Karriere in der Politik: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Der Aufstieg ins politische Machtzentrum geht schneller als in der Wirtschaft. Doch die Stühle sind wackliger, der Erfolg schwerer beeinflussbar und der Job so aufreibend, dass selbst Spitzenpolitiker hinschmeißen.

Laura de la Motte | 11.09.2018
Karriere in der Politik

Sie hatten genug von der Politik: Roland Koch und Horst Köhler – der hessische Ministerpräsident und der Bundespräsident haben abgedankt. Koch, weil er immer auf einen Posten in Berlin schielte, aber nicht bekam, und Köhler, weil er sich nach der Kritik an seinen Afghanistan-Äußerungen von der Regierung im Stich gelassen fühlte.

Sie haben erlebt, dass politischer Erfolg wenig planbar ist, die Laufbahnen stark von Parteifreunden und -feinden abhängen. In der Politik gelten eben andere Karriere-Gesetze als in der Wirtschaft. Gesetze, die Quereinsteiger wie Köhler manchmal überfordern, die vermeintliche Youngster wie Familienministerin Kristina Schröder (CDU) hingegen verinnerlicht haben.

Wie sie oder Köhler kann man in der Politik schnell aufsteigen, schneller als in der Wirtschaft. Doch genauso schnell auch wieder abstürzen. Denn die Macht ist wackliger, der Erfolg schwieriger zu beeinflussen und mitunter so aufreibend, dass selbst Spitzenpolitiker wie Koch und Köhler hinschmeißen.

Um die politische Karriereleiter hinaufzuklettern ist die berüchtigte Ochsentour – also das Hocharbeiten über Kommunal- und Landesebene – immer noch der gängige Weg. Etwas Sinnvolles kann man dem auch abgewinnen. Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, sieht sie als Lehrzeit. Das Aufeinanderfolgen von Ämtern und Funktionen sei Kern der politischen Ausbildung: „In Unternehmen wird man als Einsteiger auch nicht direkt Vorstandsmitglied.“

CDU, CSU, SPD und FDP haben zusätzlich eigene Parteiakademien (siehe Ende). Denn anders als in der Wirtschaft, wo Fachwissen und Unternehmertum zählen, muss ein Politiker ein Allrounder sein und sich in einem breiten Themenspektrum von Finanzkrise bis Bildungspolitik auskennen.

Youngsters mit 20 Jahren Erfahrung

Dass auch die Ochsentour durch die Parteiebenen nicht mehr Jahrzehnte verschlingen muss, zeigt ein Blick in die Biografien der neuen jungen Politgarde: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist 38, Gesundheitsminister Philipp Rösler nur ein Jahr jünger und Kristina Schröder erst 32. Mit 14 trat sie der Jungen Union bei, war Bezirks- und Kreisvorsitzende in Hessen, bevor sie 2002 im Bundestag Platz nahm. Seit 2009 ist sie Bundesfamilienministerin im Merkel-Kabinett. Sie hat in den 18 Jahren im Politikgeschäft erfahren, dass man Verbündete braucht, gelernt, wie man Kompromisse findet, Kritik aushält, und herausgefunden, wann man besser den Mund hält.

Viele ihrer jungen Kollegen nehmen heute aber die Abkürzung ins Machtzentrum. Sie haben nie die Tour durch die Kommunalpolitik gemacht, sondern als Referent eines Abgeordneten angefangen. „Wer dort inhaltlich überzeugt, kann über die kleinen Führungszirkel der Parteien schneller und erfolgreicher sein Ziel erreichen“, sagt Michael Hartmann, Elitenforscher von der Technischen Universität Darmstadt. Sebastian Edathy (SPD) hat es so in den Bundestag geschafft. Auf den nötigen Listenplatz lobte ihn MdB Ernst Kastning, in dessen Büro sich Edathy vorher verdingt hatte.

Dass sie heute schon mit 30 Berufspolitiker werden können, verdanken die Youngsters der Politik-Unlust der Deutschen: „Bei den Parteien sinken die Mitgliederzahlen und die verbleibenden Mitglieder sind weniger aktiv. Das macht es heute einfacher, aussichtsreichere Listenplätze und Wahlkreise zu bekommen“, sagt Elitenforscher Hartmann. Die fehlende Konkurrenz wird zur Chance. So mancher Assessment-Center-Kandidat in der Wirtschaft kann davon nur träumen.

