Wenig Toleranz: Homosexualität kann im Ausland zum Risiko werden

26.11.2019
Risikomanagement

Schwul oder lesbisch zu sein ist im Jahr 2019 in Deutschland keine große Sache. Zwar haben auch hierzulande Homosexuelle mit Diskriminierungen in Job und Alltag zu kämpfen. Allerdings schützt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz die sexuelle Identität eines jeden.

Wenn Firmen homosexuelle Manager oder Angestellte ins Ausland entsenden, gelten jedoch andere Regeln. Ein Vertriebsexperte, der in den Arabischen Emiraten neue Märkte erschließt? Ein Ingenieur, der die saudische Regierung beraten soll? Oder ein Softwarespezialist, der einem pakistanischen Kunden weiterhilft? Für schwule oder lesbische Fach- und Führungskräfte kann das heikel werden.

In zwölf Ländern droht Homosexuellen die Todesstrafe

„Die Risiken sind beträchtlich“, sagt Stuart Cameron von der Uhlala-Gruppe, die sich seit mehr als zehn Jahren für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bi- oder Transsexuellen (LGBT) am Arbeitsplatz einsetzt. Bis heute ist die eingetragene Partnerschaft oder auch die Homo-Ehe in vielen Staaten ungültig. Etwa bei wichtigen deutschen Handelspartnern wie China, Indien oder Russland.

Doch damit nicht genug: In etwa 70 Ländern gibt es Gesetze gegen LGBT. In Myanmar können Schwule oder Lesben für öffentliches Händchenhalten lebenslänglich im Gefängnis landen. In zwölf Ländern, darunter der nächste Fußball-WM-Austragungsort Katar, aber auch im Iran oder den Vereinigten Arabischen Emiraten droht sogar die Todesstrafe. Im Sultanat Brunei in Südostasien wird noch gesteinigt.

Eine Orientierung – auch für Dienstreisende – bietet zum Beispiel der jährlich erscheinende „Gay Travel Index“ des Schwulen-Reiseportals „Spartacus“. Dort gelten derzeit Tschetschenien, Saudi-Arabien und Somalia als schwulenfeindlichste Regionen der Welt. „Die meisten deutschen Arbeitgeber haben keine Ahnung. Das Thema ‚sexuelle Orientierung und Identität‘ ist oftmals ein Tabu“, sagt Experte Cameron.

Ein Kniff, der mittlerweile häufig angewandt wird: Ausländer bringen ihre gleichgeschlechtlichen Lebenspartner als Köche, Kindermädchen oder Chauffeure mit. Ein weiterer Tipp: Arbeitet der Partner selbst nicht im Ausland, kann er sich als Student an einer örtlichen Uni einschreiben, um ein Bleiberecht zu erwirken.

25 Jahre ist es jetzt her, dass der Paragraf 175 aus dem Strafgesetzbuch ersatzlos gestrichen und Homosexualität in Deutschland legalisiert wurde, doch eine aktuelle Studie des Karrierenetzwerks LinkedIn unter LGBT zeigt große Zurückhaltung: 32 Prozent der Befragten gaben an, eher nicht oder überhaupt nicht offen am Arbeitsplatz mit ihrer Sexualität umzugehen.

Insgesamt sind etwa fünf bis zehn Prozent aller Beschäftigten in einem Betrieb homosexuell. Klar, es geht den Chef grundsätzlich nichts an, ob ein Mitarbeiter Männer mag oder eine Kollegin Frauen. Das ist Privatsache. Doch so manch einer hält sich aus gutem Grund bedeckt: 23 Prozent der Befragten haben nämlich schon am Arbeitsplatz Benachteiligung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung erlebt, waren also Zielscheibe für Schwulenwitze oder gar körperlicher Attacken ausgesetzt.

Zwölf Prozent der Umfrageteilnehmer erduldeten das sogar aktuell. Das Motto: „Bloß nicht unangenehm auffallen.“ Das gilt umso mehr, wenn Fach- oder Führungskräfte beruflich ins Ausland reisen: Bei einer internationalen Befragung des US-Marktforschers Wakefield Research in diesem Sommer gaben 97 Prozent der LGBT-Geschäftsreisenden an, die eigene sexuelle Identität auf Businesstrips verborgen zu haben. Insgesamt hatten 7850 Personen aus 22 Ländern an der Umfrage teilgenommen.

Beim eigenen Arbeitgeber mit offenen Karten spielen

In China ist Homosexualität mittlerweile keine Straftat mehr. Und es gibt dort auch keinen ausgeprägten Schwulenhass wie in Russland, der Türkei oder vielen arabischen Ländern. Soll es dienstlich in diese Regionen gehen, ist die gezielte Information des Arbeitgebers noch deutlich wichtiger.

LGBT-Personalexperte Cameron rät homosexuellen Fach- und Führungskräften vor Auslandsaufenthalten in konservativen Ländern: „Kein Risiko eingehen, sondern offen mit der privaten Situation umgehen und sich bei der Geschäftsführung oder einer Vertrauensperson im Unternehmen outen.“

Im Smartphone- und Social-Media-Zeitalter verschärft sich die Situation für Lesben und Schwule noch einmal. In einigen Ländern überwacht laut Auswärtigem Amt die Polizei Webseiten, mobile Dating-Apps oder andere Online-Treffpunkte. Die Sicherheitskräfte einiger Staaten wie Ägypten nehmen Lesben, Schwule, Bi- oder Transsexuelle sogar gezielt über Fake-Accounts ins Visier.

Zudem können öffentlich zur Schau gestellte Gesten gleichgeschlechtlicher Liebe, auch wenn sie von einem Ausländer ausgehen, Einheimische in Gefahr bringen – und auch deren Jobs und Familien gefährden.