Selbstständigkeit: Freiberufler auf dem Vormarsch

Sie sind oft Einzelkämpfer, wissen nicht, wie viel sie im nächsten Monat verdienen, und müssen ständig Klinken putzen. Trotzdem sind Freiberufler glückliche Menschen. Denn ihnen sitzt kein nerviger Chef im Nacken. Und ihre Zahl steigt und steigt und steigt …

K. Fritz, J. Honsell, L. Patt | 11.09.2018
Mit dem PC ins Grüne: Das können nur Freiberufler

Es war im Jahr 2000, als Stefan Preishuber das erste Mal über seine berufliche Situation ins Grübeln kam. Sein Arbeitgeber, eine Spezialbank für die Verwaltung von Depots anderer Geldinstitute, wurde verkauft. Viele ITler wie er bekamen ihre Entlassungspapiere. Er war einer der wenigen, die bleiben durften. „Aber von da an wankte mein Weltbild eines fixen Arbeitsverhältnisses mit all seinen vermeintlichen Vorzügen“, erinnert sich Preishuber.

Sein Einkommen stimmte zwar, und die Arbeitszeit war regelmäßig – aber auch regelmäßig zu lang. Hinzu kam dieses ungute Gefühl, dass bei der nächsten Kündigungswelle auch er dran glauben könnte. Preishuber: „Von dieser Situation hatte ich die Nase voll.“ Seine Idee von Sicherheit kippte ins Gegenteil. 2005 bot ihm eine Firma einen Job auf freier Basis an: Man brauchte sein Wissen als IT-Berater für die Einführung und Tests von Bankensoftware. Preishuber schlug ein und meldete sich selbstständig. „Ganz kurz entschlossen, denn das klang alles super.“

Gestresst und doch zufrieden

Alles super – mit dieser Sicht ist Preishuber nicht allein unter den freien IT-Experten: Nach einer repräsentativen Umfrage der Gesellschaft für Informatik ordnen sich 45 Prozent ihrer selbstständigen Mitglieder der höchsten Zufriedenheitsklasse zu. Bei den Angestellten sind es nur 32 Prozent.

Und auch generell gilt: Fragt man die 954.000 Freiberufler in Deutschland nach ihrem Wohlgefühl, hört man weit mehr zufriedene Stimmen als Klagen. Denn obwohl Freiberuflichkeit häufig genug erhöhten beruflichen Druck, Verzicht auf Freizeit und oft auch Zukunftssorgen bedeutet, bereut die Mehrzahl ihre Entscheidung nicht. Das belegt eine Erhebung des Webportals gruendungszuschuss.de und der Uni München von 2007. Danach war die Zufriedenheit der knapp 1.200 befragten Gründer – rund die Hälfte von ihnen Freiberufler – sehr groß. Im Schnitt lag sie auf einer Skala von eins bis fünf (5 = sehr zufrieden) bei 3,94. 96 Prozent der Befragten würden wieder gründen.

Freiberuflerin Julia Perner: „Ich will keinen anderen Beruf“

Am Verdienst liegt es wohl nicht, dass Freiberufler hierzulande so zufrieden sind. Die Gehälter schwanken stark, je nach Branche und Auftragslage. Ein freiberuflicher IT-Fachmann kann in einem Jahr unter Umständen deutlich mehr verdienen als sein angestellter Kollege, im nächsten dafür deutlich darunter bleiben. Wichtiger sind andere Vorteile: Unabhängigkeit, auch von nervigen Chefs, und Verwirklichung der eigenen Ideen. Vor allem aber: Freiheit. In der Frage, wann man arbeitet und auch wie lange. Von dieser Freiheit profitiert momentan auch Julia Perner (Name geändert) – obwohl ihr Job nicht gerade die reine Idylle ist. Die freie Fachjournalistin für Steuerrecht hat zwei Kinder zwischen einem und drei Jahren, einen Mann, der als Berater nicht selten über 50 Stunden die Woche arbeitet, und pro Monat mindestens zwei Deadlines für größere Magazinbeiträge. Wenn sie in Ruhe schreiben muss, braucht sie einen Babysitter, der die Kinder spazieren trägt. Wenn die Kinder krank sind und ein Abgabetermin naht, bedeutet das durchgearbeitete Nächte und wenig Zeit für die Familie.

