Wer Hausarbeiten fälscht, muss mit Strafen rechnen

Markieren, kopieren, einfügen: Drei Klicks, und fertig ist die Hausarbeit. Der Textklau aus dem Internet wird bei Studenten immer beliebter. Einige Unis haben deshalb die Notbremse gezogen und drohen Plagiatoren mit drastischen Strafen.

Armin Himmelrath | 18.09.2018

Jörg Poschmann (Name geändert) hatte es sich ziemlich einfach gemacht. Der 23-jährige Mediendesign-Student an einer privaten FH in Köln wollte in sein Hausarbeitsthema – die Krisen-PR-Maßnahmen bei der studentischen Web-Community StudiVZ – nicht allzu viel Zeit investieren. Und so kopierte er kurzerhand ein paar Online-Artikel zum Thema zusammen, verfasste Zwischenüberschriften und verzichtete auf eine Literaturliste mit Quellenangaben gleich ganz. Dumm nur, dass der zuständige Dozent einen der Artikel selbst verfasst hatte – und plötzlich ganze Passagen wiedererkannte, die angeblich aus der Feder von Poschmann stammen sollten. Setzen, sechs – die Arbeit wurde als glatte Fehlleistung bewertet.

Mitnichten ein Einzelfall: Bei einer Stichprobe an der Universität Bielefeld kam heraus, dass dort jede dritte Hausarbeit aus dem Internet zusammenkopiert war. „Man muss dringend etwas tun, darüber waren wir uns im Rektorat schnell einig“, erinnert sich Soziologie-Professor Wolfgang Krohn. Die Verantwortlichen entschieden sich für den Kauf der Spezialsoftware „Turnitin“, mit der die Arbeiten auf ungenannte Internet-Quellen überprüft werden – und für einen Kurs der Offenheit gegenüber den Studierenden. „Ich führe das System vor, diskutiere mit den Studenten über Ethik und Urheberrecht und zeige, dass Plagiatoren hier zu fast 100 Prozent erwischt werden“, fasst Wolfgang Krohn die Strategie zusammen. Mit harten Strafen muss er dann gar nicht mehr drohen, „die Zahlen von Betrugsversuchen sind seither dramatisch zurückgegangen.“ Und die Universität verstehe diese Überprüfung mittlerweile als Teil des Qualitätsmanagements, von dem alle Seiten profitieren.

Drei von fünf Studenten haben unerlaubt abgeschrieben

Auch andere Unis suchen derzeit nach einer Taktik, um dem gewandelten Umgang mit fremden Texten etwas entgegenzusetzen. Und die Zahlen zeigen, dass es enormen Handlungsbedarf gibt: So fragte die Kommunikationswissenschaftlerin Sarah Knoop für ihre Magisterarbeit an der Uni Münster bei rund 200 Kommilitonen nach, wie die es mit der Wahrheit und dem Urheberrecht halten. Und siehe da: Drei von fünf Studenten gaben an, schon einmal unerlaubt abgeschrieben und das Ganze dann als eigene Leistung vorgelegt zu haben. Auch die befragten 55 Dozenten stützten diese Erfahrungswerte: Zwei Drittel von ihnen hatten nach eigenen Angaben schon einmal mit Plagiaten in Haus- oder Examensarbeiten zu tun. Sarah Knoop weist jedoch darauf hin, „dass überwiegend minderschwere Fälle von Plagiatbetrug genannt wurden, wobei es sich lediglich um die Übernahme einiger Sätze ohne Quellenangabe handelte“. Mehr als 18 Prozent der Studenten räumten jedoch auch schwerwiegende Fälschungen ein – und nannten als Gründe vor allem den eigenen Zeitmangel und die Bequemlichkeit. Der technische Fortschritt habe letztlich dazu geführt, „dass die Hemmschwelle bei Online-Plagiaten niedriger ist“, vermutet Sarah Knoop.

Um das Unrechtsbewusstsein zu steigern, hat die Uni Münster deshalb vor zwei Jahren einen drastischen Strafenkatalog aufgelegt. Gedeckt vom NRW-Hochschulgesetz, droht sie fälschenden Studenten seither massive Konsequenzen an: die Noten „mangelhaft“ oder „ungenügend“, die Aberkennung weiterer Prüfungsleistungen, den Ausschluss von allen weiteren Prüfungen – und eine satte Geldbuße von bis zu 50 000 Euro. Studiendekan Hans-Joachim von Olberg gehörte zu den Initiatoren des drastischen Strafenkatalogs. „Es ist in den letzten Jahren in allen Fächern immer häufiger vorgekommen, dass Studierende reine Plagiate als eigene Texte abgegeben haben.“ Ein Student habe beispielsweise versucht, gleich dreimal hintereinander eine zusammengeklaute Hausarbeit abzugeben.

