Studie zur Arbeitsbelastung: Was Unternehmen von Selbstständigen lernen können

Von wegen selbst und ständig: Freiberufler erledigen ihren Job mit mehr Freude als Angestellte.

Angelika Ivanov | 17.11.2024
Keine nervige Kollegen, flexible Arbeitszeiten und hohe Motivation: Was Unternehmen von Selbstständigen lernen können.

Freiberufler haben ein besseres Gefühl bei der Arbeit Keine nervige Kollegen, flexible Arbeitszeiten und hohe Motivation: Was Unternehmen von Selbstständigen lernen können. Foto: Brooke Cagle/Unsplash

Weniger Druck, weniger Belastung, kaum nervige Kollegen: Freiberufler empfinden bei der Arbeit weniger Belastung. Das zeigt eine Umfrage des Versicherers HDI.

Der Versicherer hat über das Online-Panel des Forschungsinstituts YouGov Deutschland 3600 berufstätige Menschen gefragt, was sie an ihrem Job am meisten belastet. Das Ergebnis kann Unternehmen gute Hinweise geben, meint Oliver Meltz. Der Arbeitspsychologe bei der ias-Gruppe, einem Dienstleister für betriebliches Gesundheitsmanagement, erklärt im unteren Teil, was die Studie bedeuten kann.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie:

Selbstständige sind zufriedener und fühlen sich freier in ihrem Job als Angestellte. 80 Prozent der Selbstständigen gaben an, dass sie ihren heutigen Beruf erneut wählen würden. Unter Angestellten sind es knapp 70 Prozent.

Selbstständige haben mehr Freude bei der Arbeit. 80 Prozent der Selbständigen sagen außerdem, dass sie sehr viel Spaß im Job haben. Bei Angestellten sind es 15 Prozent weniger.

Außerdem ist laut Umfrage Geld für Selbstständige weniger wichtig. Nur 17 Prozent geben an, dass Ihnen Geld bei der Berufswahl am wichtigsten war. Mit 36 Prozent war das Ziel sich selbst zu verwirklichen weit wichtiger.

Bei Angestellten zeigt sich ein anderes Bild: 37 Prozent ist der Verdienst am wichtigsten. Nur zehn Prozent von ihnen wollen sich an erster Stelle mit ihrem Job selbst verwirklichen.

So geben etwa auch sechs von zehn Selbstständigen an, weiter arbeiten zu gehen, auch wenn sie finanziell ausgesorgt hätten. So viel Idealismus hat aber nur ein Drittel der Angestellten.

Große Unterschiede bei den Themen Erkrankung und Digitalisierung

Auch bei der gefühlten Arbeitsbelastung stehen Selbstständige besser da als Angestellte. Nur rund ein Drittel gibt an, unter Zeitdruck zu stehen. Bei Arbeitnehmern sind es hingegen mit 41 Prozent fast zehn Prozent mehr.

Außerdem haben lediglich zwölf Prozent der befragten Selbstständigen das Gefühl der Überforderung. Bei Angestellten ist es immerhin ein Viertel – und damit elf Prozent mehr.

Nur 30 Prozent haben Angst, wegen einer berufsbedingten Erkrankung auszufallen. Bei Angestellten sind es 37 Prozent. Zudem haben Selbstständige (17 Prozent) auch seltener Sorge, wegen der Digitalisierung ihren Job zu verlieren als Angestellte (23 Prozent).

Wenig überraschend leiden Selbstständige nur selten unter ihren Kollegen (7 Prozent), unflexiblen Arbeitszeiten (9 Prozent) oder haben Ärger mit Vorgesetzten (4 Prozent). Bei Angestellten empfinden weit mehr als doppelt so viele – nämlich nahezu 20 Prozent – die Kollegen, den Chef oder die Arbeitszeiten als Belastung.

Nur bei einer Sache sind Selbstständige unzufriedener als Arbeitnehmer: Die ständige Erreichbarkeit stört 26 Prozent der Freiberufler. Bei den Angestellten sind es 19 Prozent, also 7 Prozent weniger.

Das meint Experte Oliver Meltz:

Die Studie zeige, dass Angestellte die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit im Schnitt anders wahrnehmen als Selbstständige. Ein Erklärungsansatz hierfür sei, dass Angestellte ihre Arbeitsaufträge von Vorgesetzten erhalten und weniger selbst bestimmen können, welche Aufgaben sie wie ausführen.

„Das kann zum Beispiel plakativ bedeuten auch mit sehr anstrengenden Kunden sehr freundlich umgehen zu müssen,“ meint Meltz. Selbstständige, deren Auftragsbücher voll sind, könnten hingegen besser wählen, welche Jobs und Kunden sie wann annehmen. „Diese Selbstbestimmtheit kann ein Grund dafür sein, dass Selbstständige weniger Überforderung und Zeitdruck angeben als Angestellte, selbst dann, wenn sie genauso lange und intensiv arbeiten“, so der Arbeitspsychologe. Heißt: Sie empfinden bei ähnlicher Belastung weniger Stress.

Selbstständige geben an, dass sie ihren Beruf vorwiegend aufgrund ihrer Interessen und Neigungen gewählt haben. Mehr Selbstständige als Arbeitnehmer geben entsprechend an, auch bei finanzieller Freiheit weiterhin ihren Job machen zu wollen. „Dies erscheint logisch“, so Meltz. „Mehr Geld verändert die grundlegende Motivation zur Selbstständigkeit nicht notwendigerweise.“ Geld ist eben ein grundlegender Faktor, aber kein treibender.

Wer hauptsächlich wegen des Geldes arbeite, stelle die Arbeit bei finanzieller Unabhängigkeit eben auch eher ein. „Dazu kommt, dass Angestellte oft nur die Wahl zwischen festgelegter Voll- und Teilzeit nach den Regeln der Organisation haben oder ganz aus der Organisation auszuscheiden“, gibt Meltz zu bedenken.

Die Studie deutet darauf hin, dass Angestellte weniger die Aufgaben stören, als die unflexiblen Arbeitszeiten, der Zeitdruck und die fehlende Vereinbarkeit von Privatem und Beruflichem – sprich die Rahmenbedingungen. Selbstständige hingegen können eine neue Lebenssituation viel einfacher in ihren Job einfließen lassen.

Selbstbestimmtheit schafft Zufriedenheit

Das könnte ein wichtiger Hinweis sein. „Viele Unternehmen fragen sich derzeit, wie sie High Potentials an sich binden können“, sagt Meltz. „Ein hohes Gehalt und Bonuszahlungen werden häufig als gutes Mittel hierzu angesehen. Speziell für Menschen, die Unternehmen verlassen um selbstständig zu arbeiten, sind mit Blick auf die Studie jedoch andere Faktoren entscheidender. Die Möglichkeit Interessen und Neigungen folgen und selbstbestimmt arbeiten zu können, ist generell eine gute Voraussetzung für hohe Mitarbeiterzufriedenheit und Engagement.“

Wichtig sei aber zu bedenken, dass „die von den eigenen Angestellten empfundenen Belastungen von den in der Studie gefundenen Mittelwerten abweichen können“. Weder seien alle Selbstständigen gleich, noch sind es Unternehmen.

Bereits von Abteilung zu Abteilung fielen Befragungsergebnisse oftmals anders aus. Der Experte rät deswegen: „Wer wirklich wissen will, wie es seinen Mitarbeitern geht und was sie bewegt, muss mit ihnen in den Dialog treten, etwa durch eine eigene Mitarbeiterbefragung.“

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