Trotzdem glaubt Julia Perner an ihr Lebensmodell: „Ich bin wahnsinnig glücklich mit meinem Beruf als freie Journalistin. Ich will keinen anderen.“ Von ihrer Arbeit leben könnte sie ohne die Hilfe ihres Mannes nicht. Aber sie bleibt in Übung, qualifiziert sich weiter, hält Kontakte aufrecht. „Das schaffe ich nur als Freiberuflerin“, ist sie überzeugt. So viel Euphorie kann nicht jeder Neu-Freiberufler aufbringen. So mancher startet mit Muffensausen in die Selbstständigkeit. Doch wer sich gut vorbereitet und informiert, hat keinen Grund, sich zu fürchten. „Jetzt, im wirtschaftlichen Aufschwung, herrschen ideale Bedingungen, um sich selbstständig zu machen“, sagt Gründungsberater Andreas Lutz. Für Arno Metzler, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Freien Berufe (BFB), ist das Freiberuflertum sogar „eine Arbeitsform mit großer Zukunft, denn Freiberufler bieten Qualifikationen, für die es Nachfrage auf dem Dienstleistungsmarkt gibt“.

Der eierlegende Wollmilchfreie

Gerade in Sparten wie wirtschaftliche Beratung, Bildung, Gesundheitsdienstleistung, Medien, Kommunikation und besonders Technik und Naturwissenschaft profitieren Freiberufler merklich von der aktuellen Konjunktur. Und die Wirtschaft profitiert genauso von ihnen, betont Willi Oberlander vom Institut für Freie Berufe in Nürnberg: „Vorteile von freiberuflichen Selbstständigen sind ihr hohes Maß an Arbeitsdisziplin und Verantwortungsbewusstsein, eine hohe persönliche Stabilität und Neigung zur Mitarbeiterführung.“

„Sachverstand gesucht“ – so lautet das Motto des aktuellen Arbeitsmarktes. Deshalb haben vor allem Anbieter von Spezialkenntnissen als Freiberufler die besten Chancen. So wie Sommelière Nina Randel, die Privatleute und Händler in Weinkunde unterrichtet. So wie Markus Koske, der sein Geschick mit Menschen mit seinen IT-Kenntnissen verbindet. Oder wie der Journalist Kay Auster, der sich auf Fußballberichterstattung spezialisiert hat. Was manche Auftraggeber von Freiberuflern verlangen, geht jedoch weit über deren Fachkompetenz hinaus: Eierlegende Wollmilchsäue sollen sie sein, flexibel, diszipliniert, selbstkritisch und innovativ – Charaktereigenschaften, die manche Kunden in dieser Ausprägung offenbar noch nicht mal ihren Angestellten zutrauen.

Zudem sollen Freiberufler erfolgreiche (Selbst-)Marketingstrategen, Buchhalter, Kundenbetreuer und sogar ihre eigenen Steuerberater sein. Der Selbstständige als Über-Arbeiter? „Wer zu Panikattacken neigt, hat es sicherlich schwerer“, weiß Verbandschef Arno Metzler, „und Schlafmützen werden auch beim besten Willen nicht über alle Maßen erfolgreich werden.“

Das bedeutet aber nicht, dass Freiberufler alles alleine schaffen müssen. Wer das versucht, läuft nicht nur Gefahr sich zu verzetteln. Er ist auch schnell mit Kraft und Nerven am Ende. Das sagt Monica di Stefano nicht nur ihren Kunden, sondern auch immer wieder sich selber. Sie ist Gründungsberaterin in Wuppertal und beschäftigt in ihrer Firma Confidenza eine Festangestellte, drei Aushilfen und vier freie Mitarbeiter.

Frei, aber nicht alleine

„Ohne die ginge es gar nicht mehr“, sagt die 32-Jährige, die seit sieben Jahren selbstständig ist. „Nur durch die fremde Hilfe kann ich mich voll und ganz auf die Beratung konzentrieren.“ Aktuell sucht sie erneut nach Mitarbeitern. Sie braucht noch mehr Luft, denn Anfang Mai kam ihr Kind zur Welt.

Di Stefanos Beispiel belegt im Kleinen einen großen Trend: Freiberufler werden als wirtschaftlicher Faktor immer wichtiger. So hat sich die Zahl der Selbstständigen in freien Berufen seit 1992 fast verdoppelt und ist seit 2006 um weitere 5,3 Prozent gestiegen. Freiberufler und ihre Angestellten machen nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums rund zehn Prozent aller Erwerbstätigen aus und erwirtschaften einen ebenso großen Anteil des Bruttoinlandsproduktes.

