Großkotz vom Dienst

Wenn Kollegen sich für die Größten halten, obwohl sie eher mittelmäßig sind, ist das vor allem eins – nervig. Aber was steckt dahinter: Eine Typologie der Nichtskönner, Narzissten und Underperformer.

Nora Schareika, wiwo.de | 11.09.2024
Umgang mit inkompetenten Kollegen

Kaum eine Kollegengattung ist so anstrengend wie die der Inkompetenten. Vor allem dann, wenn sich diese Arbeitspartner für wahnsinnig fähig und begabt halten. Eine typische Szene aus deutschen Büros: Vor dem Chef bläht sich der minderbegabte Kollege auf und überzeugt durch sein schieres Ego. Die Ergebnisse sind dann eher mau, im schlimmsten Fall müssen es sogar die Kollegen ausbaden und die Scherben zusammenkehren.

Was steckt dahinter, dass sich manche Menschen für großartig auf ihrem Gebiet halten, obwohl sie es nicht sind? Sind sie einfach Angeber? Merken sie überhaupt, dass sie ihren Job nicht gut machen? Wie viel falsche Selbsteinschätzung ist normal, wo fängt der Narzissmus an – und wie geht man am besten mit inkompetenten Kollegen um?

Für die Antwort auf diese Fragen ist es wichtig zu wissen, welchen Kollegen-Typ man vor sich hat. Die Psychologie teilt echte und scheinbare Selbstüberschätzer in mehrere Gruppen ein:

Narzissten:
Sie sind Menschen, die sich selbst über alles wertschätzen. Sie sind aber nicht zwingend inkompetent. Was sie auszeichnet, ist die geringe Empfänglichkeit für Kritik. „Narzissmus ist typischerweise eine Charaktereigenschaft, die darauf abzielt, ein grandioses Selbstbild zu haben“, erklärt der Psychologe Michael Dufner von der Universität Leipzig. Das wollen Narzissten um jeden Preis aufrechterhalten. „Menschen mit Narzissmus verarbeiten Feedback nicht so gründlich, wenn es negativ ist. Sie interpretieren es dann sogar eher so, dass es ihrem Selbstwertgefühl nützt.“ Ein weltbekannter Narzisst, da sind sich viele Verhaltenspsychologen sicher, ist US-Präsident Donald Trump.

Nichtswisser:
Andere Menschen sind so inkompetent, dass sie sich selbst nicht realistisch beurteilen können. Was lustig klingt und im Kollegenkreis sofort Kalauer provoziert, ist eigentlich tragisch. Betroffene wissen nicht, was sie alles nicht wissen und sind unfähig, die Tatsache ihrer Unwissenheit zu erkennen. Sie überschätzen sich also aus lauter Inkompetenz. Dieses Phänomen haben Ende der Neunzigerjahre Justin Kruger und Daniel Dunning an der Cornell University im US-Bundesstaat New York untersucht. Man spricht deshalb auch vom Dunning-Kruger-Effekt. „Die Idee der Wissenschaftler klingt erst einmal plausibel“, sagt Daniel Leising, Professor für Diagnostik und Intervention an der TU Dresden. „Um einschätzen zu können, ob ich etwas kann, muss ich im entsprechenden Bereich kompetent sein.“ Die Datenlage beim Dunning-Kruger-Effekt ist laut Leising aber relativ überschaubar und dadurch uneindeutig.

Selbst-Sabotierer:
Das Gegenteil vom Dunning-Kruger-Effekt kann eine Spielart des Impostor-Phänomens sein. Betroffene sind alles andere als inkompetent. Sie unterschätzen vielmehr ihr eigentliches Können und haben immer Angst, als inkompetent wahrgenommen zu werden. Während viele Betroffene deshalb exzessive Arbeiter sind, gibt es auch die sogenannten Under-Doer. Diese Menschen sabotieren sich selbst, um den stets gefürchteten Misserfolg auf widrige Umstände schieben zu können. Niemand soll auf die Idee kommen, sie wären nicht begabt. Deshalb planen sie ihren Misserfolg geradezu, wenn auch zum Teil unbewusst. Zur Selbst-Sabotage zählen zum Beispiel notorisches Prokrastinieren oder Alkoholabstürze vor wichtigen Deadlines. Diese Kollegen sind nicht inkompetent, ihre Arbeitsergebnisse können aber mitunter unterirdisch ausfallen.

