Neuer Chef – neue Chance

Mit der Ankunft eines neuen Vorgesetzen werden die Karten im Team neu verteilt. Wer sich geschickt verhält, kann den Führungswechsel als Karriereturbo nutzen.

Sandra Rauch, wiwo.de | 11.09.2018

Ein Chefwechsel führt im Team oft zu vielen Gefühlen: Erleichterung, dass der alte Chef endlich weg ist. Hoffnung, dass jetzt alles besser wird. Gleichgültigkeit, weil man ohnehin weg will. Oder auch Angst, die über Jahre erarbeitete Position zu verlieren.

Neuanfang mit Vertrauen

Mit dem neuen Vorgesetzten fängt auch für die Mitarbeiter oft etwas Neues an. Die Regeln der Zusammenarbeit werden neu abgesteckt, gegenseitiges Vertrauen muss erst erarbeitet werden. Als Doppelbewerbung bezeichnet der Berliner Diplom-Psychologe und Karriereberater Jürgen Hesse von Hesse/Schrader diese Situation. „Der neue Chef muss das Vertrauen des Teams gewinnen und sich einen Eindruck verschaffen, wem er was zutrauen kann“, sagt Hesse. „Um diese Gunst des Chefs müssen sich die Mitarbeiter neu bewerben.“ Jeder sei in der Position sich präsentieren zu müssen. „Teaminterne Hierarchien können ins Wanken geraten“, sagt Hesse. „Alte Verdienste gelten vielleicht nichts mehr.“

Mit altem Chef vernetzen

Eine vorausschauende Positionierung fängt schon bei der Verabschiedung des alten Chefs an. „Wer einen guten Draht zum Chef hatte, sollte schauen, dass man in Verbindung bleibt“, sagt Jobcoach Caroline Krüll. Dafür eignen sich etwa Karrierenetzwerke wie Xing oder LinkedIn. „Zum Geburtstag gratulieren oder Weihnachtsgrüße senden – wer ein gutes Verhältnis hatte, sollte das einfach beibehalten“, rät Krüll. Auch Vorgesetzte seien auf ein Netzwerk guter Mitarbeiter angewiesen, auf die sie bei Bedarf gerne zurückkämen.

Zusagen schriftlich fixieren

Den alten Chef nicht einfach wortlos ziehen zu lassen, rät auch Karriereberaterin Svenja Hofert. Sie empfiehlt, den bisherigen Vorgesetzten um eine kurze schriftliche Referenz zu bitten. „Das können vier Zeilen sein, in denen sich der Chef für die Zusammenarbeit bedankt und kurz aufzählt, was er am Mitarbeiter schätzt.“

Der Vorteil an diesem Mini-Zeugnis: Aufgrund der Form ist die Einschätzung immer positiv, was bei einem Zwischenzeugnis nicht unbedingt der Fall sein muss. Bei einem guten Verhältnis kann aber auch dieses nicht schaden. Deshalb empfiehlt Caroline Krüll, sowohl um Referenz als auch Zwischenzeugnis zu bitten: „Gibt es Ärger mit dem neuen Chef, hat man etwas in der Hand, worauf man verweisen kann.“ Schriftlich fixiert werden sollten auch unter vier Augen getroffene Zusagen, wie die Aussicht auf Beförderung, mehr Gehalt oder Urlaub. „Diese müssen noch vom alten Chef bei der Personalabteilung verankert werden, etwa in Beförderungsplänen“, rät Krüll.

Oft ist der alte Chef schon weg, ein neuer aber noch nicht im Amt. Diese Übergangszeit wird oft als Machtvakuum empfunden. Mitarbeiter sollten jetzt besonders wachsam sein und – je nach persönlichem Karriereziel – beherzt zugreifen, wenn sich die Chance für wichtige Aufgaben bietet.

Ein guter Kontakt zum Interimschef oder Übergangschef der nächsthöheren Hierarchieebene kann Türen öffnen. „Der Interimschef hat ja auch dann noch eine Funktion, wenn ein neuer Chef gefunden ist. Von oben als Leistungsträger identifiziert zu werden, schadet nie“, sagt Diplom-Psychologe Hesse.

Abwarten und beobachten

Doch was in der Übergangszeit galt, kann hinfällig werden, sobald ein neuer Chef gefunden ist. Mit seinem Start beginnt eine neue Ära. Für die ersten Tage empfiehlt sich: abwarten und beobachten.

Was für ein Typ Mensch der Neue ist, wie er die Zusammenarbeit handhabt, muss sich erst zeigen. Der Chef ist hier in der Bring-Schuld, er sollte auf die Mitarbeiter zugehen und etwa zu persönlichen Kennenlern-Gesprächen einladen. „Wer dem neuen Vorgesetzten sofort auf den Schoß springt, macht sich extrem verdächtig“, sagt Jürgen Hesse. Wer sich anbiete, aber nicht anbiedere, könne den ersten Eindruck positiv erscheinen lassen. Dieser entstehe allerdings nicht nur durch Worte, sondern vor allem auch durch Körpersignale, sagt Caroline Krüll. „Ob man sich mag oder nicht, entscheidet sich innerhalb von 150 Millisekunden. Ein freundlicher Ton und offene Körpersprache sind hier ausschlaggebend.“

Kurz vorstellen

Da Chefs gerade am Anfang alles andere als Nervensägen oder Zeiträuber gebrauchen können, empfiehlt Krüll für die erste Begegnung, sich kurz und aussagekräftig vorzustellen.