Doch der Sektor ist im Umbruch: „Die Entwicklung wird dahin gehen, dass viele Freiberufler zukünftig verstärkt kooperieren müssen“, erklärt Willi Oberlander. „Viele Nachfrager wollen zukünftig Dienstleistungen aus einer Hand. Da muss es zwangsläufig zu Kooperationen kommen, wenn auch zeitlich begrenzt.“

Gut vernetzte, über die Branchen hinweg verzahnte Kooperationen sind bislang jedoch selten; das Einzelkämpfertum überwiegt. Auch IT-Berater Stefan Preishuber ist nach wie vor Solist. „In meinem Arbeitsbereich ist es gar nicht möglich, mit anderen zu kooperieren“, ist er überzeugt. Dass er nun, nach zwei Jahren als eigener Chef, besser verdient als vorher und sich dabei auch noch besser fühlt, verdankt er seinen richtigen beruflichen Prioritäten – und zu guten Teilen auch den Kontakten in der Branche.

„Das Allerwichtigste“, findet Preishuber, „ist das richtige Netzwerk.“ Leute kennenlernen, Kontakte pflegen, sich im Gespräch entsprechend darstellen können – Networking heißt das Wunderwort, das aus dem guten alten Vitamin B hervorging. Tatsächlich, auch da sind sich die Experten einig, ist das Netzwerken tragender Baustein einer erfolgreichen Selbstständigkeit, wenngleich nicht der einzige. „Das Wichtigste sind die Marktfähigkeit der Idee, ein guter Businessplan und entsprechendes Marketing. Darunter fällt auch das Networking, der ständige Informations- und Leistungsaustausch“, erläutert Willi Oberlander. Auch wenn Business-Foren im Internet wie Xing oft eher als Freunde-Fundgrube herhalten, sollte man diesen Teil der Verkaufsförderung ernst nehmen.

Und was macht die Konkurrenz?

Nicht nur für das aktuelle Geschäft, auch schon in der Vorbereitung sind gute Kontakte Geld wert. Erst Anfang Juli hat Rechtsanwalt Alexander Wieczorek, 35, mit seinen zwei Partnern eine Kanzlei im westfälischen Hagen eröffnet. Die Geschäfte von „Dzellak, Wieczorek, Papadopoulos – Partnergesellschaft“ laufen nach den ersten Wochen präsentabel, „das hat unsere Erwartungen übertroffen“. Ihr guter Start basiert dabei nicht auf purem Gründerglück, sondern zu guten Teilen auch auf den Tipps ihres Netzwerks, ihrer befreundeten Kollegen. Diese Freunde mahnten zuallererst eine eingehende Erhebung des zukünftigen Standortes an. Also begannen die drei Junganwälte damit, intensiv die Konkurrenzsituation in den größten Städten des Ruhrgebiets zu recherchieren. Die Wahl fiel schließlich auf Hagen. „Ob eine derartig gute Vorbereitung üblich ist, weiß ich nicht“, sagt Wieczorek. „Sie ist aber auf jeden Fall vernünftig.“

Guter Rat ist vor allem am Anfang das lohnendste Investment. Doch wo beginnen? Das Feld an Beratungsmöglichkeiten und Fördergeldern für zukünftige Gründer ist selbst für Experten kaum noch zu überblicken. Vom staatlichen Beratungs-zuschuss über lukrative Gründerwettbewerbe bis hin zu zinsgünstigen Darlehen reicht die Liste der Möglichkeiten. Grundsätzlich gilt: Es gibt für alle Problemfälle Hilfe. Man muss nur wissen wo. Doch angehende Freiberufler sollten vermeiden, sich in der Suche zu verlieren. „Viele lassen sich von Vorurteilen und falschen Auskünften leiten“, warnt Gründungsberater Andreas Lutz. „Es gibt aber auch viele, die sich zu sehr informieren und dann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.“

