Promovieren – neben dem Job

Wer neben dem Job promovieren will, braucht Ausdauer, Leidenschaft und die Unterstützung seines Arbeitgebers. Aber nicht immer lohnt die Dissertation. Lesen Sie hier, welchen Fallen Sie aus dem Weg gehen sollten, wie Sie den großen Arbeitsaufwand bewältigen und warum sich ein Stipendium lohnt.

Johanna Kutsche | 11.09.2018

Promo-Virus. So nennt Thomas Meuser das Symptom. Der Professor für Umweltmanagement an der Unternehmerhochschule BiTS in Iserlohn hat ein Buch geschrieben. Es trägt den Titel: „Promo-Viren. Zur Behandlung promotionaler Infekte und chronischer Doktoritis“. Das Werk ist zwar nicht mehr ganz druckfrisch – aber es ist immer noch ein Bestseller. Einzelaufsätze beschreiben zum Beispiel Assistenten am Rande des Nervenzusammenbruchs. Jeder Doktorand kann sich darin wiederfinden.

Jährlich entschließen sich in Deutschland rund 24000 Studenten zu einer Promotion. Einige haben den Wunsch, nach dem Studium noch in ihrem Fachbereich weiterzuarbeiten. Manche wissen keine Alternative und widmen sich lieber ein paar Jahre lang einer Doktorarbeit, als auf der Straße zu stehen oder sich auf den harten Bewerbungsmarathon einzulassen. Und andere wollen mit der Promotion ihre Karrierechancen verbessern: Ein Doktortitel macht bei Personalchefs Eindruck, und auch das Gehalt fällt höher aus. Laut einer Kienbaum-Studie verdienen Berufstätige mit Doktortitel zwischen 50000 und 60000 Euro pro Jahr. Absolventen ohne Doktortitel kommen im Schnitt auf etwa 42000 Euro.

Immer mehr Doktoranden arbeiten gleichzeitig

Der Doktor ist begehrt. Viele Angestellte entscheiden sich deshalb für eine Promotion neben dem Job. Mittlerweile sind es immerhin zehn Prozent aller Doktoranden – Tendenz steigend. So wie Katja Goß. Die 28-jährige Rechtsanwältin arbeitet seit vier Jahren im Düsseldorfer Büro der internationalen Großkanzlei Linklaters. „Man muss schon ein Typ sein, der gerne wissenschaftlich arbeitet und sich durchbeißen kann“, sagt sie. Nach dem Jura-Studium hat sie ihr Referendariat bei Linklaters absolviert und viel Motivation und Unterstützung bekommen. Da schien dann auch der Gedanke an die Promotion nicht mehr so abwegig. „Inzwischen wird mir immer mehr bewusst, dass gerade bei Frauen in einer großen Wirtschaftskanzlei ein Doktortitel helfen kann, Vorurteile abzubauen“, sagt sie, „sonst besteht die Gefahr, nicht ganz ernst genommen oder womöglich mit der Sekretärin verwechselt zu werden.“

Juristen haben es allerdings recht einfach. In ein bis zwei Jahren sind sie fertig. Da fällt es nicht ganz so schwer, neben dem Job zu promovieren. In anderen Fächern dauert es länger. Durchschnittlich fünf Jahre benötigen Promovierende für ihre Dissertation.

Promovieren neben der normalen Arbeit verlang höchste Disziplin

Wer neben dem Job promoviert, muss in der Regel noch viel mehr Zeit veranschlagen. „Im Job drei Jahre für eine Promotion auszusetzen, das würde ich mir wirklich überlegen“, sagt Buchautor Thomas Meuser. Denn nicht immer bringt ein Doktortitel auch tatsächlich einen Mehrwert. Die Faustregel lautet: Je praxisnäher der Job ist, desto weniger lohnt sich die Promotion. Und: Was schon im Studium gefordert ist, nämlich Organisationstalent und Selbstdisziplin, das gilt bei einer Promotion in besonderem Maße. Jeder, der mit dem Gedanken spielt, den Titel anzustreben, sollte sich vorab kritisch hinterfragen.

