Digitales Phänomen: „Zoom-Fatigue“: Warum uns Videokonferenzen auslaugen

Videokonferenzen machen müde. Aber warum ist das so? Über ein neues Phänomen und 7 Tipps gegen die Erschöpfung.

Ina Karabasz | 19.11.2021
Bevor Zoom-Fatigue ein Begriff wurde, gab es bereits die Phänomene des „Technostresses“ und der „Social Network Services Fatigue“, an denen Wissenschaftler schon seit Jahren forschen.

Zoom-Call I Bevor Zoom-Fatigue ein Begriff wurde, gab es bereits die Phänomene des „Technostresses“ und der „Social Network Services Fatigue“, an denen Wissenschaftler schon seit Jahren forschen.

Der Arbeitstag ist zu Ende. Der Laptop wird zugeklappt. Feierabend. Müde. Der Weg vom Schreibtisch ins Wohnzimmer war nie kürzer. Homeoffice.

Kein langer Arbeitsweg, kein Feierabendverkehr, nicht noch eben in den Supermarkt gesprungen. Es gab den Tag über keine spontanen Ablenkungen durch Kollegen, kein „Kannst du mal grade?“, keine Businessgespräche beim Mittagessen. Nichts davon. Warum nur sind wir dann oft so müde und erschöpft?

Dass die Corona-Pandemie den Alltag stark verändert hat, ist eine Binse. Wir alle haben miterlebt, wie die Schulen schlossen, die Geschäfte, die Büros. Wir sprechen viel darüber, was das mit der Wirtschaft macht, mit den Unternehmen und Arbeitnehmern. Wir diskutieren zu Recht viel und sogar noch zu wenig darüber, was die Krise mit Teilen der Gesellschaft macht: mit Risikogruppen, mit Müttern, mit denen, die nun ihren Arbeitsplatz oder ihr Einkommen verlieren.

Worüber wir aber häufig nur am Rande sprechen, ist, dass der neue, digitalere Alltag auch etwas mit uns, mit unseren Köpfen macht.

Zoom-Fatigue ist ein neues Phänomen der Coronazeit

Die Zeit der weltweiten Lockdowns hat ein neues Phänomen hervorgebracht: Zoom-Fatigue. Benannt nach dem bekannten Anbieter für Videokonferenzen, ist das Syndrom nicht auf das Angebot des US-Unternehmens beschränkt, sondern tritt auch bei den meisten anderen Formen des virtuell-visuellen Austauschs auf.

Im Kern geht es darum, dass Videokonferenzen uns müde machen. Nicht, weil es in Corona-Zeiten um schwierige Herausforderungen geht, nicht, weil der Kollege wieder 15 Minuten exakt am Thema des Meetings vorbeiredet. Sondern, weil wir Menschen mit der Situation an sich Schwierigkeiten haben.

Videokonferenzen boomen

Welchen Anteil Videokonferenzen an unserem Alltag mittlerweile haben, lässt sich aus der Bilanz des Unternehmens ableiten, nach dem das Müdigkeits-Phänomen benannt ist: Zoom hat im ersten Quartal, das Ende April endete, das Ergebnis um 169 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal gesteigert und setzte knapp 330 Millionen Dollar um.

Zwar haben sich auch die Kosten etwa vervierfacht, weil die Zahl der Kunden um 354 Prozent auf mehr als 265.000 gestiegen ist. Doch obwohl das US-Unternehmen davon ausgeht, dass im Laufe des Jahres einige Kunden wieder abspringen, erwartet es im Gesamtjahr ein Ergebnis von bis zu 1,8 Milliarden Dollar.

Und Zoom ist nicht alleine im Markt. Der Anbieter steht im Wettbewerb mit vielen anderen wie BlueJeansMeetings, Lifesize, GoToMeeting oder Avaya – und vor allem auch den großen Tech-Konzernen wie Microsoft, Google, Cisco oder Amazon.

Angesichts der derzeitigen Situation ist es schwierig, die Zukunft zu prognostizieren, aber eine Studie von Fortune Business Insights von Mitte Mai kommt zu dem Schluss, dass der weltweite Markt für Videokonferenzen bis 2026 um knapp zehn Prozent auf 6,37 Milliarden Dollar wachsen wird – auch angetrieben durch die Unsicherheit wegen Covid-19.

