Wie sexy ist die Deutsche Bahn?

Für den Wandel vom pfiffigen Staatskonzern zum angesagten Mobilitätsdienstleister braucht die Bahn Querdenker. Um sie zu ködern, will sie Deutschlands bester Arbeitgeber werden. Kann das klappen – bei den Problemen?

Kerstin Dämon, wiwo.de | 11.09.2018

Christoph Kraller ist Geschäftsführer der Südostbayernbahn, einem Regio-Netz der Deutschen Bahn. Zum Interview mit Wirtschaftswoche Online kam er nicht pünktlich – weil sein Zug Verspätung hatte. Zum Image der Deutschen Bahn passt das hervorragend: Dauerbaustellen, temporäre Sperrungen und die üblichen Signalstörungen bei alljährlicher Preiserhöhung sorgen für Frust bei den Fahrgästen.

Die Krisenkommunikation des Konzerns – Stichwort Xavier – könnte deutlich besser sein und viele Firmenkunden sind sauer auf die Güterbahn. Selbst DB Cargo-Chef Jürgen Wilder hat auf das Unternehmen keine Lust mehr und pfeift auf die Vorstandskandidatur.

Immer wieder buttert der Bund Geld in seinen ehemaligen Konzern, damit der von seinen 18 Milliarden Euro Schulden runter kommt: Ende 2016 gab es 2,4 Milliarden Euro von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), ab dem nächsten Jahr will er der Bahn 350 Millionen Euro Schienenmaut für Güterzüge erlassen.

Ein attraktiver Arbeitgeber

Trotzdem gehört die Deutsche Bahn bei Schülern und Hochschulabsolventen zu den beliebtesten Arbeitgebern in Deutschland, wie die alljährlichen Befragungen des Marktforschungsunternehmens Trendence zur Arbeitgeberattraktivität belegen.

„Wir fragen Schüler und Hochschulabsolventen, wer ihr Wunscharbeitergeber ist und wie sie Kampagnen von Unternehmen wahrnehmen“, fasst Annekatrin Buhl von Trendence die Methodik zusammen. Sprich: Rund 52.000 junge Menschen werden jedes Jahr gefragt, bei welchem Unternehmen sie am liebsten arbeiten möchten.

Bei den Kampagnen ist die Deutsche Bahn sehr umtriebig. „Kein Job wie jeder andere“, die sich an Schüler und Studenten richtete, fand vorwiegend über Social Media statt, über „Wir helfen Eltern zu helfen“, band der Konzern die Eltern potentieller Azubis ein und für Ingenieure organisierte die Bahn die „Backstage DB“-Events bei denen sich Interessierte per Virtual Reality-Brille verschiedene Berufsbilder anschauen konnten. Außerdem gibt es einen „Women&Experience Day“, der sich speziell an junge Frauen richtet. Das zahlt sich aus.

Durch Recruiting-Kampagnen das Image aufpoliert

In diesem Jahr bekam die Deutsche Bahn den „Trendence Employer Branding Award“ in gleich drei Kategorien: Platz 1 in der Kategorie „Schüler“ für die Kommunikation auf Augenhöhe, Platz 2 in der Kategorie „Employer Branding Innovation des Jahres“ für die mehrsprachige Einbeziehung der Eltern in die Berufswahl ihrer Kinder und der dritte Platz in der Kategorie „Diversity“ für die Bemühungen, Mädchen und Frauen für technische Berufe zu begeistern. „Seitdem sich die Bahn so engagiert um neue Mitarbeiter bemüht, passiert beim Image einiges. Es wirkt tatsächlich, was die Deutsche Bahn da macht“, sagt Buhn.

Große Streikwellen bei der Bahn, wie sie beispielsweise vor zwei Jahren den Verkehr lahm legten, schaden laut Buhn dem Arbeitgeberimage. „Aber mittlerweile ist davon nichts mehr zu spüren.“ Konzerninterne Querelen sind den Bewerbern dagegen offensichtlich egal.

Übrigens: Die Deutsche Bahn ist eine Fair Company.

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Dieses Jahr liegt die Bahn bei den jungen Wirtschaftswissenschaftlern auf Platz 38 der 100 attraktivsten Arbeitgeber, 2016 war es Platz 52 und im Streikjahr 2015 Rang 47. Für Ingenieure und IT-Experten wird die Bahn laut der Trendence-Befragung der vergangenen Jahre immer attraktiver. 3,1 Prozent der 2017 befragten Ingenieure wollen bei der Bahn arbeiten, das reicht für Platz 13. Unter den Informatikern & Co. waren es 2,3 Prozent. Das entspricht Platz 32. Insgesamt – also über alle Fächergruppen und Altersstufen hinweg – schafft es die Bahn auf Platz 16 der beliebtesten 100 deutschen Arbeitgeber. Und hat sich vorgenommen, bis 2020 die Nummer eins zu werden, wie es im jüngsten Geschäftsbericht der Deutsche Bahn heißt.

