Chefs, so geht’s nicht!

Sie dominieren, diskriminieren und ignorieren: unausstehliche Chefs. Bei ihren Mitarbeitern lösen sie Stress, Ängste und sogar Krankheiten aus. Ohne es zu merken, treiben sie einen Angestellten nach dem anderen in die Kündigung und schaden damit auch dem Unternehmen.

Anne Ritter | 11.09.2018

An diesem Tag ist es der Mitarbeiterin einer Werbeagentur in Düsseldorf ein schnippischer Kommentar zu viel: In einem subtilen Akt der Revolte mischt sie ihrer Chefin, die gerade Süßes fastet, einen Esslöffel Zucker in den Kaffee. Mit Genugtuung beobachtet sie, wie die zickige Chefin ihr Getränk Schluck für Schluck genießt.

Ähnlich verhält sich die Angestellte einer Kölner Kommunikationsagentur, die ihre Kündigung jeden Arbeitstag bei sich trägt, weil ihr das Gefühl, jeden Moment gehen zu können, „die Kraft gibt, über den Tag zu kommen“.

Kreative Kündigungen

Beispiele wie diese zeigen, dass Menschen, die an ihren Vorgesetzen leiden, kreativ werden, um den alltäglichen Frust am Arbeitsplatz zu ertragen. Karriere.de hat mit Angestellten gesprochen, die ausschließlich wegen ihrer Vorgesetzten gekündigt haben – innerlich oder äußerlich.

Sie wollen nicht über ihre Chefs lästern oder mit skurrilen Geschichten unterhalten, sondern schlichtweg gehört werden: In der Hoffnung, dass Führungskräfte ihr Verhalten hinterfragen und überlegen, wie sie ihre Mitarbeiter positiv unterstützen können.

Um die Interviewpartner vor Repressalien zu schützen, sind ihre Beschreibungen anonymisiert in Mustertypen eingeflossen. Hier sind die fünf Chefs, die ihre Angestellten in die Kündigung getrieben haben:

„Nicht geschimpft, ist Lob genug!“, so lautet die Führungsphilosophie des Chefs eines Kölner Auto-Auktionshauses. Geschimpft hat er gerne. Wenn die Tür geschlossen wurde, wusste Simone S.* schon was folgt: Gezeter, Gebrüll und Geschrei.

Dabei hat alles so viel versprechend begonnen. Simone S. ist Anfang 30, als sich plötzlich ein Headhunter bei ihr meldet und ihr den Traumjob anbietet: mittleres Management, Dienstwagen, Projekt-Verantwortung und herausragende Bezahlung. Die Berlinerin gibt ihren Job bei Ebay auf und zieht nach Köln um hier für ein Auto-Auktionshaus zu arbeiten. Sie startet sehr motiviert, leitet ein Team von 15-20 Angestellten, alles läuft rund – bis sich das negative Feedback vom Geschäftsführer häuft. Sie sei nicht streng genug und ihr Team würde sie nicht respektieren. 

Schikane von oben

Das Team spiegelt ihr etwas anderes. Also versucht Simone S. einfach, sich noch mehr anzustrengen. Die Tadel lassen nicht nach. Plötzlich boykottiert der Chef auch noch ihre Arbeit: Sie wird nicht mehr zu den wichtigen Meetings eingeladen. E-Mails kommen nicht an, weil ihr Name nicht mehr im Verteiler steht. „Mal schauen, ob ich heute Abend noch einen Job habe“, mit diesem Gefühl fährt Simone S. jeden Tag zur Arbeit. Sie kann nicht mehr schlafen, auch die Bauchschmerzen drücken von Woche zu Woche heftiger.

Schließlich fordert der Chef sie dazu auf, ohne Grund einen Mitarbeiter zu entlassen, „um Macht zu demonstrieren“. Da wird Sabine S. klar, dass sie in diesem Unternehmen nicht bleiben kann, ohne ihre Persönlichkeit komplett aufzugeben. Die junge Projektleiterin kann keinen ihrer Mitarbeiter guten Gewissens entlassen. Mit einem gezielten Fehlverhalten provoziert sie ganz bewusst die eigene Kündigung.

Später erzählen die Kollegen ihr, dass sie schon im Vorfeld gewettet haben, wie lange es „die Neue“ in dem Job aushält. Mehr als acht Monate haben sie ihr dabei nicht zugetraut. Immerhin 18 Monate ist sie geblieben.

Er ist eine Führungskraft im größten öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehsender mit Sitz in Köln und wirft seiner Angestellten schon mal die Taschentücher auf den Tisch mit der Bemerkung: „Die werden Sie gleich brauchen!“  Erst dann beginnt er zu fluchen: „Sie können nichts, Ihre Arbeit taugt nichts, Sie sind zu langsam und überhaupt völlig nichtsnutzig!“ Solange bis die Tränen fließen.