Call an Call – die Pausen fehlen

Unternehmen verbieten aus Gründen des Infektionsschutzes Geschäftsreisen und merken gleichzeitig, wie viel Geld sich durch virtuelle Treffen sparen lässt. Auch wenn die Einschränkungen mit der Zeit wahrscheinlich abnehmen werden – Videokonferenzen sind gekommen, um zu bleiben.

Wo früher ein Meeting nach dem anderen im Kalender stand, reiht sich nun Call an Call. Keine Pause nötig, schließlich fallen Raumwechsel weg. Zwei Klicks – und der Bildschirm ist voll mit anderen Personen, aufgereiht wie eine antike Büstensammlung: Kopf und Oberkörper sind zu sehen, mehr nicht. Im Hintergrund Bücherregale, Kleiderschränke, Kücheninterieur.

Alle beobachten sich gegenseitig, aber niemand schaut jemanden an. Um dem Gegenüber im virtuellen Raum das Gefühl zu geben, tatsächlich angeschaut zu werden, müssten alle direkt in die Kamera – und nicht auf den Bildschirm schauen. Da die anderen dann aber nur im Augenwinkel zu sehen sind, erzeugt das so ein komisches Gefühl, dass es kaum jemand macht.

Bei Zoom-Calls fehlt die Körpersprache

Dieses Problem – beobachtet, aber nicht angeschaut zu werden – ist systemimmanent und einer der Gründe, warum uns Videocalls so müde machen. Die Interaktion ist ungewohnt unnatürlich. Wir Menschen sind es gewohnt, in Konversationen auch nonverbale Hinweise unterbewusst wahrzunehmen, damit wir die Situation besser einschätzen können. In einem Interview mit der britischen BBC sagte der Verhaltensforscher und Professor an der Wirtschaftshochschule Insead, Gianpiero Petriglieri: „Videochats bedeuten, dass es uns schwerer fällt, nonverbale Hinweise wie Mimik, Stimmlage oder Körpersprache zu lesen. Darauf stärker achten zu müssen verbraucht eine Menge Energie.“

Gleichzeitig können wir nicht kurz unaufmerksam sein, weil wir immer die Sorge haben müssen, dass uns jemand dabei beobachtet. Zwar sind wir nach den ganzen TV-Jahrzehnten durchaus daran gewöhnt, auch länger auf bewegte Bilder auf einem Bildschirm zu schauen, aber das war reiner Konsum. Eine Videokonferenz mit vielen Leuten sei „wie fernzusehen, und der Fernseher schaut zurück“, sagte Petriglieri im Interview.

Und dass wir beobachtet werden, dessen sind wir uns immer bewusst. Unten rechts, oben links oder sonst irgendwo auf dem Bildschirm erinnert uns das eigene Bild daran, dass die anderen uns sehen können. Diese durchaus dankbare Spiegelfunktion – niemand will vor der Kamera gerne die Haltung verlieren – führt auch dazu, dass wir uns deutlich mehr mit uns selbst beschäftigen: Sitzen die Haare? Ist das Hemd eingelaufen, oder saß das schon immer so eng?

Eine Erklärung dafür ist, dass wir es schlichtweg nicht gewohnt sind, uns in Konversationen selbst zu beobachten und wir deswegen deutlich mehr darüber nachdenken, wie andere uns in der Situation sehen. Eine andere ist, dass wir überfordert sind, weil so viel auf dem Bildschirm gleichzeitig passiert. Das will sich kaum jemand eingestehen. Aber gleichzeitig die anderen nicht wirklich sehen zu können, zudem von ihren Hintergründen abgelenkt zu werden, kann auf Dauer anstrengend sein. Da ist das eigene gewohnte Bild eine kurze Entlastung.

Mögliche Lösung: Teams virtuell in einen Raum stecken

Den Anbietern von Videokonferenz-Software sind diese Probleme durchaus bewusst: Anfang Juli hat Microsoft etwa für sein „Teams“-Angebot das Update „Together Mode“ herausgebracht. Die Büsten beziehungsweise die Köpfe der Konferenzteilnehmer werden mithilfe von Künstlicher Intelligenz ausgeschnitten und in einen gemeinsamen Raum eingefügt. Die bekannte Optik mit einer Kachel pro Person fällt weg.