Einer der größten Ausbilder Deutschlands

Allein in diesem Jahr stellt die Deutsche Bahn 3.700 Azubis ein. 2016 lernten bei dem Konzern mehr als 11.000 Auszubildende, duale Studenten und „Chance plus“-Teilnehmer, die zum Beispiel keinen Schulabschluss haben oder Flüchtlinge sind. 92 Prozent, also 10.120 der Lehrlinge und Studenten werden übernommen. Damit ist der Konzern einer der größten Ausbilder in Deutschland. Trotzdem reicht das nicht. Die Bahn braucht jedes Jahr 8000 neue Mitarbeiter. Gesucht werden insbesondere Ingenieure, Lokführer, IT-Experten, Fahrdienstleiter oder Elektroniker. Ende April ist deshalb die neue Arbeitgeberkampagne „Willkommen, Du passt zu uns“ gestartet. Wie die sich auf Bewerberzahlen auswirkt, lässt sich natürlich erst nächstes Jahr nachvollziehen. Der Konzern wirbt allerdings nicht nur nach Außen um Fachkräfte. Auch im Inneren tut sich einiges. Bei Krallers Südostbayernbahn arbeiten viele Mitarbeiter selbstbestimmt. Und das auch im operativen Geschäft.

Er gibt ein Beispiel: „Die Mitarbeiter, die sich um die Entstörungen und Instandhaltung kümmern, sind früher morgens früh zur Arbeit gekommen, haben ihre Aufträge für den Tag abgeholt und sind losgefahren. Heute bekommen sie ein Paket mit Aufträgen und können sich selber einteilen, wann sie welchen Bahnübergang kontrollieren“, sagt Kraller. Taucht eine Störung auf, werden die Kollegen natürlich weiterhin angefunkt und zu der entsprechenden Anlange beordert. Einen regulären Arbeitstag können sich die Mitarbeiter aber selbst einteilen. „Es hat doch wenig Sinn, den Kollegen vorzuschreiben, bei strömendem Regen eine Anlage zu warten, die nicht überdacht ist. Wenn die sich das flexibel über die Woche einteilen und ihre Touren planen können, ist das doch viel sinnvoller. Das merken wir auch bei der Produktivität“, begründet Kraller die Entscheidung.

Auch die Mitarbeiter im Reisebüro am Bahnhof Mühldorf können sich ihre Arbeit selber einteilen. Die Arbeitszeiten seien zwar festgelegt, aber wer im Reisebüro welche Aufgabe übernimmt, können die Kollegen sehr wohl selbst entscheiden.

Zeit, Kommunikation und starke Nerven

Für die Mitarbeiter bedeutet das: mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung. Das gefalle nicht jedem. Auch für die Führungskräfte sei das neue Arbeiten sehr anstrengend, gibt Kraller zu. „Wenn ich etwas ändern möchte – zum Beispiel, dass sich die Kollegen aus dem Reisebüro auch um die Mobilitätshilfen für Rollstuhlfahrer kümmern – kann ich das nicht mehr anordnen. Ich muss es in die Abstimmung geben.“ Wenn es schlecht läuft für ihn, sagen die Kollegen dann „Nein.“

Deshalb brauche dieses Arbeitsmodell Zeit, Kommunikation – und starke Nerven, bis es rund läuft. „Wir haben am Anfang viele Fehler gemacht. Wir haben zum Beispiel nicht zu Beginn als Rahmenbedingung festgelegt, dass die Fahrgäste immer an erster Stelle stehen müssen“, sagt Kraller. „Wenn das nicht klar geregelt ist, werden Sie bei einer Abstimmung zum Thema Mehrarbeit den Kürzeren ziehen. Solche Dinge mussten wir lernen.“ Trotzdem: Für die 60 Mitarbeiter des Regionalnetzwerkes, die selbstorganisiert arbeiten, sei es eine große Verbesserung. Gerne möchte Kraller die Arbeitsweise auf so viele Mitarbeiter wie möglich ausweiten. Für alle könne und werde agiles Arbeiten aber nicht funktionieren. „Bei uns gibt es rund 200 Lokführer. Da ist sehr klar geregelt, was die wann zu tun haben“, sagt er. Diese Kollegen könnten eventuell flexiblere Schichtpläne bekommen oder die Urlaubsplanung selbst organisieren.

