Shaolin-Lehren für Manager – So bringt Sie nichts mehr aus der Ruhe

Chinesische Shaolin sind Meister in der ganzheitlichen Selbstbestimmung. Balance, Haltung, Gelassenheit sind wichtige Lehren, von denen gutes Management profitieren kann.

Claudia Obmann | 19.12.2021

Wie lässt sich das Potenzial eines Individuums maximieren? Mit Achtsamkeit. In der Shaolin-Lehre ist sie ein wichtiger Schritt, den Körper zu stärken und den Geist zu beruhigen. Warum die traditionellen chinesischen Weisheiten gut zu modernem Management passen, beschreibt der renommierte Shaolin-Mönch Shi Xing Mi im Interview.

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ZUR PERSON
Shaolin Shi Xing Mi: Vom Manager zum Mönch

Der Mönch: Walter Gjergja, 42, der sich im Kloster Shi Xing Mi nennt, trainiert seit seinem 13. Lebensjahr Shaolin-Kung-Fu und lebte viele Jahre im buddhistischen Shaolin-Kloster in Deng-Feng in der chinesischen Provinz Henan.  Heute ist der Italiener einer von nur wenigen geweihten Kampfmönchen Europas.  Das chinesische „Mi“ bedeutet übersetzt „Reiskorn“ – ein Name, den Gjergjas Lehrer, der Tempel-Großmeister Shi De Yang, für ihn auswählte. Er hoffte, die fernöstliche Weisheit werde von seinem Schüler nach Europa getragen und fände auch hier Verbreitung.
Der Manager: Nach einem BWL-Studium im australischen Melbourne und Stationen in der Wirtschaft als Manager gründete er eine Shaolin-Schule in Mailand und lehrt weltweit die chinesische Kampfkunst.
Der Autor: Mit seinem Buch „Gib nicht alles, gib das Richtige – Shaolin-Strategie für Manager“ hat Shi Xing Mi zusammen mit Manager-Trainerin Claudia Maurer die Philosophie der Kampfmönche übertragen.
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Shi Xing Mi trägt die traditionelle hellgraue Tracht der chinesischen Kampfmönche, die komplett auf tierische Produkte verzichtet, als er zum Interview kommt. Und er hat etwas mitgebracht. Feierlich überreicht er einen bunt bestickten gelben Satinbeutel, in dem sich ein Holzperlenarmband befindet. Mit diesem Geschenk lässt sich Achtsamkeit trainieren: Immer, wenn ich gestresst bin, soll ich das Armband abnehmen und es über mein anderes Handgelenk streifen. Effekt: So wird mir bewusst, wie viel meiner Energie ich täglich vergeude, und ich kann darauf achten, dass es weniger wird.

Moderne Manager reiben sich auf zwischen Globalisierung und Dauererreichbarkeit. Und ihnen kommen Sie nun mit 1600 Jahre alten Weisheiten.  Wie passt das zusammen? Ein Unternehmen ist doch kein Kloster und die Mitarbeiter sind keine Mönche.
Die traditionellen chinesischen Weisheiten und modernes Management passen sehr gut zusammen. Den Shaolin geht es darum, das Potenzial des Individuums zu maximieren. Dafür müssen Körper, Geist und Spirit, die sich gegenseitig beeinflussen, in Balance sein. Die Dinge, die Sie beschreiben, beeinträchtigen diese Balance und damit das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit eines Managers. Ist er zum Beispiel dauernd gestresst, wird er krank, bekommt womöglich einen Herzinfarkt. Unser Trainingskonzept bietet Strategien, um dieses Gleichgewicht auch im Geschäftsleben zu wahren.

Shaolin-Mönche gelten als Meister des waffenlosen Nahkampfes. Was ist das Geheimnis ihrer Unbesiegbarkeit?
Das wahre Geheimnis liegt nicht in unseren spektakulären Kampftechniken, sondern darin, mit der richtigen Einstellung gelassen zum Sieg zu kommen.

Klingt abgehoben. Was genau kann sich Führungspersonal von Ihnen abschauen?
Die Shaolin-Kampfkunst basiert auf ganzheitlicher Selbstentwicklung. Die Menschen heutzutage fokussieren sich doch hauptsächlich auf den Verstand und schenken Körper und Spirit nur im Ernstfall Beachtung: Sie essen erst gesünder, wenn der Arzt einen zu hohen Cholesterinspiegel diagnostiziert, oder sie suchen nach Techniken, um Stress abzubauen, wenn sie Ängste oder Krankheiten plagen.

Also raten Sie Managern vorbeugend zu Kung-Fu-Training von morgens bis abends?
Nein. Sie müssen überhaupt nicht hart trainieren. Ich empfehle Qi Gong. Das sind einfache, aber wirkungsvolle Bewegungsübungen, mit denen wir Shaolin den Körper stärken und den Geist beruhigen, weil sie Achtsamkeit erfordern. Und Achtsamkeit ist die Basis, um auch Leistungsträgern in der Wirtschaft einen Weg aus der Stressfalle zu weisen.

Warum ist denn gerade Achtsamkeit so wichtig?
Ohne Achtsamkeit werden Sie die positiven Veränderungen im Lauf Ihrer weiteren Übungen zu den insgesamt sieben Kompetenzen, auf denen die Shaolin-Strategie für Manager aufbaut, nicht bemerken.

