Gefragte Wirtschaftsjuristen
Arbeitgeber benötigen mehr Juristen mit kaufmännischem Know-how. Beim klassischen Jura-Studium kommt das jedoch oft zu kurz. Immer mehr Unternehmen, allen voran Großkanzleien und Wirtschaftsprüfer, entdecken deshalb die Spezies des Diplom-Wirtschaftsjuristen für sich.
Marcus Busch hat, wovon viele Jura-Studenten träumen: einen hervorragend bezahlten Job in einer renommierten internationalen Wirtschaftskanzlei. Bei Lovells in München begleitet der 27-Jährige millionenschwere Immobilientransaktionen. Was Busch dagegen nicht hat, ist ein juristisches Staatsexamen. Stattdessen genügte im vergangenen Jahr sein Diplom in Wirtschaftsjura als Eintrittskarte bei einer der Top-Adressen des Rechtswesens. Mit 1600 Anwälten, davon über 300 in Deutschland, zählt Lovells zu den größten Wirtschaftskanzleien der Welt. Konzerne wie Hochtief, die Dresdner Bank oder der Flughafenbetreiber Fraport erteilten der Kanzlei bei großen Immobiliengeschäften bereits Mandate.
Diese hochkarätige Kundschaft darf Busch allerdings nicht persönlich beraten, geschweige denn vor Gericht vertreten. Beides ist in Deutschland exklusiv der Anwaltszunft und damit den Volljuristen vorbehalten. Denn ohne zweites Staatsexamen erhält niemand die Zulassung zum Rechtsanwalt. Auf der Liste der Lovells-Immobilienexperten taucht Busch deshalb auch nicht namentlich auf. Sein Part des so genannten Project Associate spielt im Hintergrund: Als interner Datenbeschaffer arbeitet der Diplom-Wirtschaftsjurist seinen Anwaltskollegen zu. „Wenn beispielsweise eine Fondsgesellschaft Immobilien mit einem Wert von mehr als zwei Milliarden Euro veräußert, zieht niemand die erforderlichen Verträge einfach so aus der Schublade“, erklärt er.
Damit Lovells solche Mega-Deals mit der gebotenen Sorgfalt auf juristische Fallstricke und Risiken überprüfen und für die Mandanten wasserdichte Verträge aushandeln kann, arbeitet sich Busch durch Berge von Akten, fordert Informationen an und kontrolliert, ob Absprachen von der Gegenseite termingerecht eingehalten werden. Alle vertragsrelevanten Daten stellt er seinen Kollegen in so genannten Datenräumen systematisch aufbereitet zur Verfügung: „Im Moment sitze ich zwischen 250 Aktenordnern – und das ist in diesem Fall nur die Hälfte“, beschreibt er seinen Beitrag zum Teamerfolg. Dass an der Uni auf seinem Stundenplan nicht nur Vertragsrecht, sondern zum Beispiel auch Rechnungswesen oder Bilanzanalyse standen, kommt ihm im Job sehr zugute.
Kunden erwarten Spitzenberatung
Umgekehrt erkennt er die überlegenen Rechtskenntnisse seiner Kollegen neidlos an: „Von einer Kanzlei wie Lovells erwarten die Kunden Spitzenberatung. Ein Anwalt muss hier sehr tief in Spezialgebieten drinstecken“, sagt er. Statt jahrelang Detailwissen für die Anwaltskarriere zu pauken, hat der Absolvent der Uni Lüneburg sich ganz bewusst für ein zügiges, praxisnahes und wirtschaftsorientiertes Studium entschieden. Den Mix aus Betriebswirschaftslehre, Arbeits- und internationalem Wirtschaftsrecht bewältigte er mit Top-Noten in neun Semestern. Zum Vergleich: Bis zum zweiten Staatsexamen benötigen Volljuristen in der Regel rund sieben Jahre.
Nur rund jeder fünfte schafft ein Vollbefriedigend oder eine bessere Note. Auch wenn die Jobofferten für juristisches Fachpersonal laut Personaldienstleister Adecco seit einigen Jahren wieder zulegen -2007 sogar um gut 25 Prozent -, ergattert längst nicht jeder der rund 10.000 JuraAbsolventen pro Jahr einen Topjob in einer angesehenen Wirtschaftskanzlei oder in der Rechtsabteilung eines großen Unternehmens.
