Glosse: Sexismus im Büro: Was Männer jetzt noch sagen dürfen

Angelika Ivanov | 17.11.2021
Ohne Sexismus im Alltag können sich alle besser auf ihre Aufgaben konzentrieren.

Einfach zusammenarbeiten Ohne Sexismus im Alltag können sich alle besser auf ihre Aufgaben konzentrieren. Foto: You x ventures/ unsplash © Karriere

„Frau übersieht Fahrspurende und fährt in Baustelle – zwei Verletzte“, titelte die Berliner Zeitung am 27. Juli 2020. Können Sie den Sexismus aus der Schlagzeile rauslesen? Richtig, ich auch nicht. Doch AfD-Politiker Lindemann hat ein besonders geschultes Auge und hat das Fahrspurende als eindeutiges Zeichen für #gendergaga interpretiert. Die Twitter-Community dankte es ihm.

Er hatte wohl Wörter wie Studenten im Kopf, die nun genderneutral Studierende genannt werden. Doch im Fall „Fahrspurende“ war wohl eher die Projektion der Vater des Gedanken. Oder die Mutter? Ach, egal. Zumindest zeigt das Beispiel: Es herrscht Verwirrung. Was ist gendergerecht, was ist sexistisch?

Grundsätzlich können wir festhalten: Sexismus ist ein historisches Relikt. Über Jahrhunderte wurde Menschen aufgrund ihres Geschlechts Grips, Logik oder die Fähigkeit einzuparken abgesprochen. Meistens waren Frauen benachteiligt, wurden von Schulen, Universitäten und Regierungen ausgeschlossen. Und ja, auch Frauen sind sexistisch, wenn sie etwa lieber von Chefs geführt werden und ihnen mehr Kompetenz zusprechen als Chefinnen, wie Studien ergeben.

Tipps gegen das „nervige Thema“ Feminismus und #metoo

Wieso wir das sind? Weil wir von Kind auf gelernt haben, dass meistens der ältere Herr der Chef ist. Oder Lehrer Mädchen seltener in Mathe drannehmen. Oder sie bei der Familienfeier statt für ihre kluge Antwort für ihr hübsches Kleid gelobt werden. Unbewusst und auf der Suche nach Anerkennung lernen wir diese Mechanismen.

Und ja, es gibt auch für Jungen und Männer wirklich veraltete Erziehungsgrundsätze, à la „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“. Aber das ist ein anderes Thema, was an anderer Stelle diskutiert werden kann.

Es ist also niemand wirklich schuld. Aber sind alle schuldig, wenn wir einfach weitermachen wie bisher. Schon kann ich die Proteste hören: Was wollen Frauen eigentlich? Hier geht es ihnen doch gut! Sie sollen mal in andere Staaten gucken! Die Diskussion haben wir seit den 70ern!

Nerviges Gewäsch.

Kurze Anleitung gegen Sexismus

Ja, nervig. Das finden vermutlich alle FeministInnen, Humanisten und alle, die ein faires Miteinander leben wollen. Es wäre schöner, wenn das Thema durch wäre. Um dem ein Ende zu setzen, gibt es ein paar einfache Wege. Dafür müssen wir nur unseren Verstand und unsere Fähigkeit zur Reflexion aktiv nutzen. Nichts einfacher als das? Also los! Die Anti-Sexismus-Anleitung für Eilige.

  1. Augen auf. Wie läuft der Alltag für Frauen ab? Wie für Männer? Wieso haben meine Freundinnen nachts Angst, alleine nach Hause zu laufen? Wer bekommt aus welchem Grund mehr Geld? Wer sagt im Meeting mehr und wieso? Einfach hingucken und unbewertet aufnehmen.
  2. Ich bin doch nicht sexistisch! Kann sein. Schließlich sind wir auch unbewusst rassistisch. Es schadet also nicht, sich selbst kritisch zu überprüfen: Wie verhalte ich mich? Wo sind meine Grenzen im Kopf? Folgende Geschichte liefert einen kurzen Test.
    Ein Mann und sein Sohn sitzen im Auto und haben einen schweren Unfall. Sie kommen ins Krankenhaus und alle Ärzte sind in laufenden Operationen. Bis auf den Chefarzt. Dieser geht in den OP, sieht den Jungen und sagt: Ich kann ihn nicht operieren. Er ist mein Sohn.

    Warum? Die Antwort ist einfach: Die Mutter ist Chefarzt. Doch durch die männlich dominierte Sprache entstehen Bilder von Männern im Kopf. Das hat zur Folge, dass die meisten Menschen im ersten Moment verwirrt sind.

  3. Darf ich denn gar nichts mehr sagen? Doch! Und mit den Konsequenzen leben. Wir haben ein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Doch dieses Recht findet laut Grundgesetz §5 seine „Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze [..] und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ Das ist natürlich juristisch dehnbar. Aber im Büro sollte klar sein, dass ein respektvoller Umgang erwünscht ist. Die Grenze der freien Meinungsäußerung ist also da, wo die Ehre der anderen Person anfängt.

Ein Trick: Vielleicht kannst du eine Zeit lang zwei Sekunden länger nachdenken, bevor du etwas sagst. Stell dir einfach vor, deine Mutter steht neben dir. Würdest du dann diesen Spruch auch noch rausposaunen? Nein? Dann ist er vielleicht eher etwas für den Bierabend als fürs Arbeitsumfeld.
Konkret bedeutet es, sich zum Beispiel den Spruch über Körperteile von KollegInnen zu verkneifen. Den Raum zu verlassen, wenn ein Mensch wegen des Geschlechts be- oder verurteilt wird. Wer mutig genug ist, kann auch verbal dazwischen grätschen.

  1. Aber ich habe doch nur einen Witz gemacht! Das ist ok, aber kein Freifahrtschein für rüpelhaftes Verhalten. Witze und Humor sind toll. Sie bringen uns zum Lachen, bauen Stress ab und sorgen für Leichtigkeit bei der Arbeit. Aber Witze funktionieren auch über Beziehungen. Es gibt also einen Unterschied zwischen Witzen, die man den besten Freunden beim Bier erzählt oder der Chefin auf dem Flur.

Mehr: Wie sich Unternehmen auch in Corona-Zeiten für Diversity engagieren