Per Du mit dem Chef

Die Mitarbeiter zu duzen, schafft Nähe, das förmliche Sie sorgt für Distanz. Beide Anreden können als Instrument zur Führung genutzt werden, haben aber ihre Tücken.

Tina Groll, Zeit.de | 11.09.2018

Duzen oder Siezen? Die Frage klingt banal, aber am Arbeitsplatz kann es sehr schwierig sein, die richtige Antwort zu finden. Nicht immer ist das vertrauliche Du angebracht, das förmliche Sie wiederum kann zu einer Distanz führen, die eine produktive Zusammenarbeit erschwert. Richtig kompliziert wird es, wenn noch Zwischenformen berücksichtigt werden, wie die Verwendung des Vornamens und dem Sie.

„Die Etikette ist eindeutig, aber die Alltagssprache ist es nicht“, sagt Carolin Lüdemann. Sie ist Mitglied im Deutschen Kniggerat und bringt Führungskräften die richtige Etikette im Berufsleben bei. Generell biete der Ranghöhere das Du an, unter Gleichrangigen ginge die Initiative vom Älteren aus, sagt Lüdemann. Das bedeutet in der Berufspraxis: Der junge Vorgesetzte darf dem älteren Mitarbeiter die vertrauliche Anrede anbieten, aber nicht der ältere Mitarbeiter dem jungen Chef.

Doch kann das Du auch abgelehnt werden? „Prinzipiell schon, allerdings kann eine Absage negativ aufgefasst werden. Insbesondere dann, wenn sie nicht gut begründet ist“, sagt Lüdemann. „Darum rate ich dazu, gut abzuwägen, ob wirklich ein Schaden durch die vertrauliche Anrede entsteht.“ Gute Gründe für eine Ablehnung gibt es nur wenige, beispielsweise wenn Kunden das Du anbieten. „Sie sollten ihre Absage mit dem Verweis auf eine höhere Stelle begründen. Es ist durchaus nachvollziehbar, dem Kunden zu erklären, dass das vertrauliche Du vom Unternehmen während laufender Projekte nicht gern gesehen wird, aber man sich sehr gern nach Abschluss des Projekts duzen könne“, rät die Trainerin. Sie sagt aber auch: Nach alter Schule ist das Du eine Auszeichnung.

In jüngerer Zeit beobachtet die Stilexpertin jedoch eine Amerikanisierung in Unternehmen. „Das Du setzt sich immer stärker durch. Viele Führungskräfte sprechen Kunden oder Teams mittlerweile in der zweiten Person Plural an, um Vertrauen herzustellen. Sätze wie ‚Wie macht ihr das denn in eurer Abteilung?‘ fallen immer häufiger.“

Nicht immer hat diese Zwischenform zwischen Sie und Du die erhoffte Wirkung. „Ein zu schnelles Duzen kann unangebracht und anbiedernd wirken“, sagt Arbeitspsychologe Tim Hagemann. Deshalb sollte ein solcher Schritt genau überlegt sein. „Man kann die Anrede als Instrument der Führung nutzen“, sagt er. Und zwar abhängig vom jeweiligen Führungsstil und der Intention.

„Weil das Du Nähe und Vertrauen schafft, stellt es eine Verbundenheit und ein Gefühl von Freundschaft her“, sagt der Arbeitspsychologe. Das könne hilfreich sein, „wenn man ein Team aufbaut, das stark auf gegenseitigem Vertrauen beruht“. Das Du wirke in einem solchen Fall motivierend. Es kann aber auch nach hinten los gehen – wenn nämlich die Persönlichkeit und das Verhalten der Führungskraft so gar nicht zu der assoziierten Vertraulichkeit der persönlichen Anrede passt.

Monika Peters hat genau das erlebt. Als ein neuer Teamleiter die Abteilung der Wirtschaftsprüferin übernahm, bot er sofort das Du an. Sein Vorgänger hatte die Mitarbeiter stets gesiezt. Peters beschreibt die Zusammenarbeit mit dem alten Chef als distanziert, aber herzlich. „Er traf Entscheidungen in Ruhe, hörte sich immer alle Seiten an. Er war ein Chef, der von seinen Mitarbeitern Loyalität einforderte und diese vorlebte, weil er sich immer vor uns stellte. Darum genoss er unser Vertrauen und wir fanden es angebracht, ihn zu siezen und uns untereinander zu duzen“, erzählt die Wirtschaftsprüferin. Der Neue verkündete schon in seiner Antrittsrede, dass alle künftig per Du seien und seine Tür immer offen stünde.