Julia B.* kommt sein Verhalten manchmal so unmenschlich und niederträchtig vor – „wie von einem anderen Planeten!“ Die Kollegen reagieren mit unterschiedlichen Strategien auf die täglichen Schikanen: Einige greifen nach Feierabend zur Flasche, andere joggen sich den Frust vom Leib. Julia B. meditiert dagegen an. Und bemerkt dazu lakonisch lachend: „Das klingt jetzt auch nicht so toll, oder?“ 

Alles Fassade

Vor etwa zehn Jahren hat sie schon innerlich gekündigt. Sie ärgert sich besonders darüber, dass die Anzeichen des vom Chef provozierten Burnouts bereits bei den jungen Kollegen, den Berufsanfängern, zu erkennen sind.

Die ständigen Umstrukturierungen, demotivierende Chefs, mehr Arbeit in weniger Zeit, das alles habe sie zerrieben. Doch warum bleibt sie? „In meinem Alter ist es als Frau schon schwierig, noch einen guten Job zu finden.“ Mit dem Gefühl, dass sie da gar nicht hin will, schleppt sie sich jeden Tag zur Arbeit und macht „Dienst nach Vorschrift“.

Wenn die Fotografin einen guten Tag hat, dann wirkt sie sogar sympathisch, ja geradezu freundlich, zugewandt und geduldig. Doch die Auszubildenden wissen genau, der nächste Ausbruch kommt bestimmt. Nur wann?!

Eines Tages hält Moni S.* diese Ungewissheit einfach nicht mehr aus. Der Gedanke, das kleine Fotostudio in Aachen noch einmal betreten zu müssen, ist so unerträglich, dass sie nach der Mittagspause einfach nicht zurückkehrt. Zweieinhalb Jahre hat sie schon die Launen der Fotografin erduldet. Mal wird sie für etwas gelobt, am nächsten Tag für genau das getadelt.

Selbstvertrauen geraubt

Nur noch ein halbes Jahr fehlt Moni S. bis zum Abschluss – doch sechs Monate scheinen ihr wie eine Ewigkeit. Sie sehnt sich danach, einfach mal eine Nacht durchzuschlafen, sich nicht hin und her wälzen und immer wieder fragen zu müssen: „Wie wird sie wohl morgen drauf sein?“

Im Rückblick ärgert Moni S. sich, dass sie der Chefin so viel Macht über ihr Leben gegeben hat: Ein Jahr lang läuft sie einen Umweg, um der Straße auszuweichen, in der das Geschäft liegt. „Sie hat mir den Glauben an mich selbst und meine Fähigkeiten geraubt!“ Es hat Zeit gebraucht, bis sie sich ihr Selbstbewusstsein zurückerobert hat. Den Berufswechsel bereut die 24-Jährige aber nicht. Heute ist Moni S. Erzieherin, das Fotografieren hat ihr keinen Spaß mehr gemacht.

Er ist etwa 170 Zentimeter klein, seine Angestellten sind alle größer. Autorität verschafft er sich vielleicht deswegen gerne auf eine besonders großtuerische Art: mit prätentiösen Auftritten, kämpferischen Reden, mahnenden Appellen und vor allem strengster Kontrolle.

Mit dem neuen Chef ändert sich für Tanja W.* plötzlich alles. Vorher hat die Produktmanagerin aus der Werbebranche seit Jahren erfolgreich einen großen TV-Sender betreut. Sie hat ihre Arbeit geliebt. Die vorherige Chefin hielt alle Mitarbeiter an einer langen Leine: „Wir konnten Entscheidungen selber treffen, weil sie wusste, was wir können.“

Plötzlich ist sie mit einem Führungsstil konfrontiert, der auf sie diktatorisch wirkt. Es geht dem Chef nicht um das beste Ergebnis, sondern es geht allein um sein Ego, um die totale Macht. „Er hat die Machtbesessenheit von einem kleinen Mann.“

Mit Überstunden quälen

Selbstständiges Arbeiten ist nicht mehr möglich, alles muss vom Chef abgezeichnet werden. Tanja W. würde gerne sofort kündigen. Denn sie spürt, dass sie unter diesem Menschen nicht arbeiten kann. Doch sie ist schwanger. Nachdem sie die Schwangerschaft im Büro offiziell macht, quält er sie mit Überstunden und Extra-Aufgaben. Als sie sich eines Abends über Schmerzen beklagt, schaut der Chef nur verächtlich auf ihren Bauch und sagt: „Na ja, Sie haben es ja offensichtlich bald geschafft.“

Als sie nach der Elternzeit wiederkommt, ist ihr Job weg: Die Vertretung soll ihre Aufgaben nun langfristig übernehmen. Der Vorgesetzte steckt sie ohne etwas zu tun in einen Einzelraum. Das ganze endet damit, dass sie vor dem Arbeitsgericht um ihren Job und ihre Rechte kämpft: „Mein Arbeitsplatz ist mir viel wert!“ Das Gericht gibt ihr Recht. Nun ist sie freigestellt und bewirbt sich bereits um neue Jobs – allerdings bei anderen Unternehmen.


*Aus Datenschutzgründen wurden alle Namen von der Redaktion geändert