Für eine juristische Sachbearbeiterstelle allerdings, im Vertragswesen einer Versicherung oder bei einem Inkassodienst, sind fünf Jahre Studium plus zwei Jahre Referendariat plus mehrere Tausend Euro für Studiengebühren und Repetitorien eine überdimensionierte Investition. Für eine alternative Karriere außerhalb des klassischen Rechtsbereichs wiederum, zum Beispiel als Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, fehlt Volljuristen meist schlicht das Wirtschaftswissen. Schneller, internationaler und eben auch wirtschaftskompatibler soll die deutsche Juristen-Ausbildung insgesamt werden, fordert deshalb die Politik: Die deutschen Landesjustizminister befürworten mehrheitlich eine Umstellung des Jura-Studiums auf das zweistufige Master- und Bachelor-System, wie es Europas Bildungsminister für Diplom- und Magister-Studiengänge bis spätestens 2010 nach dem so genannten Bologna-Prozess vorsehen.
Berufsverbände und Hochschulvertreter wie der Deutsche Juristen-Fakultätentag möchten dagegen am Staatsexamen als Zugangsvoraussetzung für Rechtsberufe festhalten und zweifeln offen an der Jobqualifikation eines Bachelors, der nur sechs oder sieben Semester studiert hat. Während die offizielle Reform der Juristen-Ausbildung wegen dieser Uneinigkeit kaum vorankommt, stimmen die Studenten längst mit den Füßen ab. 75000 angehende Juristen streben derzeit das Staatsexamen an, das sind 15 Prozent weniger als noch vor fünf Jahren. Der Studiengang Wirtschaftsjura boomt dagegen, die Zahl der FH-Studenten hat sich im gleichen Zeitraum auf 7 300 mehr als verdoppelt. Rund 30 Fachhochschulen und inzwischen auch immer mehr Universitäten bieten Wirtschaftsrecht als Diplom- oder Bachelorstudiengang an; neben dem Vorreiter Lüneburg auch Augsburg, Dresden, Greifswald oder Saarbrücken.
Dazu kommen noch wirtschaftsnahe juristische Studiengänge mit branchenspezifischer oder regionaler Ausrichtung. So lässt sich beispielsweise IT-Recht in Düsseldorf, Hannover oder Mainz belegen oder German and Polish Law in Frankfurt an der Oder studieren. Zusammen mit den FH-Studenten peilen derzeit insgesamt rund 15.000 Studenten einen Bachelor oder Master of Law an einer deutschen Hochschule an.
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Stimmt die Chemie, winkt der Arbeitsvertrag
Die Wirtschaft ist gerade dabei, diese neue Absolventen-Spezies für sich zu entdecken. Lovells hat in den letzten 30 Monaten 20 Diplom-Wirtschaftsjuristen, darunter Marcus Busch, eingestellt. Weitere 19 arbeiten schon bei GleissLutz, andere Großkanzleien wie Clifford Chance oder Linklaters wollen ebenfalls die ersten Kandidaten einstellen.
„Wir machen sehr gute Erfahrungen mit der Beschäftigung von Wirtschaftsjuristen und freuen uns über jede qualifizierte Bewerbung“ sagt Doris-Maria Schuster. Sie ist bei GleissLutz in Frankfurt für die Einstellung von Personal verantwortlich. Egal, ob Voll- oder Diplomjurist: Alle Bewerber mit einer sehr guten Abschlussnote und sehr guten, im Ausland vertieften Englischkenntnissen werden von ihr zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Wenn dann noch die Chemie stimmt, winkt ein Vertragsangebot.
Hier enden dann allerdings die Gemeinsamkeiten der Bewerber mit klassischer Ausbildung und der Jobaspiranten der neuen Generation: Spitzen-Juristen, die zum doppelten Prädikatsexamen noch einen Mastertitel (L.L.M) und beziehungsweise oder eine wirtschaftsnahe Promotion mitbringen, bezahlen Großkanzleien annähernd sechsstellige Einstiegsgehälter. Logisch, dass diese hochbezahlten Junganwälte möglichst viel Zeit mit abrechenbaren Beratungsleistungen für Kunden verbringen sollen, statt sich im Büro durch Aktenstapel zu wühlen. Ohnehin sind 60-Stunden-Wochen in der Großkanzlei der Normalfall. Da auch noch die Unterlagen für einen Produkthaftungsprozess mit Hunderten von Geschädigten oder zu einem Unternehmenskonkurs mit Gläubigern rund um den Globus zu sichten, ist zeitlich kaum zu schaffen. „Dafür braucht man aber auch kein Zehn-Punkte-Examen“, weiß Christoph Hiltl, Partner und Personalverantwortlicher bei Lovells in München. Diesen Job erledigen neuerdings Busch und seine Kommilitonen. Außerdem feilen sie an Marketingkonzepten oder bereiten Präsentationen vor, mit denen sich Kanzleien um neue Mandate bewerben.