Doch die Aufbruchstimmung währte nicht lange. Statt sich vor seine Mitarbeiter zu stellen, kontrollierte der Neue sein Team und gab Ärger nach unten weiter, berichtet Peters. Als sie einen Fehler machte, wies ihr Vorgesetzer gegenüber der Geschäftsleitung alle Schuld von sich und schob die Verantwortung ihr zu. Spätestens nach dieser Erfahrung sei ihr Vertrauen in den Vorgesetzten zerstört gewesen, sagt sie heute. „Mir kam das Geduze wie gespielte Freundlichkeit vor. Ich wollte diesen Mann nicht mehr duzen, ich wollte keine Nähe über die Anrede herstellen, wo nur Distanz und Misstrauen vorhanden waren.“ Den unsympathischen Chef zu siezen, wäre ihr lieber gewesen. Doch das Du zurücknehmen, erst Recht als Rangniederer, geht nicht. „Ein einmal angebotenes Du lässt sich nicht zurückziehen“, sagt Kniggetrainerin Carolin Lüdemann.

Mittlerweile hat Monika Peters einen neuen Vorgesetzten. Ihr jetziger Teamleiter verwendet das förmliche Sie, nur mit einem Kollegen duzt er sich. „Die beiden kennen sich seit vielen Jahren privat“, sagt Peters.

„Die Kriterien, warum eine Führungskraft einen Mitarbeiter duzt oder siezt, müssen transparent und für alle verständlich sein. Sonst entsteht Raum für Interpretationen, die sich ungünstig auf das Betriebsklima und die Motivation der Mitarbeiter auswirken können“, sagt Arbeitspsychologe Hagemann. Er empfiehlt Entscheidern einen Verhaltenskodex zu entwickeln und warnt davor, vorschnell zu duzen. „Es fällt psychisch sehr viel schwerer, jemanden zu kündigen, den man duzt und mit dem einen eine Freundschaft verbindet. Das förmliche Sie schützt beide Seiten“, sagt der Psychologe.

Allerdings, gibt er zu bedenken, gebe es mittlerweile Branchen, in denen das Du wie selbstverständlich mit dazu gehöre. Auch Hagemann spricht von einer Amerikanisierung der Sprache. „Ein gutes Beispiel sind die Nachrichtensendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in denen sich der Moderator und die Korrespondenten mittlerweile duzen. Vor einigen Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.“

Kniggetrainerin Carolin Lüdemann ist Anhängerin der förmlichen Ansprache. „Das Sie drückt zwar Distanz, aber auch sehr viel Respekt aus“, sagt Lüdemann. Deswegen falle es vielen Young Professionals auch schwer, ältere Vorgesetzte zu duzen, nachdem diese es angeboten haben. „So gut wie jeder kennt diese Übergangsphase, wenn lange gesiezt wurde. Auch hier gilt: Wenn dem Ranghöheren die vertrauliche Form wichtig ist, darf er den Nachwuchs daran erinnern, dass künftig geduzt werden darf. Fällt jedoch der Ranghöhere ins förmliche Sie zurück, sollte man dies einfach akzeptieren. Das gilt übrigens auch für das Du, das der Chef in einer Feierlaune anbietet.“

Arbeitspsychologe Tim Hagemann kennt diese Situation. Der Professor an der Fachhochschule der Diakonie siezt seine Studenten generell. „Ich bin nicht Teil der Gruppe der Studierenden. Und die förmliche Anrede schafft Distanz, die es mir wiederum ermöglicht, an anderen Stellen etwas netter zu sein und mehr Zugeständnisse zu machen“, sagt der Psychologe. Trotzdem hat auch er schon bei Hochschulfesten seinen Studenten das Du angeboten, das manche hinterher gerne weiter genutzt haben. Hagemann ist stoisch dabei geblieben. „Ein einmal angebotenes Du kann und sollte man nicht zurückziehen“, sagt der Psychologe. „Andernfalls sorgt man für Irritation und verspielt die Motivation seiner Mitarbeiter.“

Dieser Artikel ist zuerst erschienen auf Zeit.de.