So kann ein besonders gutes Wahlergebnis sogar absolute Jungspunde von hinteren Listenplätzen in den Bundestag bringen. Florian Bernschneider (FDP) legte so eine Blitzkarriere hin. Mit 23 Jahren ist er einer der jüngsten Bundestagsabgeordneten aller Zeiten. Er gibt zu, dass er selbst ein bisschen überrascht war: „Ich habe meine politische Karriere nie akribisch geplant.“ Rasante Aufstiege wie seiner sind in der Wirtschaft selten.

Krawall gemacht hat Bernschneider dabei nicht, das überlässt er lieber so manchem Kollegen. Denn die Taktik, sich mittels extremer Vorschläge mit der Parteispitze anzulegen, um Aufmerksamkeit zu bekommen, ist beim Nachwuchs äußerst beliebt. „Sobald sie eine bestimmte Position erreicht haben, schwenken sie auf den gediegenen Mittelweg ein“, sagt Elitenforscher Hartmann.

Eine Karriere mit Stolpersteinen

Während beim Nachwuchs Mut belohnt wird, kann er Politikern auf höheren Posten schnell zum Verhängnis werden. Denn wer nach vorne prescht und kontroverse Positionen vertritt, muss mit Gegenwind von allen Seiten rechnen. Politiker stehen unter öffentlicher Beobachtung und brauchen ein breiteres Kreuz als so mancher Wirtschaftslenker, der unpopuläre Sanierungsmaßnahmen durchdrückt. Köhler – einst erfolgreicher Sparkassenpräsident und Chef des Internationalen Währungsfonds – hat dem offenbar nicht mehr standhalten können.

Die Stimmung entscheidet, Berufspolitiker müssen Wähler und Parteikollegen ständig im Blick behalten, gerade weil sie nur einen Arbeitgeber haben und im Prinzip nicht wechseln können. Der Jungpolitiker Bernschneider hat deswegen einen Plan B. Sein BWL-Studium will er diesen Sommer abschließen und ist sich sicher, dass sein Job als Abgeordneter nicht sein letzter sein wird. Er ist sich bewusst, dass politische Macht immer auf wackligen Beinen steht. Die nächste Wahl kann die letzte sein.

Parteifreunde oder Parteifeinde?

Von den Parteifreunden hängt es ab, ob man wieder als Kandidat aufgestellt wird oder gar einen Spitzenposten erhält. Roland Koch ist daran gescheitert: 2006 wollte er Kanzlerkandidat werden, doch die Delegierten entschieden sich für Angela Merkel. Drei Jahre später war er nach der Bundestagswahl als Finanzminister im Gespräch, wieder musste er zurückstecken. Merkel lehnte ab. Statt in Berlin schien Kochs Karriere nur im hessischen Ministerpräsidentenamt zu enden. Er ging lieber freiwillig.

Wer es sich mit den Parteikollegen verscherzt, wird wie Niels Annen (SPD) auch ganz schnell die Karriereleiter hinuntergestoßen. Der Parteilinke, von 2005 bis 2009 angesehener Außenpolitiker der Bundestagsfraktion, hat sich mit internen Querelen ins Aus befördert. Im vergangenen Herbst verpasste er die erneute Nominierung in seinem Wahlkreis in Hamburg. Parteirechte hatten im letzten Moment eine Gegenkandidatin aus dem Hut gezaubert.

Wer von Kollegen oder dem Chef nicht mehr unterstützt wird, kann in der Wirtschaft immer noch das Unternehmen, die Branche wechseln. Politiker haben da weniger Auswahl. Bekannte Parteiwechsler wie Oswald Metzger, der seine Heimat erst bei der SPD, dann bei den Grünen und schließlich bei der CDU fand, sind selten. Da bleibt nur der komplette Rückzug und ein Neustart dort, wo es mehr Alternativen gibt – in der Wirtschaft. Genau das plant auch Roland Koch.

KADERSCHMIEDEN

Die großen Parteien schulen ihren Nachwuchs in speziellen Programmen. Bei der CDU ist das die Zukunftsakademie, bei der SPD die Kommunal- und die Führungsakademie. Die FDP hat kein eigenes Institut, bietet aber ein Mentorenprogramm speziell für Frauen. Die Seminare finden blockweise über zwei Jahre statt. Auf dem Stundenplan stehen Kurse in Wirtschaft, Politik und öffentlicher Verwaltung.

Zugang gibt es nur für aktive Parteimitglieder. Das Maximalalter liegt in der Regel bei 30 Jahren.