Stefan Preishubers Projekt läuft noch bis zum Jahresende, mit Option auf Verlängerung. „Das liegt ganz an mir“, sagt der IT-Berater, „man muss aber aufpassen, dass man nicht rostig wird.“ Beschäftigungsmangel muss er wohl kaum fürchten: IT-Spezialisten wie er werden immer begehrter. Laut einer aktuellen Studie des Personaldienstleisters Hays zum Einsatz externer Mitarbeiter arbeiten in nahezu jedem dritten IT-Unternehmen mehr als 20 Prozent flexible – also freie – Arbeitskräfte, darunter viele in leitender Position. Preishuber genießt die Situation, „nicht mehr nur ein kleines Rädchen zu sein“. In seinem ersten Job als Angestellter bei einer Unternehmensberatung wurde er aus seiner bayerischen Heimat nach Dortmund versetzt. Das soll ihm nicht noch einmal passieren – und wenn er dafür ähnlich lang wie früher arbeiten muss. „Heute kann ich es darauf anlegen, in München zu bleiben.“ Auch das ein Vorteil, der mit Geld schwer zu kaufen ist.

Drei Porträts von Freiberuflern

Kay Auster, Sportjournalist
Auf dem Weg zur Vorlesung bog er links ab. Geradeaus war der Weg zum Hörsaal, VWL stand auf dem Stundenplan. Und links, im Sekretariat der Universität Wuppertal, exmatrikulierte er sich. Eine fixe Idee von Kay Auster. Morgens nach dem Aufstehen wollte er noch die Vorlesung besuchen, die ihn so gelangweilt hätte. Seine Freundin fragte: „Und jetzt?“ Er antwortete: „Mal schauen.“ Einen Plan hatte er nicht, aber eine Ahnung. Sein gelernter Job als Außenhandelskaufmann war es nicht. Er wollte über Fußball schreiben, Journalist werden. „Wie das geht, wusste ich nicht.“

Er wählte den Einstieg über Praktika. „Ich habe viel gelernt, aber finanziell war das beinahe Selbstmord. Nach der Arbeit ging es ins Bett, das war am billigsten.“ 2000 war das, er war schon 29. Seine Freundin unterstützte ihn, nicht nur finanziell. Über die Praktika sammelte Auster die Routine, die er heute als Ein-Mann-Redaktion braucht. „Ich habe jede Geschichte geschrieben, egal wie viel ich dafür bekam.“ 11,57 Euro für ein Interview in einer Regionalzeitung war sein Minusrekord. „Das war mein erstes Level: viel Arbeit, wenig Geld.“ Er sammelte seine Veröffentlichungen, baute ein Netzwerk aus Journalisten und Sportlern auf, arbeitete an einem Internetauftritt. „Und Weihnachten habe ich Redaktionen auch mal gnadenlos eine Karte geschickt.“ Vom Schreiben gut leben konnte er noch nicht.

Mittlerweile hat Auster sechs Ordner voll mit Arbeitsproben. Mit dem Sortieren kommt er nicht hinterher. Braucht er auch gar nicht: „Wenn mich der Sportchef einer Zeitung nicht kennt, schicke ich ihm den Link zu meiner Homepage“, sagt der 36-Jährige. Mittlerweile arbeitet Kay Auster an ein, zwei Tagen pro Woche in der Kommunikationsabteilung eines Unternehmens – für eine Tagespauschale, für die er früher viele Hundert Zeilen schreiben musste. Der Job macht einen guten Teil seines Gehalts aus. Damit ist für ihn Level zwei erreicht. „Heute bin ich überzeugter Freier.“ Nicht nur weil feste Stellen meist schlechter bezahlt sind. Früher arbeitete Auster auch mal 60 oder 70 Stunden die Woche. Den Spaß an der Arbeit hat er darüber nicht verloren. Neben dem Tagesgeschäft macht es Auster weiterhin Spaß, eine Geschichte bei Spiegel Online zu veröffentlichen oder Ottmar Hitzfeld zu interviewen. Seine Frau Lara ist Germanistin, hilft ihm bei der Buchhaltung und ist sein persönliches Lektorat. „Ohne diesen Rückhalt wäre mein Weg nie möglich gewesen.“ Eine langfristige Lebensplanung ist aber weiter schwierig: „Wer weiß schon, wo mein Job mich nächstes Jahr hinführt? Ich bin immer noch rastlos.“ Zeit für das nächste Level.

