BWL mit Kunst verbinden

Wirtschaft ist nicht alles: Innovative Studiengänge verbinden BWL mit Kunst und Philosophie. Das Studium generale zeigt in der Krise Alternativen auf – wird aber nur von wenigen Unis angeboten. Karriere.de zeigt, mit welchen Chancen und Risiken zu rechnen ist.

Katja Stricker | 18.09.2017

Dienstagmorgen, acht Uhr, Alanus-Hochschule in Alfter bei Bonn. Statistik oder Buchhaltung müssten hier jetzt auf dem Programm stehen für die BWL-Studenten, zumindest erwartet man das so. Stattdessen aber rollen, robben und krabbeln drei Dutzend Erstsemester über den Fußboden, um die Phasen eines Babys von der Geburt bis zum Laufen nachzuempfinden. Eurythmie nennt sich das, Bewegungskunst also, und pro Woche müssen die angehenden Betriebswirte anderthalb Stunden damit zubringen. Das Ziel: Sie sollen lernen, ihren Körper wahrzunehmen und auf ihre innere Stimme hören.

Einer von ihnen ist Philipp Thunecke. „Eurythmie ist schon sehr gewöhnungsbedürftig“, gesteht er. Auch im dritten Semester seines Studiums ist er kein Eurythmie-Fan geworden. Aber die Frage, was die Übungen in einem BWL-Studiengang zu suchen haben, hat der 23-Jährige für sich persönlich geklärt: „Es kann sicher später als Führungskraft nicht schaden, ab und zu in sich reinzuhören.“

Tipp: Kunstinteressierte könnte der Studiengang Kunsttherapie oder Eurythmie gefallen.

Eurythmie ist nur ein kleiner Teil des gesamten Studiums

Die Bewegungskunst ist längst nicht die einzige Überraschung, die das BWL-Studium an der staatlich anerkannten Alanus-Hochschule parat hält. Neben Wirtschaftsfächern wie Statistik, Rechnungswesen und Buchhaltung lernen die Manager von morgen auch Malerei, Bildhauerei, Ethik und Improvisationstheater kennen. „Die Verbindung mit Kunst, Kultur und einem Studium generale hat mir sofort gefallen“, erzählt Philipp Thunecke, der nach dem Abi zufällig von dem Angebot der Alanus-Hochschule erfuhr. „BWL alleine wäre mir zu trocken gewesen.“

Mehr als ein pures Wirtschaftsstudium – das reizt viele Studenten. Doch bisher bieten nur sehr wenige Hochschulen Kombi-Studiengänge an, die etwa Kunst, Kulturgeschichte, Philosophie oder ein Studium generale mit BWL und VWL verbinden. „Wir brauchen mehr Betriebswirte, die über den Tellerrand ihres Faches geguckt haben“, sagt Patrick Schild, Partner bei der Personalberatung Odgers Berndtson. „Wer es heute in eine Führungsposition schaffen will, muss mehr zu bieten haben als reines Lehrbuchwissen.“

Das ist auch das Ziel der Alanus-Hochschule. „Wir wollen einen neuen Typus Manager ausbilden, der neue Denkmuster wagt und Althergebrachtes hinterfragt“, sagt Lars Petersen, Leiter des Fachbereichs Wirtschaft. Ein Konzept, das ankommt, wie die wachsende Zahl der Partnerunternehmen zeigt: Die Drogeriemarkt-Kette dm, die Biomarke Alnatura, der Naturkosmetikkonzern Weleda, die GLS Bank, die mit sozial-ökologischen Bankgeschäften ihr Geld verdient, und seit neuestem auch die Warenhausgruppe Globus – sie alle lassen ihren Führungskräftenachwuchs an der Alanus-Hochschule ausbilden. „Die Absolventen sind zupackend, haben große Ideale und stellen alles infrage“, fasst Uwe Urbschat, Leiter der Mitarbeiterentwicklung der Weleda-Gruppe, die Vorzüge der Alanus-BWLer zusammen. „So ein frischer Wind ist Gold wert für ein Unternehmen.“

