Der Neffe übernimmt den Saftladen
Das Familienerbe bewahren, zugleich auf radikal veränderten Märkten bestehen – junge Unternehmer wie Sebastian Koeppel sehen es als Chance. Schon als Schüler half er in der Firma aus. Nun, mit 32, ist er Gesellschafter von Beckers Bester.
Die Rolle ist für Sebastian Koeppel ungewohnt. Etwas unsicher tastet er sich auf die Bühne, hält sich an seinen Notizen fest. Das mit dem Mittelpunkt ist er gewöhnt, schließlich ist er Unternehmer. Aber das mit dem Scheinwerferlicht? 300 Zuhörer sitzen im Saal, der Bundesverband Junger Unternehmer hat geladen, Koeppel moderiert den Gründer eines Müsliversands an. Fragt ihn, wie das so war mit der Gründung, wie man anfängt, als Selbstständiger. Je mehr sich das Gespräch auf die Firma konzentriert, desto trittfester wird er. Das ist für ihn ein Heimspiel, ein Auftritt unter Gleichgesinnten.
Koeppel ist 32 Jahre alt und durch und durch Unternehmer. Er hat vor, während und nach der Universität wenig anderes erlebt als das Familienunternehmen Beckers Bester. Er will gestalten, etwas schaffen, das bleibt. „Ein Unternehmen ist keine Vollkaskoversicherung. Selbstständig zu sein, heißt ins Risiko zu gehen und auch zu haften, wenn es nicht so gut läuft“, sagt er. Koeppel ist Erbe und vierte Generation der niedersächsischen Privatkelterei. Deutscher Mittelstand seit 1932.
Ihm geht es wie der ganzen Generation der um die 30-Jährigen, die nun im Mittelstand das Kommando übernimmt. Während die Großeltern und Eltern in überschaubaren Märkten vergleichsweise sorgenfrei wachsen konnten, müssen er und seine Altersgenossen dem Erbe gerecht werden und sich zugleich auf radikal veränderte Märkte einstellen. Globalisierung, Finanzkrise, Absatzschwund. Koeppel ist entschlossen, das als Chance zu sehen. Nicht als Risiko.
„Wir machen hier keine Show“
Er schreitet durch die Hallen seines Betriebes in Lütgenrode bei Göttingen. Links und rechts ragen Metalltanks bis zur Decke. Darin ruhen Apfel- und Orangensaft, warten Birnen- und Johannisbeersaft darauf, dass man sie in Flaschen füllt. Koeppel trägt Anzug, hat die rote Krawatte sorgfältig gebunden. Er hätte jetzt in einen weißen Kittel schlüpfen und eine Haube anlegen können. Politiker und Unternehmenschefs machen das so, wenn sie sich tatkräftig geben wollen.
Koeppel mag das nicht. „Wir machen hier keine Show“, sagt er. Der Jungunternehmer hat eine pragmatische Lösung für den Umgang mit den Hygienegesetzen gefunden. Eine rote Linie zieht sich durch die Hallen, wer keine Schutzkleidung trägt, darf sie nicht überschreiten. Die Mitarbeiter wachen darüber.
Probleme? Es gibt nur pragmatische Lösungen. Da gab es diese Geschichte mit der Stiftung Warentest, das Institut ist eine Instanz. Im Herbst vergangenen Jahres fiel einer der Beckers-Säfte durch. Der Apfelsaft, naturtrüb. Das sorgte für Irritationen bei dem ein oder anderen Kunden und für negative Presse.
Beckers wirbt mit Qualität, und die hat ihren Preis, fast doppelt so hoch wie Eigenmarken der Discounter. Koeppel sah sich die Ergebnisse und das Messverfahren an. Es war für ihn nicht recht nachvollziehbar. Er nahm sie zur Kenntnis, erklärte seine Version der Geschichte – vom Maßstab der Stiftung, den er nicht nachvollziehen kann und der Tatsache, dass nur Beckers Saft in der Gruppe aus Konzentrat war – und machte weiter.