In manchen Fächern ist eine Doktorarbeit ohnehin nicht nötig, in den Ingenieurwissenschaften zum Beispiel. „Die haben auch so gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Jutta Bäumler, Berufsberaterin für akademische Berufe bei der Arbeitsagentur in Magdeburg, „auch in der Krise sind die Bedingungen vergleichsweise gut.“ Die Notwendigkeit zur Dissertation sei da kaum gegeben. Ganz anders dagegen in den Naturwissenschaften. Wer zurzeit die Chance hat, eine Promotion aufzunehmen, sollte zugreifen. „Biologen und Physiker haben mit einer Promotion deutlich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Jutta Bäumler.

Je praxisnäher der Job, desto weniger lohnt sich die Promotion

Der Wunsch, die schlechte Arbeitsmarktsituation mit einer Promotion zu überbrücken, zeigt sich auch bei vielen Wirtschaftswissenschaftlern. Die Absolventenzahlen steigen, die Jobchancen sind längst nicht mehr so gut wie vor einigen Jahren.

Davor warnt jedoch Marc Kaulisch: „Generell ist die Promotion keine Zeit zur Überbrückung einer schlechten Arbeitsmarktlage.“ Der 31-Jährige ist Hochschulforscher am Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (iFQ) in Bonn und beschäftigt sich seit vier Jahren mit den Lebenswegen von Absolventen. Das Interesse an der Forschung und das Interesse am Thema sollten ausschlaggebend dafür sein, dass Absolventen promovieren.

Wer hingegen acht Stunden am Tag arbeitet, hat abends und am Wochenende kaum noch Luft für die Dissertation. „Hohe promotionsferne Leistungen“ nennt Marcus Müller, der Bundesvorsitzende des interdisziplinären Doktorandennetzwerks Thesis, diese Ablenkung. Sie ist der Hauptgrund, warum eine Promotion abgebrochen wird, sagt Müller.

Die Stipendien sind leider kaum hinreichend

Andererseits müssen Doktoranden ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Stiftungen und Förderwerke des Bundes haben nur einen kleinen Topf für die Doktoranden-Finanzierung. Wer ein Stipendium der Begabtenförderungswerke bekommt, kann sich glücklich schätzen: Die Stipendiaten erhalten monatlich 1050 Euro, dazu kommt eine Forschungskostenpauschale von monatlich 100 Euro sowie familienbezogene Leistungen, Unterstützung für die Kinderbetreuung zum Beispiel.

Nicht zu unterschätzen ist die ideelle Förderung. Stipendiaten sind in Netzwerken organisiert und bekommen die Möglichkeit, auf Kongresse zu fahren. Diesen Netzwerkvorteil haben Promovierende allerdings auch an der Universität, die meisten sind als wissenschaftliche Mitarbeiter an der Uni angestellt. Zwei Tage in der Woche forschen und lehren, drei Tage forschen und schreiben – so sieht das perfekte Modell aus. Allerdings gibt es auch hier Tücken: Wegen des Personalmangels müssen die wissenschaftlichen Mitarbeiter aber oft viel mehr Lehrveranstaltungen übernehmen als geplant.

Viele Unternehmen fördern ihre Mitarbeiter

Solche Probleme haben Doktoranden in Unternehmen in der Regel nicht. Häufig werden sie von ihrem Arbeitgeber finanziert. Die Unternehmensberatung Roland Berger stellt die Promovierenden 18 Monate lang frei und zahlt ein festes Gehalt. Zum Abschluss der Promotion winkt sogar ein Bonus. Der Preis dafür ist die Promotion im Schnellverfahren. Auch Projektmanagerin Christina Welsch hat die Herausforderung angenommen. „Als ich freigestellt wurde, hatte ich das Thema schon mit meinem Doktorvater besprochen und viel Literatur durchgesehen“, sagt sie. Deshalb konnte sie sich 18 Monate lang fast nur mit dem Schreiben beschäftigen: „Ich wusste, dass ich es nicht schaffe, die Promotion neben der Arbeit abzuschließen.“

In ihrer Arbeit widmete sie sich der Frage, warum Unternehmen oft erst spät auf sich andeutende Krisen reagieren. Mit diesem Thema hatte sich Christina Welsch auch schon in ihrem Tagesgeschäft auseinander gesetzt. „Es war mir wichtig, etwas zu finden, das jeden Tag aufs Neue mein Interesse weckt“, sagt sie.