Dass die künftigen Manager den Pinsel schwingen oder sich auf der Bühne beweisen müssen, macht für Urbschat durchaus Sinn: „Jedes Projekt – auch im Unternehmen – ist letztlich wie eine leere Leinwand, die es mit Leben zu füllen gilt.“ Dabei seien vor allem Innovationskraft und Kreativität gefragt. „Ich sehe die Kunst als eine Inspirationsquelle fürs Management“, so der Personalexperte.

Tipp: BWL Interessenten sollten einmal bei der Nordakademie vorbeischauen.

Soft Skills haben einen hohen Stellenwert

Und als Weg, Persönlichkeit und Soft Skills zu bilden: „Gerade die aktuelle Bankenkrise zeigt, dass die Mainstream-Ausbildung viel zu einseitig ist“, sagt Julian Kühn, Vorstand der GLS Treuhand, die für die GLS Bank unter anderem die Stiftungen betreut. Der klassische BWLer häufe zwar im Laufe seines Studiums viel Wissen an; Soft Skills wie soziale Kompetenz, Team- und Wahrnehmungsfähigkeit blieben dabei häufig auf der Strecke.

Doch ohne das notwendige Handwerkszeug geht es nicht, sagt Sörge Drosten, Geschäftsführer der Kienbaum Executive Consultants International. Er sieht bei solchen Kombi-Studiengängen die Gefahr, dass die Studenten von allem ein bisschen und nichts richtig lernen: „Das Ganze darf kein Schmalspur-BWL werden, sonst können die Absolventen später nicht mit den klassischen Betriebswirten konkurrieren“, sagt er.

Das sieht Alanus-Fachbereichsleiter Petersen genauso. „Unser Studiengang ist kein BWL light.“ Das Studium sei in erster Linie ein Wirtschaftsstudium, in 80 Prozent der Veranstaltungen geht es um Wirtschaft. Dazu kommen 20 Prozent Kunst, Kultur und Philosophie. Neben den klassischen BWL-Modellen lernen die Studenten auch Unkonventionelles kennen, etwa die Wertbildungsrechnung, eine alternative Art der Bilanzierung, wie sie beispielsweise vom Partnerunternehmen dm angewendet wird. Schließlich können die Studenten bei dm, Weleda und Alnatura die Theorie in die Praxis umsetzen: Nach jedem Semester verbringen die Studenten zehn Wochen im Unternehmen; so bringen sie es am Ende ihres Studiums auf mehr als ein Jahr Berufserfahrung – fast wie bei einem dualen Studium.

Wirtschaft neu denken – gerade die Finanzkrise zeigt, dass eine neue Generation von Managern gefragt ist. Für Personalberater Patrick Schild, der mehrere Jahre im internationalen Bankwesen tätig war, steht fest, dass eine der Ursachen der Krise die Abkopplung der Philosophie von der Wirtschaft ist: „Ethik, Integrität und nachhaltiges Handeln spielen gegenüber den nackten Zahlen zurzeit nur eine untergeordnete Rolle“, kritisiert Schild.

Ökonomen brauchen auch einen philosophischen Input

Um das zu ändern, hat Rainer Hegselmann bereits vor zehn Jahren den Studiengang Philosophy & Economics an der Uni Bayreuth ins Leben gerufen. „Ich wollte die Philosophie mit harten Fächern wie Ökonomie verbinden, denn bei vielen Fragestellungen in Wirtschaft und Unternehmen kann ein Philosoph sehr hilfreich sein“, sagt er. Das Studium besteht zu je 50 Prozent aus Wirtschaft und Philosophie. Das Grundstudium ist dem normalen BWL sehr ähnlich. Statt Vertiefungsfächer wie Marketing oder Steuerrecht stehen allerdings praktische Philosophie, Sozial- und Rechtsphilosophie auf dem Stundenplan.