Stolz auf das Familienerbe
Manchmal stellt er sich zwar die Frage: War es richtig, nach dem BWL-Studium direkt im Familienunternehmen einzusteigen, nicht noch ein anderes Unternehmen kennengelernt zu haben? „Das wäre sicher sinnvoll gewesen“, sagt er. Andersherum lockte da die Chance, das Erbe der Familie fortzuführen. Eines, auf das sie stolz sind.
Beckers Bester ist ein Familienunternehmen, überregional aktiv, aber nicht deutschlandweit, mit zwei starken, aber eben hochpreisigen Marken. 200 Mitarbeiter und 80 Millionen Euro Umsatz. Koeppels Urgroßmutter presste die ersten Äpfel zu Most. Deren Sohn Ernst Becker baute an und vergrößerte, seine Söhne Ernst und Karl-Otto machten Beckers bekannt. Sie waren es auch, die Koeppel das Unternehmen anvertrauten.
Als Schüler half er jedes Jahr in den Ferien aus, hat im Schichtsystem fast jede Maschine bedient, damals, als sie noch selbst mit dem Taschenrechner vor den Anlagen standen, um das Verhältnis von Konzentrat und Aromen zu berechnen. Schon da sagten einige: „Du wirst mal Chef.“
Als er sein BWL-Studium begann, war es klar. Der Sohn der Beckers hatte verzichtet, als Nachfolger kamen Koeppel und sein Bruder in Betracht. „Sebastian hatte einen Vorsprung, weil er schon viele Male in den Ferien hier gearbeitet hat“, sagt der Onkel Ernst Becker. „Ich bin der Kandidat, der die Chance hat, sich zu beweisen“, sagt Koeppel. 2004 ist er eingestiegen, 2007 in die Geschäftsführung aufgerückt, seit Januar Gesellschafter, die Hälfte der Firma gehört ihm.
Koeppel hat sich damit gebunden, ein Leben lang. Seinen Onkel Karl-Otto hat er ausbezahlt. Sie haben in Lütgenrode dafür eine familieninterne Lösung gefunden. Sein Onkel Ernst, der die anderen 50 Prozent hält, hat sich zwar aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, geht aber täglich in sein Büro, gibt Rat und Erfahrung, wenn Koeppel und der zweite Geschäftsführer – ein Externer – es wünschen. Für Koeppel ist er so etwas wie ein Ein-Mann-Beirat.
Die Finanzen, die Familie, die Verantwortung für die Mitarbeiter – sie könnten einen 32-Jährigen erdrücken. Koeppel aber sagt: „Seit dem Tag der Unterschrift drückt mich keine Last mehr.“ Über Dinge, die man einmal entschieden hat, muss man nicht mehr grübeln.
Koeppel sitzt jetzt in seinem Büro am Hauptsitz der Firma, Fachwerk, Sprossenfenster und viel helles Holz, keine Schnörkel, nichts Modernes, außer einem Bild neben dem Schreibtisch. Grüne Äpfel auf gelben Grund. „Das ist kein Büro fürs eigene Ego“ sagt er. Sein Schreibtisch ist fast leer, ein Computer, eine Unterschriftenmappe – mehr ist nicht darauf. Die wichtigen Sachen hat er entweder im Outlook – oder schon erledigt.
Klare Worte statt Wirtschafts-Denglisch
Koeppel ist so unprätentiös, wie man es in seiner Position nur sein kann. Geht er durch seine Werkshallen, grüßt er jeden Mitarbeiter, in der Regel per Handschlag. Er zieht dem üblichen Wirtschafts-Denglisch seiner Betriebswirtegeneration klare Worte vor. Nähert er sich Gesprächspartnern zunächst zurückhaltend, wird er im Gespräch mutiger, plaudert – nicht nur über das Geschäft. „Sebastian ist jemand, der oft auf andere zugeht. Er kann Menschen begeistern und mitnehmen“, sagt Marie-Christine Ostermann, die mit ihm im Bundesvorstand der jungen Unternehmer ist.