Nina Randel, Sommelière
Jahrelang hatte sich Nina Randel nicht mehr so richtig entspannt. Dann plante sie 2006 einen Segelurlaub mit Freunden – und hatte an Bord das typische Aha-Erlebnis einer Freiberuflerin: Der Urlaub unter griechischer Sonne entpuppte sich für Workaholic Randel als eine Art Isolationshaft. Erst recht, als ihr Laptop null Striche beim UMTS-Empfang anzeigte. „Aber ich muss arbeiten“, beharrte sie. „Du bist doch krank“, antworteten ihre Reisegefährten. „Da ist mir klar geworden, dass ich nicht mehr abschalten konnte, dass ich etwas ändern muss“, sagt Randel heute.

Die 29-Jährige verwendet häufig solche Sätze: Es musste sich etwas ändern, es muss da noch mehr geben. Aus so einem Gefühl heraus hatte sie vor zwei Jahren ihre gut gehende Weinhandlung verkauft und war freie Sommelière geworden. Ihre Idee: Kurse über Wein für jedermann anzubieten. Ihr Startkapital: das Geld aus dem Verkauf des Ladens, ihr großes Wissen über Weine und viel Verve. „Da draußen ist die Welt des Weins, da ist was los, da will ich hin“, entgegnete sie Freunden, die ihr fassungslos den Vogel zeigten. Es begann ein hartes erstes Jahr. Dabei machte sie viel richtig: Steuer und Buchhaltung übertrug sie gleich zu Beginn Profis. Ein Grafiker bastelte ihre Website; sie ließ professionelle Fotos machen. Das Wichtigste aber musste sie selbst erledigen: bekannt werden, sich einen Namen machen. Randel bietet nicht nur Privatleuten, sondern auch Weinhändlern Kurse an. „Das können wir selbst“, hörte sie von denen am Anfang oft. Die Weine für die gehobeneren Kurse sind teuer, das Geld aus dem Laden ging irgendwann zur Neige. Einmal setzte eine OP sie für zwei Wochen außer Gefecht. Als sie noch ihren Laden hatte, wäre einfach jemand eingesprungen. In ihrem ersten Jahr als Freiberuflerin wollte Nina Randel zu viel alleine regeln. „Ich kam selten raus, auch aus mir selbst.“ Draußen blieben auch die Bekannten, die Freunde, deren Lob und Kritik so wichtig sind.

„Es war falsch sich abzukapseln. Man kommt nicht auf neue Ideen“, hat Nina Randel inzwischen erkannt. An den Wochenenden studiert sie für das Diplom einer renommierten Weinfachschule, arbeitet 60 Stunden und mehr. Wie hält sie durch? „Wenn man weiß, wofür man es macht …“ Jetzt, in ihrem zweiten Jahr als Freiberuflerin, ist Erntezeit. Die diplomierte Sommelière hält Seminare in ganz Deutschland. Weinhändler und große Firmen buchen sie. Die Auftragslage ist gut. Sie arbeitet jetzt kaum weniger, aber anders: nicht immer bis zum Äußersten, nicht immer allein. Und der Laptop bleibt auch öfter mal zu Hause.

Markus Koske, IT-Berater
Die Festanstellung ist nicht vom Tisch Markus Koske verlor seinen Job, weil die Branche am Boden lag. Es war 2003, auf dem Höhepunkt der Internet-Krise. Bis dahin hatte der studierte Betriebswirt nach verschiedenen Jobs zuletzt als Personalvermittler für IT-Unternehmen gearbeitet – bis es nicht mehr viel zu vermitteln gab. Betriebsbedingte Kündigung, noch ein paar Monate bis zum Ende des Arbeitsvertrages. Und jetzt? „Mach dich selbstständig“, riet ihm seine Freundin, „ich trau dir das zu.“ Markus Koske hatte Zweifel. Welche Chancen gab es? Was konnte er anbieten? Seine Freundin beharrte. Koske kann gut mit Menschen umgehen, und er ist gut in Akquise. Fähigkeiten, die der krisengeschüttelte IT-Markt dringend brauchte, wie sich schnell herausstellte.

Koske hatte Glück – und das nötige Können. Gleich zu Beginn seiner Selbstständigkeit bekam er einen längerfristigen Auftrag. Ein gleitender Übergang, kein tiefer Fall ins harte erste Freiberufler-Jahr. Er gewann Kunden am Telefon, und er war gut darin. Dass der Start trotzdem nicht leicht war, lag nicht an der Auftragslage. Die neue Rolle als eigener Chef war ungewohnt. „Anfangs war ich im Kopf nicht frei. Ich dachte, eine Festanstellung ist das Nonplusultra.“ Wegen der Sicherheit, des Netzes, das einen auffängt. Diese berufliche Sicherheit hat sich der 39-Jährige inzwischen erarbeitet. Irgendwann musste er nicht mehr auf Fachmessen für sich werben; die Auftraggeber riefen von selbst an. Vor einem Jahr kam eine Beratungsfirma dazu, für die er jetzt ein großes Softwarehaus bei der Zusammenarbeit mit ausländischen Softwarefirmen berät.