„Für Mathe-Hasser ist das Studium nichts, denn nicht nur bei den Wirtschaftsfächern ist sie als Werkzeug wichtig, sondern auch in der Entscheidungs- oder Spieltheorie“, sagt Hegselmann. Wer zu den 90 Studenten pro Semester gehören will, die an der Uni Bayreuth die Anknüpfungspunkte zwischen Wirtschaft und Philosophie lernen, muss einen Eignungstest bestehen: Entscheidend sind eine sehr gute Abi-Note, ein Motivationsschreiben und ein persönliches Gespräch.

Den Aufnahmetest hat Lynn Waffenschmidt mit Bravour bestanden (siehe Porträt oben). Dabei hatte sie bis zum Abitur nicht viel mit Philosophie zu tun. Erst eine Berufsberatung machte sie auf den außergewöhnlichen Studiengang in Bayreuth aufmerksam: „Obwohl ich nie Philosophie als Fach in der Schule hatte, wusste ich schon im ersten Semester – das ist es“, sagt sie. Ihr Studium wird sie bald abschließen.

Heute bezeichnet sie sich als Philosophin. Dennoch macht ihr auch das Wirtschaftsstudium Spaß, selbst „wenn ich da schon mal ins Stöhnen komme, wenn es mir zu praxisfern wird.“ Aber ohne BWL-Kenntnisse geht es im Unternehmen nun mal nicht – das ist der 22-Jährigen klar.

Den Anspruch, mit herkömmlichen Betriebswirten zu konkurrieren, hat Waffenschmidt derzeit nicht. „Controlling oder Steuerrecht – das könnte ich im Unternehmen mit meiner aktuellen Ausbildung gar nicht machen. Meine Spezialisierung ist gerade die Philosophie und deren Kombination mit den Wirtschaftsthemen“, sagt sie selbstbewusst. Ein Mix, der auch bei Personalern gut ankommt: „Ich würde diese Absolventen liebend gerne einstellen, weil sie vielseitig einsetzbar sind und neue Impulse bringen“, sagt Berater Schild.

Querdenker können neue Impulse setzen

Querdenker ausbilden will auch Michael Anders, Geschäftsführer der Uni Witten/Herdecke. Deshalb ist an der Privathochschule seit Jahren für alle Studenten ein Studium fundamentale neben dem eigentlichen Fach verpflichtend. Zur Wahl stehen etwa Rhetorik, Politik und Philosophie, aber auch Malerei, Steinmetzen oder kreatives Schreiben. Das hat seinen Grund: „Künstler gehen völlig anders an Probleme ran, nehmen nichts einfach so hin, hinterfragen viel mehr – davon können sich Betriebswirte eine Scheibe abschneiden“, findet Anders.

Ein hehres Ziel, doch Personalberater Sven Drosten hat Bedenken, weil es exotische Studiengänge den Personalverantwortlichen schwer machen, einen Bewerber einzuordnen: „Die rätseln dann: Ist das jetzt ein Betriebswirt oder ein Philosoph“, so Drosten. Er rät deshalb, einen spezialisierten Master draufzusatteln und gezielt Praktika zu absolvieren, um sein Bewerberprofil zu schärfen.

Das nimmt sich offensichtlich das Gros der Philosphy & Economics-Absolventen der Uni Bayreuth zu Herzen: „Viele unserer Absolventen machen einen Master, manche sogar in Oxford oder Harvard“, sagt Studiengründer Hegselmann nicht ohne Stolz. Auch Lynn Waffenschmidt zieht es nach ihrem Abschluss ins Ausland: Sie wird ein Trimester Sprachphilosophie studieren – als Gaststudentin an der Universität Oxford.