Selbstüberschätzer:
Auch ohne von einem benennbaren psychologischen Phänomen betroffen zu sein, schätzen sich nahezu alle Menschen selbst mehr oder weniger falsch ein. „Die Überzeugung vom eigenen Gut-Sein ist fast vollständig idiosynkratisch“, erklärt Daniel Leising von der TU Dresden. „Für wie gut oder schlecht man sich selbst hält, hat mit objektiven Realitäten allenfalls am Rande zu tun. Im Durchschnitt überschätzen wir uns ein bisschen, aber wichtiger ist die enorme Bandbreite, die es hier gibt: Krasse Selbstunter- oder überschätzung ist gar nicht so selten. Das hat bedeutsame Effekte im Leben der Betroffenen.“ Im Berufsleben muss leichte Selbstüberschätzung kein Nachteil sein. „Das verbessert natürlich den ersten Eindruck, auf den es ja häufig ankommt“, sagt Michael Dufner. Nachteil: Der Effekt verblasst mit der Zeit und wird im Extremfall von schlechten Leistungen bei der Arbeit konterkariert.

In Extremfällen mag die Diagnose eindeutig sein, dass ein Kollege sich für sehr viel fähiger hält, als es seine Leistungen rechtfertigen. Doch im täglichen Umgang kann es schwierig werden, den Selbstüberschätzer vom Angeber, den Inkompetenten vom Stillen oder den unter seinen Möglichkeiten arbeitenden Impostor vom Faulen zu unterscheiden. „Produkte und Ergebnisse in Arbeitsprozessen sind oft gar nicht so objektiv bewertbar“, gibt Dufner zu bedenken. Schon der erste Schritt, echte Inkompetenz zu identifizieren, aus einem Gefühl etwas Handfestes zu machen, ist äußerst schwierig. „Wenn man jemandem unterstellt, dass er seine Fähigkeiten überschätzt, muss man erst einmal wissen: Wie gut ist der denn? Und dann muss man auch noch wissen, wie derjenige sich selbst einschätzt. Als nächstes muss man das dem Kollegen auch noch sagen – und das ist schwierig.“

Wie schwierig es ist, Kollegen Inkompetenz nachzuweisen, weiß jeder, der es schon einmal versucht hat. Nicht nur müssen Höflichkeitsregeln beachtet und persönliche Verletzungen vermieden werden. Gerade, wenn jemandem etwas wichtig ist wie eben die Wertschätzung an der eigenen Arbeit, wird er es verteidigen und Kritik nicht so leicht akzeptieren.

Und noch ein Problem taucht auf. Zu glauben, dass Selbstüberschätzung zwangsläufig mit Angeberei und Getöse einhergeht, ist ein Trugschluss. Gerade laute Angeber sind oft in Wirklichkeit gar nicht so sehr von sich überzeugt. Menschen, die ihre Fähigkeiten überschätzen, können ebenso stille Wasser sein wie Betroffene des Impostor-Phänomens. Eine Rolle spielt auch, auf welchem Gebiet sich jemand überschätzt. Zu sozialen Spannungen am Arbeitsplatz kann es dann kommen, wenn sich ein Kollege in puncto Durchsetzungsfähigkeit und seiner Position in der Hierarchie überschätzt. „Wenn jemand in einer Gruppe keine hohe Stellung innehat, aber denkt, er sei der Anführer, trifft das auf Ablehnung“, erklärt Dufner.

Wenn sich dagegen jemand für sehr altruistisch und warmherzig hält, kann das zwar von anderen anders gesehen werden. Es tut aber keinem weh. Anders sieht es aus, wenn sich jemand ohne Berechtigung zum Anführer aufschwingt. „In hierarchischen Gruppen herrscht das Prinzip, dass Aufstieg oft auf Kosten eines anderen geht“, sagt Dufner. Da steckt dann der Sprengstoff.

Wenn echte Inkompetenz eines Kollegen den Frieden am Arbeitsplatz gefährdet oder zu nachhaltigen Spannungen führt, kann die Methode der Selbstbestätigungstheorie (self affirmation theory) helfen. Bei dieser Theorie aus der Sozialpsychologie geht man davon aus, dass es helfen kann, Inkompetente zunächst in einem anderen Bereich „aufzubauen“, also Wissen und Selbstvertrauen zu vermitteln. Experimente haben gezeigt, dass Menschen anschließend empfänglicher für Kritik an ihrer „Kernkompetenz“ waren. Offenbar wirkte negatives Feedback auf sie dann nicht mehr so bedrohlich.

Inkompetenz ist nach der Theorie des sogenannten Peter-Prinzips übrigens ein Indikator dafür, dass jemand auf der Karriereleiter das Maximum für sich herausgeholt hat. Lawrence J. Peter schrieb 1969 sein Standardwerk für die US-amerikanische Managementkaste („Das Peter-Prinzip“), wo er beschreibt, dass in hierarchischen Unternehmen mit der Zeit alle wichtigen Positionen von Leuten bekleidet werden, die damit überfordert sind. Dass die Geschäfte nicht zusammenbrechen liegt nur daran, dass es immer auch noch ein paar Mitarbeiter gibt, die ihr Maximum noch nicht erreicht haben oder überqualifiziert auf niedrigeren Ebenen arbeiten.