50.000 Euro brutto pro Jahr
Die Vorteile liegen auf der Hand: Diplom-Wirtschaftsjuristen sind jung – viele Absolventen sind noch keine 25 Jahre alt -, kennen sich mit Finanzen und Marketing aus und kosten ihren Arbeitgeber deutlich weniger als ein Volljurist. Lovells zahlt diesen Einsteigern rund 50.000 Euro brutto pro Jahr. Später können variable Bestandteile das Gehalt steigern. Sind die Mandanten zufrieden, partizipiert auch ein guter Project Associate oder Professional Support Lawyer, so die gängigen Jobtitel, an höheren Stundensätzen. Weiterbildungen der Kanzleien, etwa zu Präsentations- und Verhandlungstechnik, stehen ihnen genau wie ihren Anwaltskollegen offen. Der Weg in die Partnerschaft ist ihnen allerdings versperrt. Mit ein paar Jahren Berufserfahrung hätte Busch allenfalls Chancen, Leiter eines Supportteams zu werden.
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Gehaltsmäßig überflügelt er allerdings nicht nur die meisten seiner Kommilitonen, sondern kann auch mit vielen Volljuristen außerhalb der Großkanzleien locker mithalten. Denn sogar in großen Unternehmen verdient fast die Hälfte von ihnen weniger als Busch, zeigen die Daten der Hamburger Vergütungsberatung Personalmarkt. Mit Bachelor-Abschluss oder FH-Diplom knackt nicht einmal jeder vierte die 50.000-Euro-Einkommensmarke. „FH-Juristen müssen sich oft mit 35000 bis 40000 Euro im Jahr zufrieden geben“, bestätigt Olaf-Hendrik Szangolies.
Er ist Spezialist für den Bereich Legal & Investmentbanking beim Personalvermittler Michael Page in Frankfurt. Sogar für Volljuristen seien in kleineren Kanzleien oft nur 40000 bis 50000 Euro drin.
Wer Anwalt bei den Top-Adressen werden und gehaltsmäßig in der obersten Liga spielen will, sollte sich deshalb im Studium unbedingt auf ein wirtschaftsnahes Rechtsgebiet spezialisieren. Firmenkäufe und -fusionen sind das Hauptgeschäft der Großkanzleien. Entsprechend gefragt sind Experten für internationales Gesellschaftsrecht, aber auch Steuer-, Finanz- oder Kartellrecht. Fremdsprachen und Auslandsstationen, am besten ein im Ausland erworbener Master-Titel, zählen zum Pflichtprogramm ambitionierter Wirtschaftsjuristen. Als Kür empfiehlt sich die Teilnahme an einem internationalen Moot Court. Bei diesen simulierten Gerichtsprozessen verhandeln Studententeams aus aller Welt einen hypothetischen Fall und trainieren so neben ihren rhetorischen Fähigkeiten auch Prozessführung und Verhandlungstaktik. Amtssprache ist Englisch. In den USA schon lange fester Bestandteil der Juristen-Ausbildung etablieren sich Moot Courts zunehmend auch in Europa. Zu den größten und renommiertesten Wettbewerben auf demGebiet des Wirtschaftsrechts zählt der Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot, an dem jährlich rund 1 000 Studenten aus 50 Ländern teilnehmen. In der Jury und im Publikum sitzen die potenziellen Arbeitgeber der jungen Juristen.
„Die großen Kanzleien rekrutieren viel und konstant“, berichtet Arbeitsmarkt-Experte Szangolies. 50 bis 60 Neueinstellungen pro Jahr seien die Norm. Dafür sorgt nicht zuletzt die relativ hohe Fluktuation: Längst nicht jeder Neuzugang wird eines Tages Partner und die extreme Arbeitsbelastung, oft verbunden mit vielen Dienstreisen, ist auf Dauer nicht familienkompatibel.