Doch bisher blieb es vor allem bei der Drohgebärde: Als durchschlagenden Erfolg wollen und können die Initiatoren ihren Kurs der harten Strafen nach zweijähriger Erfahrung nicht verbuchen. „Das wurde nur in absoluten Einzelfällen richtig konsequent umgesetzt“, sagt von Olberg. Die Höchstsumme der Ordnungsstrafe indes wurde kein einziges Mal verhängt. Eines der größten Probleme: Wer erwischt wird, kann sich immer noch absetzen – denn eine Vernetzung der Unis untereinander gibt es bisher nicht. Davon profitierte etwa eine Studentin aus Münster, die sich nach dem Auffliegen schnell exmatrikulierte, um dann in Wuppertal unbehelligt ihr Studium fortzusetzen.

Die Diskussionen um das, was in Hausarbeiten Recht und was Unrecht ist, habe der Strafenkatalog allerdings enorm angekurbelt, sagt von Olberg: „Die Aufmerksamkeit bei allen Beteiligten ist deutlich erhöht worden.“ Auch an der Ruhr-Uni Bochum (RUB) gibt es erste Erfahrungen mit dem neuen Kurs gegen Plagiatoren. So wurde eine Geschichtsstudentin wegen ihrer zusammengeklauten Bachelor-Arbeit von jeder weiteren Prüfung ausgeschlossen. Und einer Soziologiestudentin an der RUB wurde sogar nachträglich das Diplom aberkannt, nachdem sie als Fälscherin aufflog. Zusätzlich verhängte die Uni noch 10.000 Euro Ordnungsstrafe.

Das Abkupfern aus dem Netz gilt als Ordnungswidrigkeit

Denn das Abkupfern aus dem Internet oder anderen Quellen gilt als Ordnungswidrigkeit. Und die ist – abgesehen von einer manchmal schmerzhaften Bußgeldzahlung – für Betroffene immer noch ziemlich einfach aus der Welt zu schaffen. Für ein Strafverfahren reicht das Plagiieren bei Hausarbeiten oder im Examen dagegen nicht aus – und damit auch nicht für einen möglichen Eintrag ins Führungszeugnis, der etwa bei einer geplanten Anstellung im Staatsdienst die Karriere abrupt hemmen könnte.

Doch wie lassen sich studentische Plagiatoren überhaupt enttarnen, und was soll man mit ihnen dann machen? Viele Professoren orientieren sich bei solchen Fragen an den Tipps von Debora Weber-Wulff. Die Berliner Professorin ist eine der aktivsten Plagiatsjägerinnen in der deutschen Hochschullandschaft. Auf ihrer Homepage hat sie nicht nur die wichtigsten Anti-Plagiats-Programme bewertet und aufgelistet, sondern nennt auch Hochschulen und Fakultäten, die mit vorbildlich konsequenten Prüfungsordnungen Fälschern das Leben schwer machen. Mit am begehrtesten bei Dozenten ist aber die von Weber-Wulff konzipierte Lerneinheit unter dem Titel „Fremde Federn finden“, mit der sich alle Interessierten fit im Aufspüren von Plagiaten machen können. Häufig, so Weber-Wulff, könne man nämlich schon ohne Spezial-Software Plagiate erkennen: „Wechselt plötzlich der Ton? Schreibt einer mal unvollständige Sätze, mal formvollendeten Konjunktiv? Gibt es Formatierungsbrüche? Komische Schreibfehler?“

Das alles deute auf Übernahmen aus dem Internet hin und könne dann per Suchmaschine gezielt überprüft werden: „Einfach drei bis fünf Substantive, die nah beieinander und keine Allerweltsworte sind, eingeben und suchen lassen“ – so sei das Auffinden der Plagiate genauso einfach wie die Herstellung. Für Jörg Poschmann, den angehenden Mediendesigner, hatte sein Plagiat übrigens außer dem peinlichen Moment des Auffliegens keine nennenswerten Folgen: Auf eine förmliche Bestrafung verzichtete die private Hochschule, schließlich handelte es sich bei dem Studenten ja um einen zahlenden Kunden – und der durfte nach ein paar Wochen einfach eine neue Arbeit abgeben.