Mehr als Wirtschaft

Alanus-Hochschule in Alfter bei Bonn 
In erster Linie ist die Alanus-Hochschule eine staatlich anerkannte Kunsthochschule. Seit drei Jahren bildet sie auch Betriebswirte aus. Die Gebühren für den Bachelor-Studiengang liegen bei 800 Euro pro Monat, allerdings erhält das Gros der Studenten ein Voll- oder zumindest Teilstipendium, das von den Partnerunternehmen der Hochschule finanziert wird. 
www.wirtschaft-neu-denken.de

Universität Bayreuth 
Seit rund zehn Jahren gibt es den Bachelor-Studiengang Philosophy & Economics, bei dem etwa ein Viertel der Veranstaltungen auf Englisch abgehalten wird. Pro Semester fallen 500 Euro Studiengebühren an. 
www.pe.uni-bayreuth.de

Porträt: Lynn Waffenschmidt

Lynn Waffenschmidt ist eine Überfliegerin – selbst wenn sie sich niemals so bezeichnen würde. Mit gerade mal 17 Jahren machte sie Abitur, ging für ein Jahr als Au-Pair und Deutschlehrerin nach Hongkong und ist jetzt mit 22 Jahren im letzten Semester ihres Bachelors in Philosophy & Economics an der Universität Bayreuth; auf den Studiengang wurde sie zufällig durch eine Berufsberatung aufmerksam. Obendrein spricht sie mittlerweile sehr gut Chinesisch. „China ist so etwas wie eine zweite Heimat für mich geworden“, erzählt Waffenschmidt. Deshalb hat sie auch ihr Studium für ein Jahr unterbrochen, um vor Ort ihre Sprachkenntnisse weiter zu vertiefen und ein Praktika zu absolvieren. Und auch nach dem Studium zieht es Waffenschmidt nach China – ab dem kommenden Sommer plant sie dort einen freiwilligen Dienst als Lehrerin. „Ich möchte den Menschen etwas zurückgeben – weil ich mir der Tatsache bewusst bin, wie gut es mir eigentlich geht.“ Ihr Interesse für die chinesische Sprache und ihre Leidenschaft für Aristoteles, Platon, Kant und andere Philosophen ist für sie kein Widerspruch: „Ich mag Dinge, die logisch aufgebaut sind – wahrscheinlich fallen mir deshalb Philosophie und Mandarin so leicht.“

Porträt: Philipp Thunecke

„Wer analysiert eigentlich die Analysten?“ – diese provokante Frage der Alanus-Uni prangte auf einer Litfaßsäule in Köln und fiel Philipp Thunecke sofort ins Auge. Ein Zufall, der seinen weiteren Lebensweg verändern sollte. „Die Frage hat mich neugierig gemacht, ich habe mir noch am gleichen Tag die Internetseite der Hochschule angesehen“, erinnert sich der heute 23-Jährige. Die Kombination von BWL, Kunst und einem Studium generale begeisterte Thunecke sofort, „nicht nur, weil ich in einem kunstbegeisterten Haushalt aufgewachsen bin. Meine Mutter ist Künstlerin, und ich selber habe schon immer gerne gezeichnet.“ Auch das Motto der Alanus-Hochschule, „Wirtschaft neu denken“, reizte den gebürtigen Bonner. BWL pur – das wäre Philipp Thunecke zu trocken gewesen. „Die Kunst- und Schauspiel-Stunden lockern meinen Stundenplan auf und schaffen einen guten Ausgleich zu Statistik, Rechnungswesen und Makro-Ökonomie – meinem Prüfungsprogramm für dieses Semester“, sagt der BWLStudent. Eine Antwort auf die Frage, mit der alles anfing, hat Thunecke bisher nicht gefunden – im Gegenteil. „Es kommen immer mehr Fragen hinzu“, sagt er schmunzelnd. Das ist gewollt. Schließlich sollen die Manager von morgen neue Denkmuster wagen und neue Wege gehen.