Es sind Eigenschaften, die Koeppel gut gebrauchen kann. Denn er hat eine Firma übernommen, die in einem Markt voller Herausforderungen steht.
Da ist etwa die Sache mit den Flaschen. Er sieht sie immer, wenn er seinen Mercedes auf den Hof des Unternehmens lenkt. Säuberlich aufgereiht und gestapelt, in grünen Kisten zu sechs Stück. 300 000 sind es am Tag. Beckers Bester hat sich dem Pfandsystem verschrieben, mehr als 75 Prozent der Säfte verkaufen sie in den wiederverwertbaren Glasflaschen. Es waren mal 100 Prozent. Doch die Deutschen mögen das umständliche Pfandsystem mit den unhandlichen Glasflaschen nicht mehr. Seit Jahren sinkt der Anteil dramatisch.
Und nicht nur der. Die Deutschen trinken weniger Saft. Stattdessen bevorzugen sie Mischungen aus Wasser und Saft, die gut schmecken und Trinkspaß versprechen. Doch viele der mittelständischen Safthersteller, die gegen die wenigen Konzerne wie Eckes-Granini bestehen möchten, wollten sich darauf nicht einlassen. Ein großer Fehler, sagt ein Branchenkenner. Auch Beckers hat bisher nur zwei solcher Mischungen im Sortiment.
Ein Markt in Bewegung
Und wenn die Deutschen Saft trinken, dann kaufen sie den zu zwei Dritteln bei Aldi & Co. Die Discounter drücken die Preise, das trifft auch die Markenanbieter, zumal die Kosten für Orangensaftkonzentrat gerade explodieren. Viele beliefern unter deren Eigenmarken die Discounter – Becker nicht.
In der Branche haben schon etliche kleinere Produzenten aufgegeben, sich den Großen untergeordnet. Koeppel besteht. Aber auch er spürt das neue Marktumfeld. Längst verhandelt er auf der Abnehmerseite mit Großunternehmen. Koeppel hält mit den Waffen des Mittelständlers dagegen: Qualität, Nachhaltigkeit – und persönliche Ansprache. „Sebastian versucht sich mit viel Akribie in unsere Kunden hineinzudenken, geht mit zum Kunden“, sagt der Onkel.
Ob Kartons oder Plastikflaschen – Beckers Bester sei in der Vergangenheit zu zaghaft gewesen, sagt ein Branchenkenner. Koeppel bastelt an neuen Produkten und neuem Verpackungsdesign. „Wir sind nicht so wie mancher IT-Unternehmer, der ein Unternehmen aufbaut und es dann verkauft. Klar wollen wir auch Geld verdienen, aber es geht darum, das Erbe unserer Großeltern zu bewahren“, sagt er.
Doch seine Generation weiß, dass sie verändern muss, um in der Zukunft zu bestehen. Koeppel glaubt, dass darin eine Chance liegt: „Bei vielen erkennt man, dass sie nicht mehr so bedingungslos am Unternehmen kleben. So tut man sich strategisch leichter und kann den Schwenk auf neue, lukrative Geschäftsfelder authentisch rüberbringen.“
VITA
1977 Koeppel wird in Frankfurt am Main geboren.
1998 Nach Abitur und Wehrdienst beginnt er sein BWL-Studium an der Technischen Universität Berlin und der Universität Würzburg, das er 2004 als Diplom-Kaufmann abschließt.
2004 Er tritt ins Familienunternehmen ein, arbeitet zunächst in den Tochterunternehmen in Freinsheim und der Lutherstadt Eisleben. Anschließend lernt er die einzelnen Bereiche am Hauptsitz in Lütgenrode kennen.
2007 Koeppel wird zum Geschäftsführer von Beckers Bester ernannt.
2010 Er wird geschäftsführender Gesellschafter und zahlt seinen Onkel Karl-Otto Becker aus.