Stattdessen können alle zusammen etwa in einer virtuellen Bibliothek oder einem Hörsaal sitzen. Das hat zwar noch die Anmutung eines alten PC-Spiels, aber jetzt, wo Videokonferenzen die „neue Normalität“ seien, gäbe es Gelegenheiten, bei denen die Menschen das Gefühl bräuchten, im gleichen Raum zu sein, bewirbt Microsoft sein Angebot.

Schon Mitte vergangenen Jahres wurde bekannt, dass Apple offenbar mit einer „Attention Correction“-Funktion experimentiert, die die Blickrichtung von Personen in einem FaceTime-Chat automatisch in die Richtung der Kamera korrigiert. Obwohl das Gegenüber auf den Bildschirm schaut, soll der Gesprächspartner das Gefühl bekommen, er werde angeschaut. Diese Funktion kam dann doch nicht mit dem Betriebssystem iOS13 auf den Markt, Apple hat sie aber für iOS14 angekündigt, das wahrscheinlich im Herbst herauskommt. Auch andere Anbieter haben ähnliche Software im Programm.

Stress durch digitale Medien

Dass digitale Angebote neben all den Vorzügen auch müde machen können, ist schon länger bekannt. Bevor Zoom-Fatigue ein Begriff wurde, gab es bereits die Phänomene des „Technostresses“ und der „SNS Fatigue“, an denen Wissenschaftler schon seit Jahren forschen.

SNS steht für Social Network Services. Die Forschung beschäftigt sich im Kern mit der Frage, warum Menschen durch die Digitalisierung gestresst sind und warum die häufige Nutzung von sozialen Netzwerken müde macht. Die Gründe dafür sind vielfältig. Offenbar sind sie für viele Fluch und Segen zugleich.

Eine Untersuchung der Universitäten Lancaster und Bamberg zeigt, dass einige Facebook-Nutzer, die unter anderem das Gefühl hatten, Netzwerke drängen in ihr persönliches Leben ein und sie seien übermäßigen sozialen Erwartungen ausgesetzt, nicht die Plattform verlassen, sondern sich auf der Plattform einfach anders verhalten.

Die Mitautorin der Studie, Monideepa Tarafdar, erklärte dazu: „Die Idee, dasselbe Umfeld, das den Stress verursacht, als Mittel zur Bewältigung dieses Stresses zu verwenden, ist neu. Es ist ein interessantes Phänomen, das für Technostress, der durch soziale Medien hervorgerufen wird, charakteristisch zu sein scheint.“

Meetings oder Calls? Das beste aus beiden Welten

Auch Videokonferenzen haben viele positive Seiten. Besonders in Zeiten harter Lockdowns waren sie für viele die einzige Möglichkeit, einen halbwegs persönlichen Kontakt zu pflegen. Psychologen vermuten sogar, dass es eventuellen Depressionen vorbeugen kann, weil der Sichtkontakt das Gefühl der Vereinsamung reduzieren kann. Gleichzeitig schonen sie die Umwelt, sind familienfreundlicher und in den meisten Fällen deutlich zeiteffizienter als physische Meetings im Büro.

Doch wie viele Videokonferenzen sind gesund? Wie viele Meetings werden digital bleiben, wenn alle Corona-Einschränkungen zurückgenommen wurden? Welche Lehren ziehen wir aus der virtuell-visuellen Zeit?

Jutta Rump ist Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) in Ludwigshafen. „Wir kehren nicht in die alte Welt zurück“, erklärt sie, „sondern es wird Mischformen geben. Wir brauchen das Beste aus beiden Welten, der analogen und der digitalen, und wir werden über kurz oder lang auch dahin kommen.“

Manager, die nun die meisten Prozesse digital durchführen wollen, weil es effizienter sei, weniger Infrastruktur vor Ort benötige und damit Kosten spare, würden sehr schnell eines Besseren belehrt werden, sagt die Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Die Mitarbeiter könnten schnell Ermüdungserscheinungen zeigen, aus dem Gleichgewicht kommen, zu wenige Pausen einplanen. Das könnte psychosomatische Krankheiten auslösen, die dann auch physisch werden könnten, erklärt Rump.