Bei der DB Systel, der IT-Tochter der Bahn, arbeitet viele Teams möglichst selbstorganisiert, wie Marcus Gemeinder erzählt. Er ist seit mehr als zehn Jahren als Projekt- und Programmleiter im Bahnkonzern tätig, heute ist er für das agile Arbeiten bei der Systel zuständig. „Es geht heute bei uns um Selbstorganisation, um kurze Entscheidungswege, Verantwortungsübernahme und damit letztlich mehr Flexibilität und Geschwindigkeit. Früher haben wir Entscheidungen immer weit nach oben durchgereicht, das dauert viel zu lange“, sagt er. Methoden wie Scrum oder Kanban spielen bei der Arbeitsweise dagegen eine nachgelagerte Rolle, wie er sagt.

Transformation ist noch nicht vollständig abgeschlossen

„Scrum passt nicht überall hin. Da legt man ja zu Beginn eines ein- bis vierwöchigen Sprints fest, womit man sich beschäftigen wird. Wenn jetzt aber am zweiten Tag eines Sprints der CIO eines Kunden anruft und sagt: es gibt da ein Problem, das dringend gelöst werden muss können wir das ja schlecht ins Backlog schreiben und sagen: Wir kümmern uns vielleicht in drei Wochen darum.“ Allgemein hält er wenig davon, sich beim Arbeiten auf Methoden zu fixieren. Gerade, da jedes Team andere Herausforderungen habe, könne es nicht eine Methode für alle geben. „Sonst heißt die Arbeitsweise nachher vielleicht anders, aber man steht sich mit den gleichen starren Strukturen weiter selbst im Weg.“ 

Bei Bewerbern zieht das, wie auch die Auswertung der Marktforscher von Trendence belegt. Bei den Entwicklern und sonstigen Computerexperten hat die Deutsche Bahn als Arbeitgeber in den vergangenen Jahren an Attraktivität stark zugenommen. 2017 belegte die Bahn bei den IT-Experten Platz 28 von 100 Unternehmen. „Wir bekommen sehr gute Bewerber“, bestätigt Gemeinder. „Wir sind auch in der Szene bekannt dafür, dass wir nicht nur in einzelnen Projekten agil arbeiten, sondern unsere gesamte Organisation transformieren.“ Noch sei allerdings kein Team komplett in die neue Arbeitswelt transformiert. Dann nämlich soll es keine klassischen Führungskräfte mehr geben, sondern nur noch Rollen: Der Product Owner, der bestimmt, was gemacht werden soll, das Team, das bestimmt, wie es die Aufgabe umsetzt und der Agility Master, der das Team und die Mitarbeiter in ihrer Arbeit unterstützt und sich beispielsweise um individuelle Weiterbildung kümmert.

Der Umsetzung dieses Ziels stehen die Konzernregularien im Weg. „Das geht ja schon bei der Stellenbewertung los. Was verdient denn ein Agility Master im Vergleich zu einem Abteilungsleiter? So was will auch der Betriebsrat wissen. Noch haben wir da nicht für jede Frage eine formal saubere Antwort“, sagt Gemeinder. Aber man arbeite daran.

Die Unterstützung der Mitarbeiter dürfte er haben. Denn das Gros findet die veränderte Arbeitswelt offenbar gut, wie die jüngsten Mitarbeiterbefragung durch die Marktforscher der GfK zeigt, an der mehr als 194.000 Bahner teilgenommen haben. Insgesamt gaben 67 Prozent an, dass sie mit dem Job zufrieden sind, 63 Prozent sind es mit der Bahn als Arbeitgeber. Zwölf Prozent sagten, sie seien unzufrieden. Zum Vergleich: Deutschlandweit sagen im Schnitt 15 Prozent der Mitarbeiter, dass sie eine hohe Bindung zu ihrem Job beziehungsweise Arbeitgeber haben.

Maximale Automatisierung im Güterverkehr

Im Februar eröffnete außerdem in Frankfurt das digitale Lab „amspire“ im „House of Logistics & Mobility“. Dort arbeiten rund 50 Data Scientisten, Entwickler und Querdenker gemeinsam mit Logistikexperten an Automatisierungs- und Digitalprojekten im Güterverkehr der DB Cargo. Was dort passiert, hat wenig mit Güterzügen, Fahrplänen und Rangierbahnhöfen zu tun, sondern mehr mit Automatisierung, Sensortechnik und Predictive Analytics, also Vorhersagen, wann eine Lok in die Werkstatt muss und was kaputt sein könnte. Der Rangierbetrieb läuft schon automatisiert. In den nächsten drei bis vier Jahren sollen Züge überall automatisiert Fahren.