Zum Beispiel: „Guten Tag, mein Name ist Erika Meier. Ich arbeite seit fünf Jahren in der Abteilung und bin für die technische Planung zuständig.“ Der Chef erhalte so in kürzester Zeit alle Informationen, die für ihn zum Start wichtig seien. Und das ebnet den Weg für alle folgenden Begegnungen.

„Mini-Bewerbung“

Eine solche ist zum Beispiel das persönliche Kennenlern-Gespräch, das üblicherweise innerhalb der ersten zwei bis vier Wochen stattfindet. Die Initiative für dieses erste längere Gespräch sollte immer vom Chef ausgehen. „Wer noch keine Einladung bekommen hat, obwohl alle anderen schon vorgesprochen haben, darf aber ruhig sein Interesse an einem solchen Begegnung anbieten“, sagt Hesse. Als Vorbereitung sollten sich Mitarbeiter einige Sätze zurechtlegen, welche die persönliche Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart schnell verdeutlichen. „Das ist vergleichbar mit einer Mini-Bewerbung“, so Hesse. „Es geht darum, Kompetenz und Persönlichkeit zu beweisen.“

Typischer Verlauf eines ersten Chef-Mitarbeiter-Gesprächs: Man beschreibt, wo man bereits gearbeitet oder die Ausbildung absolviert hat, welche Projekte erfolgreich abgeschlossen wurden, wo aktuelle Schwerpunkte liegen und empfiehlt sich für höhere Aufgaben in der Zukunft. „Zeigen Sie sich von Ihrer Schokoladenseite“, rät Jürgen Hesse, „eine ehrliche Einschätzung Ihrer Schwächen ist hier nicht gefragt.“

Das Kennenlern-Gespräch ist auch der richtige Zeitpunkt, um neue Ideen vorzubringen. Wer hier überzeugen will, sollte auf keinen Fall Halbfertiges auf den Tisch bringen. „Am besten, man schreibt vorher für sich selbst einige Stichworte auf“, sagt Jobcoach Caroline Krüll. Wichtig sei auch zu fragen, wie sich der Chef die Zusammenarbeit vorstellt. „Das signalisiert Bereitschaft sich einzubringen und Offenheit für Neues.“

Offen für Neues

Wünscht sich der Chef mehr Veränderung als dem Mitarbeiter lieb ist, sollte sich dieser kompromissbereit zeigen. „Bremsen Sie den Chef nicht gleich aus“, sagt Jürgen Hesse. „Am Anfang wollen viele erst einmal verändern. Das zu kritisieren bedarf einer Vertrauensebene, die noch nicht da ist.“

Das bedeutet auch, ihn eigene Erfahrungen machen zu lassen. Wer dem Neuen gute Tipps auf den Weg zu gibt oder sich negativ über den alten Chef, Kollegen oder Vorgesetzte höherer Hierarchie-Ebenen äußert, manövriert sich selbst ins Abseits. Wer gegen wen intrigiert, wer mit wem gut kann – das alles muss der neue Vorgesetzte selbst herausfinden.

Souverän bleiben

Auch wer mit dem alten Chef Privilegien ausgehandelt hatte, sollte diese dem neuen Chef nicht gleich unter die Nase reiben: Nicht selten versuchen neue Vorgesetzte, die Günstlinge ihrer Vorgänger zu entmachten. „Ein kluger Chef wird sowieso fragen, ob es informelle Vereinbarungen gab. Wer was kann und ein gewisses Selbstbewusstsein hat, kann dann souverän verhandeln“, sagt Jürgen Hesse. Diese Zurückhaltung gilt jedoch nicht, wenn Arbeitnehmer etwa durch persönliche Umstände weniger flexibel als Kollegen sind. Wer zum Beispiel jeden Tag sein Kind aus dem Kindergarten abholen muss, sollte das schnell ins Gespräch bringen – und dem Chef anbieten, gemeinsam Prioritäten für Aufgaben festzulegen.

Ist das erste Gespräch erfolgreich verlaufen, sind die Weichen für ein konstruktives Mitarbeiter-Chef-Verhältnis gestellt. Einen guten Draht bekommt man jedoch am schnellsten über die persönliche Ebene. Hier hilft vor allem unaufdringlicher, knapp gehaltener Small-Talk. Vom Wetter, über Fußballvorlieben, Ferienpläne bis hin zu Grillrezepten: Thematisch ist alles geeignet, was nicht zu sehr ins Private geht oder den Job betrifft.

Erst Kollege, dann Chef

Nicht immer ist der Chef jedoch ein völlig Unbekannter. Eine besondere Situation tritt ein, wenn ein Kollege Vorgesetzter wird. „Der Umgang mit den alten Kollegen ist oft für den, der befördert wurde, sehr schwierig“, sagt Karriereberaterin Svenja Hofert. Mitarbeiter sollten hier Unterstützung signalisieren. „Wer Verständnis zeigt und etwa nicht beleidigt ist, wenn der ehemalige Kollege Distanz aufbaut, kann sich dessen Wertschätzung sicher sein.“

Karriereknick oder Karrieresprungbrett – was der Chefwechsel bringt, hat jeder selbst in der Hand. „Das ist wie in der Schule“, sagt Jürgen Hesse. „Ein neuer Lehrer ist auch immer eine Chance.“ Natürlich sei es leichter, sich aus dem Mittelfeld als aus einer Spitzenposition zu verbessern. „Doch man sollte nicht zu pessimistisch sein, auch wenn man meint viel verlieren zu können.“

Zuerst veröffentlicht auf wiwo.de