Leistung durch Pausen

Es sei wichtig, dass es auch für digitales Arbeiten eine saubere Agenda für den Tag gebe: „Planen Sie künstliche Raumwechsel mit ein, auch wenn Sie zu Hause sind. Nehmen Sie sich Zeit zwischen Terminen, Pausen, die Sie sonst auch hatten,“ rät sie. Auf der einen Seite sollten Zeitfresser herausgenommen werden, zum Beispiel für ein halbstündiges Meeting ins Büro zu fahren. Organisatorisches könne auch virtuell geklärt werden. Aber wenn es um ein Treffen mit dem Team geht, sollte man sich die Zeit nehmen, ein kleines Event daraus machen und sich nicht über Kleinigkeiten unterhalten.

„Es gibt da so viele Aspekte, und wenn Sie nicht wollen, dass die Leistungsfähigkeit Ihrer Mitarbeiter runtergeht, brauchen Sie ein Konzept, eine Strategie“, betont Rump. „Besprechungen sollten zum Beispiel für 45 Minuten angesetzt werden statt einer Stunde und bei längeren Meetings immer zehn Minuten Pause einplanen.“

Oft sei das Problem im Management aber noch nicht angekommen, so die Professorin. Auch weil das Phänomen neu ist: „Die Müdigkeit merken viele, aber wissen nicht so richtig, woran es liegt. Sie können es auch noch nicht benennen.“ Es nennt sich Zoom-Fatigue.

7 Tipps gegen die Müdigkeit nach Zoom und Co:

  1. Vermeiden Sie Multitasking:
    Auch wenn es am Computer verlockend ist, neben der Konferenz auch noch E-Mails oder Slack-Nachrichten zu beantworten – wir neigen dazu, zu überschätzen, wie viel Inhalt wir aufnehmen können. So wird es nur schwieriger, den Kollegen im Call zu folgen – also anstrengender.
  2. Bauen Sie Pausen in Ihren Tagesplan ein:
    Um kurz einmal durchzuatmen, ist es wichtig, nicht von einem Call in den anderen zu springen, sondern sich zehn oder 15 Minuten Zeit zu nehmen, in denen die Kamera am Laptop nicht an ist. Nutzen Sie einzelne Pausen auch gezielt, um sich vom Bildschirm zu entfernen, damit die Augen entlastet werden.
  3. Konzentrieren Sie sich auf die Personen, nicht auf den Hintergrund:
    Wenn Sie anfangen, darüber zu rätseln, welche Weinflasche bei dem einen Kollegen im Regal steht und warum sich der andere vor einen Wäscheständer gesetzt hat, leidet ihre Konzentration, die sie mit Energie-Einsatz wieder zurückholen müssen. Nutzen Sie im Zweifel Video-Hintergründe, damit das nicht passiert.
  4. Telefonieren Sie:
    Nicht jeder Call muss ein Videocall sein. Im Telefonat können Sie sich frei bewegen – und Bewegung führt dazu, dass wir Inhalte besser speichern können.
  5. Weniger ist mehr:
    Auch wenn sehr viele Personen ohne großen technischen Aufwand an einer Videokonferenz teilnehmen können, ist es besser, Calls auf den Kreis zu beschränken, der wirklich etwas zum Thema beizutragen hat.
  6. Schaffen Sie kleine Gemeinsamkeiten:
    Es mag abwegig klingen, doch wenn in einem Call alle Teilnehmer einmal die gleiche Bewegung machen oder das gleiche Produkt in der Hand halten, schafft das auch virtuell eine persönlichere Verbindung.
  7. Machen Sie sich weniger Gedanken um sich selbst:
    In einer Laptop-Kamera, die in den meisten Fällen von unten nach oben filmt, sehen nur die wenigsten so aus wie auf ihrem Hochzeitsfoto. Corona hat uns auch die unpersönlichere Büroumgebung genommen und gezeigt, dass wir alle normale Menschen sind: mit Wäscheständern, mit Kindern, mit Bücherregalen – und auch mal mit Augenringen.

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