50 bis 60 verschiedene Sensorwerte gibt jede der rund 3000 Loks von sich. Die Daten dieser Triebfahrzeuge laufen in einer Plattform zusammen, auf die Mitarbeiter in der Werkstatt, der Produktion, Technik, im Kundenkontakt und der Planung zugreifen sollen. Die Plattform betreibt die Cargo selbst. „Wir können schlecht die Daten aller unserer Fahrzeuge über einen Hersteller – zum Beispiel durch Siemens – sammeln und verwalten lassen. Deshalb laufen diese Fahrzeugdaten bei uns zusammen und werden dort mit betrieblichen Daten korreliert und für Analysen und Anwendungsfälle bereitgestellt“, sagt Fabian Stöffler, Vice President Asset Digitization bei DB Cargo. So richtig rund läuft das allerdings noch nicht.

Transformierungswille der Bahn zieht Bewerber an

Der Kupferproduzent Aurubis beklagte sich gegenüber der WirtschaftsWoche, dass die Cargo ihnen die bestellten Waggons zwar zur Verfügung stellt – aber leider viel zu spät. Auch das Stahlwerk Thüringen und der Stahlkonzern Salzgitter beschwerten sich über Verspätungen und hohen Organisationsaufwand. Aurubis sei zum Teil auf Lastwagen umgestiegen, um seine Güter zu transportieren, die Situation sei „unbefriedigend“. Bei Salzgitter habe man „verstärkt mit Wettbewerbern der Deutschen Bahn und Lkw-Versand“ gearbeitet. Die Unzufriedenheit und Unzuverlässigkeit schlägt sich im Ergebnis der Bahnsparte nieder: DB Cargo ist seit Jahren ein Sanierungsfall. Zwar lag der Umsatz im ersten Halbjahr 2017 bei 2,3 Milliarden Euro, trotzdem macht DB Cargo weiter hohe Verluste. Hier schlägt zudem die monatelange Sperrung der Rheintalstrecke ins Kontor. Bisherige Sanierungskonzepte scheiterten.

Für Fachkräfte ist die Cargo trotzdem ein attraktiver Arbeitgeber, wie Stöffler sagt. Das Lab suche allerdings keine klassischen Eisenbahner, sondern Leute, die die Eisenbahn transformieren wollen. Die findet die Cargo auch, so Stöffler. „Wir haben Erfolg bei Bewerbern. Tatsächlich bekommen wir auch Leute aus namhaften IT-Unternehmen, die bei uns arbeiten wollen, um die Veränderungen mit zu gestalten.“ Denn auch hier gehen neue IT-Projekte mit einer veränderten Arbeitsweise einher. „Anstatt nur mit neuen Systemen zu arbeiten, binden wir die Mitarbeiter eng ein und fragen ganz gezielt auch: Wie stellt ihr euch die Veränderung eures Arbeitsplatzes vor?“, sagt Stöffler.

Auf dem Weg zu Deutschlands beliebtestem Arbeitgeber?

Tiefrote Zahlen, teure neue Labs, IT-Projekte und Thinktanks – im Controlling dürfte die Cargo trotz aller Begeisterung der Mitarbeiter für Kopfschmerzen sorgen. „Neuentwicklungen bei der IT sind grundsätzlich erst mal Kostentreiber“, räumt Stöffler ein. Deshalb sei es so wichtig, den Mehrwert sichtbar zu machen. Den sieht er unter anderem darin, die Arbeitsvorbereitung verbessert werde, weil die Werkstatt weiß, welche Teile sie vorbestellen muss, bevor der Zug dort ankomme. Der könne dann schneller repariert und dem Kunden schnell wieder zur Verfügung gestellt werden. Außerdem lassen sich die Daten vielfältig monetarisieren, wie Stöffler sagt. „Wir können uns schon vorstellen, die Informationen, die wir von unseren Loks bekommen, an Infrastrukturbetriebe zu verkaufen. Noch ist das aber nur eine Idee.“

Informationen zum Ladegut werden bereits verkauft, aber auch bei Lärmdaten wäre das künftig denkbar. Ob die Bahn damit ihr Ziel erreicht, 2020 Deutschlands beliebtester Arbeitgeber zu werden? Stöffler hält die Chancen für gut. Er sagt: „Es war noch nie so sexy, bei der Deutschen Bahn zu arbeiten, wie heute.“