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Nach einigen Jahren in der Großkanzlei wechseln deshalb viele in die Rechtsabteilung einer Bank oder Versicherung, oder werden Partner in einer kleineren Kanzlei. Finanziell bedeutet das zwar oft einen Rückschritt, dafür steigen aber die Chancen auf eine bessere Balance zwischen Privat- und Berufsleben. „Wir raten Absolventen, zunächst bei einer Wirtschaftskanzlei einzusteigen, weil der Weg ins Unternehmen zu jedem Zeitpunkt der Karriere offen steht“, bestätigt Bina Brünjes, Personalberaterin bei Hays Legal in Frankfurt.
Obwohl Unternehmen auf dem Jobmarkt viele berufserfahrene, wechselwillige Anwälte vorfinden, haben auch Einsteiger Chancen auf eine Anstellung in der Rechtsabteilung: „Was die Unternehmen hier beim Gehalt sparen, investieren sie stattdessen lieber in eine maßgeschneiderte Ausbildung“, erklärt Szangolies von Michael Page die Strategie seiner Kunden. Die Spezies der Diplom-Wirtschaftsjuristen kann allerdings noch längst nicht jeder Personaler richtig einordnen. „Ich habe drei Praktika gemacht und eine betreute Diplomarbeit geschrieben und musste mein Studienfach jedes Mal erst erklären“, hat Busch festgestellt. Sein Jobangebot von Lovells kam über einen persönlichen Kontakt von der Uni zustande. Hochschulen, die Wirtschaftsjuristen ausbilden, bemühen sich folgerichtig um einen guten Draht zu Kanzleien und Konzernen, vermitteln Praktika und Diplomarbeiten und pflegen den Kontakt zu ihren Ehemaligen. Durchaus mit Erfolg. „Firmen, die bereits Absolventen von uns beschäftigen, rufen regelmäßig hier an und wollen mehr“, freut sich etwa Thomas Schomerus, Professor der Universität Lüneburg. Besonders beliebt seien seine Studenten in der Energiebranche bei Unternehmen wie Eon Avacon, Statkraft oder Conergy.
Außerdem halten auch die großen Steuerberatungen und Wirtschaftsprüfer Ausschau nach den Newcomern. „Diplom-Wirtschaftsjuristen sind uns sehr willkommen“, bestätigt Bernhard Riester, Personalchef bei PricewaterhouseCoopers (PwC).
Von insgesamt etwa 2000 Wirtschaftsprüfern in Deutschland arbeitet rund die Hälfte bei PwC, bereits seit Einführung des Studiengangs Wirtschaftsjura Mitte der 90er-Jahre beschäftigt das Unternehmen Studenten und Absolventen dieser vergleichsweise jungen Fachrichtung.
Auch bei Deloitte, KPMG oder Ernst & Young weiß man die Kombination aus Jura und BWL sehr zu schätzen. Swetlana Moor hatte jedenfalls keine Probleme bei der Job-suche. Seit November 2007 arbeitet die 24-Jährige, die in Bremen internationales Steuer- und Wirtschaftsrecht studiert hat, bei Ernst & Young in Hamburg. „Eine Kommilitonin hat mir von der Arbeit hier vorgeschwärmt, daraufhin habe ich eine Initiativbewerbung geschickt“, verrät sie. Im Team Transaction Tax begleitet sie Unternehmenskäufe und -fusionen von der steuerlichen Seite und berät ihre Mandanten – durchweg weltbekannte Unternehmen -, wie sie am besten auf Gesetzesänderungen reagieren oder durch Umwandlungs- und Neustrukturierungsmaßnahmen Steuern sparen können.
Anders als in einer Anwaltskanzlei stehen der jungen Wirtschaftsjuristin, die fließend Englisch und Russisch spricht, bei Ernst & Young die gleichen Karrierechancen offen wie Wirtschaftswissenschaftlern oder Volljuristen. Auf mittlere Sicht kann sie bei guten Leistungen also Senior Managerin und später sogar Partnerin werden. Dass sie 2010 zum Steuerberaterexamen antreten wird, ist bereits Bestandteil ihrer Zielvereinbarung. Ein dreimonatiger Auslandseinsatz gilt als Karrierebeschleuniger und ist ebenfalls vorgesehen. Egal, ob sie bei Ernst & Young bleibt, zu einem Wettbewerber wechselt oder zu einem großen Unternehmen geht oder sich eines Tages als Steuerberaterin selbstständig macht – der Topjob ohne Staatsexamen ist ihr jedenfalls sicher.
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