie den Job zu nehmen und das dort Gelernte auf das Familienleben zu übertragen: „Private Vorhaben und Termine sollte man behandeln wie ein Projekt. Die Ehefrau als Auftraggeber ist dann gleichberechtigt mit einem Klienten im Beratungsgeschäft. Versprechen an die Kinder erhalten Vertragscharakter mit Konventionalstrafe für Abweichungen.“
Berater Erwin Lammenett hat Sommerlattes Rat schon beherzigt: 2005 müssen Arbeit und Sport zurücktreten. „Da bin ich zehn Jahre mit meiner Frau verheiratet. Das hat oberste Priorität.“