Heute mag er, was er tut. Er schätzt die Freiheit, reist viel und sieht stets neue Gesichter. Koske kennt aber auch die Nachteile: Langfristige Projekte sind für Freie selten. Wichtige Fortbildungen muss er selber finanzieren. Dafür opfert er seine Wochenenden, Zeit, die andere mit ihrer Familie verbringen. Freundschaften zu pflegen wird zu einem Stück Arbeit. Koske, der aus einer Zwangssituation heraus Freiberufler wurde und sich durchkämpfte, weiß um den Luxus der freien Wahl: „Es ist sicher leichter, sich in einer Hochkonjunktur selbstständig zu machen.“ Etwas Mut und einen guten Plan brauche man, sagt er, und vor allem Freunde, die einen beraten und bestärken.

Und was bringt die Zukunft? Koske sagt: „Die Festanstellung ist nicht vom Tisch.“ Aber mittlerweile ist es ihm nicht mehr so wichtig, in welchem Arbeitsverhältnis er steht. In der wechselhaften IT-Welt kann jeder schnell auf der Straße stehen. Auch darin ist der Sektor eine Zukunftsbranche. Koske ist gewappnet.

Infos

1. Was ist noch mal ein …?

…Freiberufler, freier Mitarbeiter, Selbstständiger, Gewerbetreibender: Die Begriffe werden gerne durcheinandergeworfen. Selbstständig sind alle, die ihr eigener Chef sind, also Unternehmer, Gewerbetreibende oder Freiberufler. Ob man als freier Mitarbeiter bei einem Unternehmen arbeitet, sagt noch nichts darüber aus, ob man Freiberufler ist. Das wiederum sind steuerrechtlich zunächst alle, die in so genannten Katalogberufen arbeiten. Dazu gehören Heilberufe, rechts-, steuer- und wirtschaftsberatende Berufe, technische und naturwissenschaftliche Berufe sowie informationsvermittelnde und Kulturberufe. Die Liste ist schon etwas älter; seitdem sind einige Berufe dazugekommen, bei denen im Einzelfall entschieden wird, ob sie als „Katalogberufen ähnliche Tätigkeiten“ gelten. Ob man sich dazurechnen darf, erfragt man am besten bei Existenzgründungsberatern, bevor das Finanzamt die Einstufung vornimmt.

2. Gehälter – Zwischen Topverdienst und Hungerlohn

ITler: 100.902 Euro, durchschnittlicher Jahresumsatz bei freiberuflicher Tätigkeit, vor Steuern (Quelle: GULP 2007)

Architekten: 45.000 Euro, durchschnittlicher Jahresumsatz von Ein-Personen-Büros 2004 (Quelle: Erhebung der Bundesarchitektenkammer von 2006)

Anwälte: Einzelanwalt Westdeutschland: 45.000 Euro Bruttoüberschuss; Einzelanwalt Ostdeutschland: 40.000 Euro (Quelle: Institut für Freie Berufe; Angaben für 2004)

Ärzte: zwischen 63.500 Euro (Psychotherapeuten) über 175.900 Euro (Hausärzte) bis hin zu 428.800 Euro (Radiologen) – alles vor Steuern und ohne Abzug der Praxiskosten (Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung 2005)

Journalisten: 13.651 Euro im Durchschnitt (Quelle: Künstlersozialkasse 2007)

Musiker: 9.698 Euro im Durchschnitt (Quelle: Künstlersozialkasse 2007)

3. Die 5 Fallen der Selbstständigkeit

Falle 1: Selbstausbeutung

„Es ist ein merkwürdiges Phänomen, dass sich jeder sagt: Das kann ich alles gar nicht schaffen, aber hoffentlich kommt noch ein Auftrag“, findet Arno Metzler vom Bundesverband der Freien Berufe. Umso wichtiger ist es, dieses Maß an Anspannung nicht durch die komplette Woche zu tragen. Definieren Sie Ihre Arbeitszeiten, schaffen Sie mindestens einen kompletten Tag Freiraum in der Woche, möglichst am Wochenende. Familie, Freundschaften und Bewegung sind wichtige Bestandteile des Lebens. Planen Sie diese in Ihrem Terminkalender ein. Überlegen Sie zudem, ob es wirklich nötig ist, jeden Auftrag anzunehmen.