Richtig zitieren: Wikipedia & Co.: Was bei der Recherche im Internet erlaubt ist und was nicht
Einfach zusammenkopieren, was gerade irgendwie zum Thema der Hausarbeit passt, dann noch den vom Professor vorgegebenen Titel darüber- und den eigenen Namen daruntersetzen – das geht natürlich nicht. Doch was ist erlaubt und was nicht? Welche Quellen aus dem Internet darf ich nutzen? Müssen es wissenschaftliche Aufsätze sein oder darf ich auch aus einem Online-Lexikon wie Wikipedia zitieren? Klar – die Recherche per Google ist bequem. Doch selbst wer sich an die Spielregeln hält und sich nicht mit fremden Federn schmückt, beweist damit nicht unbedingt wissenschaftlichen Ehrgeiz. Professoren beklagen, dass Studierende das Quellenstudium nicht ernst genug nehmen.

Wer Ärger vermeiden will, sollte sich an folgende Regeln halten:
1. Die Recherche im Netz kann den Gang in die Bibliothek nicht vollständig ersetzen: Wörtliche Zitate sollte man immer aus der Originalarbeit abschreiben und die Quelle und den genauen Fundort angeben. Nur in Ausnahmefällen darf man aus zweiter Hand, also aus einem anderen Werk oder aus dem Internet, ein Zitat ungeprüft übernehmen. Wenn das doch mal nötig ist, weil das Original nicht greifbar ist, dies unbedingt vermerken.
2. Größere Gedankengänge, Argumentationen und Ideenkomplexe muss man natürlich ebenfalls einem Urheber zuweisen, wenn sie aus einer anderen Publikation übernommen wurden.
3.  Ob und wie aus dem Internet zitiert werden darf, sollten Studierende vorher mit dem jeweiligen Dozenten absprechen. Für manche Professoren ist etwa Wikipedia als Quelle völlig in Ordnung, andere halten das Mitmach-Lexikon für den Inbegriff der wissenschaftlichen Unseriosität. Grundsätzlich aber gilt: Wer aus dem Internet zitiert, sollte die Fundstelle – also die genaue Web-Adresse, nicht nur die Einstiegsseite – mit dem Funddatum angeben. Und am besten zur Sicherheit noch einen Ausdruck der zitierten Passagen machen und abheften. Schließlich kann sich eine Homepage im Internet ändern – anders als ein gedrucktes Buch.

Plagiate von Professoren: Auch Wissenschaftler sind nicht frei von Fälschungen
1. Ptolomäus war gewissermaßen der Urahn aller Wissenschaftsbetrüger. Er lebte um 150 nach Christus, war Astronom, Mathematiker und Geograf. Den nach ihm benannten „Sternenkatalog“ hatte er allerdings einfach aus früheren Werken des Griechen Hipparch abgekupfert.
2. Der Frankfurter Sportwissenschaftler Winfried Banzer wurde vor einigen Jahren dabei ertappt, als er Textpassagen, die in Wirklichkeit ein Mitarbeiter verfasst hatte, als eigenes Gedankengut ausgab.
3. In Erlangen flog der Philosophieprofessor Maximilian Forschner auf, der in seinem Buch „Über das Glück des Menschen“ ganze Passagen aus dem Buch „Aristotle's Ethics“ des englischen Philosophen James O. Urmson wörtlich übersetzt hatte, ohne sie als Zitate zu kennzeichnen. Eine Uni-interne Untersuchungskommission stellte zwar wissenschaftliches Fehlverhalten, aber keine Täuschungsabsicht fest – ein Freispruch dritter Klasse.
4. Der deutsche Physiker Jan Hendrik Schön wurde vor einigen Jahren noch als Top-Naturwissenschaftler und kommender Nobelpreisträger gefeiert – bis herauskam, dass er zwischen 1998 und 2001 in etlichen Fällen die Ergebnisse und Daten seiner Arbeiten manipuliert haben soll. Es gebe „einen hinreichenden Verdacht“ auf solche Fälschungen, erklärte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Jan Hendrik Schön mit einem Stipendium in die USA geschickt hatte. Und die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), die den damals erst 32-jährigen Physiker eigentlich als Direktor ans Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperphysik berufen wollte, rückte von ihrem Job-Angebot nach Bekanntwerden der Vorwürfe schnell wieder ab – die Beweise für Datenmanipulationen, so heißt es, seien ziemlich überzeugend gewesen.
5. Der bisher größte Betrugsfall in der deutschen Wissenschaft wurde 1997 bekannt: In Ulm stellte sich heraus, dass der Krebsmediziner Friedhelm Herrmann und seine Mitarbeiterin Marion Brach jahrelang Forschungsarbeiten veröffentlicht hatten, deren Daten manipuliert und abgeschrieben, zurechtgebogen oder völlig frei erfunden waren.