Es sind vor allem die Unternehmensberatungen, die Wirtschaftsprüfgesellschaften und die Kanzleien, die auf promovierte Mitarbeiter setzen. Bei Linklaters zum Beispiel können Mitarbeiter grundsätzlich neben ihrer Tätigkeit promovieren, die Einzelheiten werden mit den Partnern abgestimmt.

Teilzeitpromotion scheint vielen undenkbar

Katja Goß konnte also ein Modell finden, mit dem sie selbst gut klarkommt. Sie hat sich dafür entschieden, Beruf und Promotion voneinander zu trennen: „Ich promoviere seit eineinhalb Jahren in einer Art Blockprogramm“, sagt sie. Wenn sie ein Projekt betreut, ist sie mehrere Monate am Stück in der Firma. „Und dann bin ich wieder eine Zeitlang freigestellt, um zu promovieren.“ Drei Tage zu arbeiten und den Rest der Woche zu promovieren, komme für sie nicht in Frage. Schließlich brauche sie immer ein bisschen Zeit, um sich wieder in das Thema einzudenken – sowohl im Job, als auch bei der Doktorarbeit.

Unternehmen fördern vor allem die Mitarbeiter, die schon einen guten Abschluss haben und durch ihre Leistungen aufgefallen sind. Bei McKinsey zum Beispiel ist die Promotion fester Bestandteil des Fellowship-Programms, am Ende sind die Fellows auch automatisch Senior Associates, also künftige Führungskräfte.

Duale Promotion ist möglich

Modelle anderer Unternehmen ähneln einem dualen Studium: Andreas Christ von Pricewaterhouse-Coopers (PwC) arbeitet je zur Hälfte als Wirtschaftsprüfer und an der Universität in Frankfurt am Main. Was sich nach einer Menge Arbeit anhört, ist für den Promovierenden der Rechnungslegung nur logisch: „Das Wirtschaftsprüfungsgeschäft ist saisonal.“ Von September bis Ende März haben die Wirtschaftsprüfer die meisten Aufträge, im Sommer bleibt Zeit für seine Promotion. Die Doktorarbeit nutzt er, um das Wissen aus dem Job zu vertiefen. „Ich arbeite in einem Fach, das sehr nah mit meiner Promotion verbunden ist.“

Den Winter nutzt er, um im Kontakt mit Kunden zu lernen und Anregungen zu sammeln. Im Sommer eignet er sich zusätzliche analytische Fähigkeiten an. Die Mischung ist optimal. „Die praktischen Erfahrungen bereichern meine Dissertation.“

Natürlich reizt Andreas Christ nicht nur die wissenschaftliche Fortsetzung seiner täglichen Arbeit. Er will auch seine Karriere voranbringen. Die Möglichkeiten dazu „ergeben sich zwangsläufig“, sagt er. Die Statistik bestätigt ihn. Mehr als die Hälfte der promovierten Wirtschaftswissenschaftler und Elektrotechniker haben zehn Jahre nach Abschluss der Promotion eine Führungsposition. Die Gefahr der Arbeitslosigkeit sinkt gegenüber Akademikern ohne Promotion um die Hälfte.

Wer an die Spitze will, der sollte promovieren

Und wer einmal im Vorstand landen möchte, ist, sofern sich das überhaupt planen lässt, mit einer Dissertation gut vorbereitet. „Vor allem ganz oben in der Wirtschaft ist die Luft dünn für Nichtpromovierte“, sagt Thomas Meuser. Rund die Hälfte der Dax-Vorstände ist promoviert. „Das kann bei einem Anteil von weniger als zwei Prozent Promovierten in der Normalbevölkerung doch kein Zufall sein.“