Falle 2: Falsche Kalkulation

Immer bedenken: Sie müssen von Ihrem Honorar Geld für Steuern, Versicherungen, Urlaub und Krankheit abziehen. Berufliche Durststrecken sollten Sie durch die Bildung von Rücklagen überbrücken können. Auf der Seite www.existenzgruender.de des Bundeswirtschaftsministeriums können Sie per Checkliste die jährlichen Kosten für Haushalt, Versicherung etc. ermitteln und eine Rentabilitätsvorschau machen.

Falle 3: Ineffektive Arbeit

Es gibt viele Methoden, unproduktive Arbeit zu vermeiden. Konzentrieren Sie vor allem Ihre Kräfte. Eine To-do-Liste sowie eine Kurz- und eine Langzeitplanung sind hilfreich. Bündeln Sie die Arbeiten des Tages und bearbeiten Sie nur zweimal täglich Ihre E-Mails. Arbeiten Sie Ihre Aufgaben Punkt für Punkt und nicht parallel ab. Fertigen Sie für häufig verwendete Dokumente Vorlagen an. Den Effizienzgrad Ihrer Arbeitsabläufe und Büroorganisation können Sie wiederum auf der Seite www.existenzgruender.de  überprüfen.

Falle 4: Mangelndes Outsourcing Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an spezialisierten Anbietern, die nahezu jede anfallende Arbeit übernehmen. Wichtig ist die vorherige Analyse, wie praktikabel und sinnvoll es ist, einen Teil des Büroarbeitsalltags in fremde Hände zu geben. Zu finden sind nahezu alle Dienstleistungen von der Terminverwaltung über den Telefondienst durch ein Call-Center bis hin zu temporären Sekretariatsdiensten. Die zusätzlichen Kosten können sich häufig bezahlt machen.

Falle 5: Fehlende Altersvorsorge Grundsätzlich gilt: Altersvorsorge ist für jeden Pflicht. Die zusätzlichen Kosten sollten niemanden schrecken. Neben der staatlichen Absicherung gibt es als private Vorsorgemöglichkeit unter anderem die staatlich bezuschusste Riester-Rente und die steuerlich geförderte Rürup-Rente. Selbstständigen mit Familie ist zum Beispiel eine Risikolebensversicherung anzuraten. Daneben existieren spezielle Töpfe wie die Künstlersozialversicherung mit besonderen Konditionen für selbstständige Publizisten und Künstler. Insgesamt rät Willi Oberlander vom Institut für Freie Berufe Nürnberg gerade bei der Altersvorsorge zu einer Intensivberatung: „Viele wissen noch nicht einmal, dass man bei der Finanzierung nicht das ganze Eigenkapital einbringen muss, sondern auch die Bildung von Reserven möglich ist.“

4. Die besten Links für Freiberufler 

www.existenzgruender.de Umfangreiche Informationsseite des Bundeswirtschaftsministeriums mit Informationsbroschüren, Checklisten und hilfreichen Adressen

www.freie-berufe.de Homepage des Bundesverbands der Freien Berufe mit Tipps zum Start in die freiberufliche Selbstständigkeit, Charakteristika der Berufsbilder und rechtlichen Informationen

www.foerderdatenbank.de Übersicht der Förderprogramme und Finanzhilfen des Bundes, der Länder und der EU, mit Suchfunktion

www.kfw.de Die KfW-Bankengruppe, früher Kreditanstalt für Wiederaufbau, vergibt unter anderem Investitionskredite an kleine und mittlere Unternehmen www.ifb-gruendung.de Gründungsberatung des Instituts für Freie Berufe in Nürnberg

www.gruendungszuschuss.de Seite des Existenzgründungsberaters Andreas Lutz, viele Hinweise und Tipps www.gruenderforum.de Informationen für Existenzgründer mit Suchfunktion für regionale Hilfe

www.althilftjung.de Wirtschaftssenioren beraten ehrenamtlich junge Existenzgründer

www.gruenderzeit.de Studenteninitiative für zukünftige Gründer