Um welche Kompetenzen dreht es sich noch?
Neben Achtsamkeit geht es um Balance, Disziplin, Klarheit, Haltung, Loslassen und Gelassenheit.

Angenommen ich wäre ein gestresster Manager, was würden die Übungen bewirken?
Ihre verbesserte Beherrschung von Körper, Geist und positiver seelisch-energetischer Grundstimmung  wir nennen es Qi – fördert auch Ihr Selbstvertrauen. Beweglichkeit bringt die Dinge in Bewegung, auch geistig.

Welchen Nutzen hätte das?
Vielleicht werden Ihnen zum Beispiel verdrängte Potenziale bewusst. Innere Klarheit sorgt jedenfalls dafür, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden, den Alltagsanforderungen mit Gelassenheit zu begegnen und entschlossen zu handeln, wenn es darauf ankommt. Das alles entlastet und motiviert eine gestresste Führungskraft.

Geben Sie mir doch mal ein möglichst konkretes Beispiel.
Für viele Manager bedeutet ihr Job Dauerkampf oder Dauerselbstverteidigung. Sie fühlen sich weder ausgeglichen noch zufrieden. Wir haben verschiedene Ansätze, um etwa die geistige Haltung zu verändern. Und zwar von einer stress-zentrierten zu einer fokussierten Denkweise. Denn Fokus ist so etwas wie eine positive Kraft, die dazu dient, eine Lösung zu finden. Mit unseren Übungen lässt sich die persönliche Haltung etwa gegenüber Problemen und Deadlines bewusst von Stress zu Fokussierung verändern

Aber es gibt nun mal nicht immer und für alles eine Lösung.
Stimmt. Es gibt Situationen, die entziehen sich der Kontrolle.

Und was dann?
Dann ist das oberste Gebot, zu akzeptieren, dass etwas außerhalb der persönlichen Kontrolle liegt. Das jedoch ist eine der schwersten Aufgaben für Manager.

Warum?
Menschen leisten Widerstand gegenüber Veränderungen. Will man etwas verändern, muss man in seinem Inneren damit anfangen. Und da liegt das Problem. Manchmal geht es darum zu akzeptieren, dass man etwas nicht beeinflussen oder kontrollieren kann, sondern sich den Entwicklungen stets anpassen muss und das Beste geben, das unter diesen Umständen eben möglich ist. Und das fällt speziell Managern sehr schwer, da sie darauf getrimmt sind, immer die Kontrolle haben zu wollen.

Wie lässt sich das Shaolin-Leitbild des geistigen Kriegers, der erkannt hat, dass der wahre Kampf des Menschen also in seinem Inneren stattfindet, auf moderne Manager übertragen?
Es lohnt sich zum Beispiel nicht, lange nach Fehlern zu suchen und damit unnötige Energie zu verschwenden. Es ist besser, das eigene Potenzial und das der Mitarbeiter zu heben.

Und wie geht das?
Der Shaolin-Manager hinterfragt zum Beispiel regelmäßig, ob er seine Schwerpunkte auch tatsächlich so setzen möchte, wie er sie setzt. Oder ob es die Möglichkeit gäbe, etwas anders zu machen, um seine Ressourcen und die seiner Mitarbeiter effektiver zu nutzen. Er stellt sich jeden Morgen und Abend die entscheidende Frage: Fühle ich mich leer oder voll?

Wieso denn das?
Wer sich schon nach dem Aufstehen „leer“, also kraftlos, angespannt oder aggressionsgeladen fühlt, kann nicht wirksam führen. Und wer mit diesem Gefühl seinen Tag beendet, geht trotz vieler Arbeitsstunden mit dem Eindruck zu Bett, wenig bewirkt oder nur sklavisch seine Pflicht getan zu haben. Ein unruhiger und überlasteter Geist kann weder achtsam noch leidenschaftlich oder fokussiert sein. Langfristig zufriedenstellender Erfolg ist aber nur dann möglich, wenn alle drei Faktoren – Körper, Geist und Spirit – im Gleichgewicht sind.

Mal angenommen, ein Manager erreicht diese persönliche Ausgeglichenheit. Ist er dann automatisch auch eine gute Führungskraft?
Nein, das allein ist nicht genug. Wer es zu wahrer Meisterschaft als Führungskraft bringen will, muss seiner Organisation Orientierung geben und Tugenden kultivieren und vorleben. Fachlich versiert sind Mitarbeiter meist, aber in Zeiten des Wandels sind Vorbilder besonders wichtig.

Und das sagen Sie, obwohl ihre Kampftechniken ursprünglich dazu dienten zu töten.
Ja, die Kampfkunst ist für uns Shaolin Teil der täglichen Praxis. Aber wir kultivieren von Anfang an auch Tugenden wie Bescheidenheit, Respekt, Dankbarkeit und Mitgefühl. Die höchsten Shaolin-Meister zeichnen sich dadurch aus, dass sie tiefes Mitgefühl für die Sorgen, Ängste und Nöte ihrer Mitmenschen haben. Und sie bei ihrem Ringen darum, ihre Schwächen zu überwinden, unterstützen.

Und warum empfehlen Sie genau das auch Managern?
Weil sie nur dann wahre Gefolgschaft und damit dauerhaften Erfolg erzielen können.