Erfolgreich ohne Prädikatsexamen

Viele Juristen haben kein Prädikatsexamen – und somit keine Chance als Richter oder Syndikus. Ein Ausweg ist, eine eigene Kanzlei zu gründen. Der Weg enthält viele Unwägbarkeiten und erfordert Mut. Erfolgreich ist dabei nur, wer strategisch vorgeht.

Julia Groth, Christoph Hus, Sarah Löhr | 11.09.2018

Veronica Pütz ist wählerisch. Wenn sie einen neuen Fall auf den Tisch bekommt, macht sie sich nicht gleich an die Arbeit, sondern überlegt kurz, ob sie ihn annehmen soll. Ist sie unsicher, gibt sie ihn ab – an ihre Bürokollegin, eine Generalistin, oder an einen anderen Anwalt.

Dass sie freiwillig auf Umsatz verzichtet, ist nicht selbstverständlich. Die 34-Jährige hat sich erst vor zwei Jahren in Wiesbaden selbstständig gemacht, und Jungjuristen sind nicht gerade rar auf dem deutschen Markt. Vor allem an Anwälten ohne Prädikatsexamen mangelt es nicht – und zu denen zählt Veronica Pütz. Die Konkurrenz ist also groß. Warum sie trotzdem nicht jeden Mandanten annimmt?

„Ich habe mich spezialisiert und erarbeite mir mit der Zeit einen Ruf als Steuerrechtlerin“, sagt sie. Fälle anderer Rechtsgebiete würden ihr Profil, das sie durch einen Fachanwaltstitel geschärft hat, nur verwässern. Mittel- und langfristig zahle sich diese Strategie aus, sagt sie. „Die Kollegen revanchieren sich, indem sie Mandanten mit Steuerrechtsproblemen an mich verweisen.“ Die ersten Steuerberater haben Veronica Pütz auch schon empfohlen.

Ohne Prädikatsexamen ist der Arbeitsmarkt eng

Die Zahl der Juristen ohne Prädikatsexamen ist groß. Nach Zahlen der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) gelingt es nicht mal jedem fünften Absolventen, das Studium mit der begehrten Auszeichnung abzuschließen. Der große Rest hat das Nachsehen. Denn ohne die Auszeichnung ist es nahezu unmöglich, eine Anstellung bei einer renommierten Kanzlei, in der Rechtsabteilung eines großen Unternehmens oder im Staatsdienst zu bekommen. Die Alternative, eine eigene Kanzlei zu gründen, erscheint vielen wenig attraktiv. Allein im laufenden Jahr wurden schon 3500 Anwälte zugelassen.

Dass es klappen kann, vor allem wenn man sich spezialisiert, beweist auch Sabrina Buelli, 30. In ihrer Rechtsanwaltskanzlei ABHR in der Kölner Innenstadt sieht alles nagelneu aus. Moderne Bilder an den Wänden, die Möbel hell und sparsam verteilt. Keine Spur vom altväterlichen Charme, den man von Anwälten erwartet. Die Mitbegründerin passt gut in dieses Büro, sie wirkt selbstsicher und vertrauenswürdig. Dabei schienen ihre Startchancen nicht die besten zu sein: Auch sie stand nach ihrem Studium an der Uni Köln ohne Prädikatsexamen da.

Kontakte knüpfen ist wichtig

Doch davon ließ sie sich nicht entmutigen und besann sich auf ihre Stärken. Erstens: Sie spricht fließend Italienisch. Das unterscheidet sie von der Masse der Junganwälte, die allenfalls Englisch beherrschen. Und zweitens: Sie knüpfte Kontakte. Während ihres Referendariats lernte sie am Landgericht Aachen zwei Juristen und eine Juristin in ihrem Alter kennen, die ebenfalls aus Köln kamen und auf der Suche nach einer Antwort waren, was sie mit ihrem Abschluss anfangen sollten.

Aus der Bekanntschaft wurde erst eine Fahrgemeinschaft, dann Freundschaft – und schließlich eine zu viert geführte Rechtsanwaltskanzlei. „Das Gesamtpaket hat gepasst“, sagt Buelli heute über ihre Entscheidung, gemeinsam mit den Freunden den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. „Allein hätte ich mich das nicht getraut. Es wäre mir viel zu riskant gewesen.“

Vor knapp vier Jahren nahmen Buelli und ihre Kollegen den Kanzleibetrieb in Form einer klassischen Sozietät auf. Starthilfe bekamen sie von einem Gründerberater, der einen Businessplan erstellte und ihnen damit half, einen Bankkredit zu bekommen. Ein Jahr später warf die Kanzlei bereits Gewinn ab. „Wir hatten nie Angst, die Miete nicht zahlen zu können“, sagt Sabrina Buelli, die sich auf Familienrecht und Strafrecht spezialisiert hat.

Das Erfolgsrezept ist die Spezialisierung

Der Erfolg rührt ihrer Ansicht nach daher, dass sie und ihre Kollegen eine Nische besetzen: Jeder von ihnen spricht eine Fremdsprache fließend, so dass sie ihre Dienste auch auf Italienisch, Spanisch, Russisch und Persisch anbieten können. Insbesondere für Rechtsberatung auf Persisch und Russisch gibt es in Köln eine große Nachfrage. „Das hat eingeschlagen wie eine Bombe“, sagt Buelli. Heute zahlt sie sich vom Firmenkonto monatlich 2500 bis 3000 Euro Gehalt. „Als angestellte Anwältin zu arbeiten, kann ich mir nicht mehr vorstellen.“

Buellis Bilanz ist umso erstaunlicher, als dass es in der Wirtschaftskrise selbst für Prädikatsabsolventen schwieriger geworden ist, sich durchzusetzen; sie bieten ihre Dienste zum Teil ebenfalls in eigenen Kanzleien an. Gab es im vergangenen Jahr noch gut 1800 offene Stellen für Juristen, sind es in diesem Jahr nur noch rund 1430 (siehe Grafik). Beispiel Großkanzleien: „In den vergangenen Monaten ist das Geschäft mit Unternehmensverkäufen und Finanzierungen eingebrochen“, sagt Matthias Grey, Partner der Personalberatung PSPP in Königstein. „Die Kanzleien haben deshalb einen deutlich geringeren Personalbedarf als in den Jahren zuvor.“ Das Gleiche gelte für die juristischen Abteilungen von Unternehmen. Allenfalls mittelständische Anwaltskanzleien suchten noch im großen Stil neue Mitarbeiter. „Viele Arbeitgeber warten erst einmal ab, wie sich das Geschäft entwickelt“, sagt der Personalberater. „Vorher stellen sie kaum ein.“

Großkanzleien sind der Wunscharbeitsgeber

Das gilt auch für die beliebtesten Arbeitgeber von Juristen. Auf Platz eins rangiert das Auswärtige Amt. Danach folgen gleich mehrere Großkanzleien: Freshfields Bruckhaus Deringer, Hengeler Mueller, Gleiss Lutz, Clifford Chance und CMS Hasche Sigle. Fast genauso beliebt sind die Deutsche Lufthansa und McKinsey, ein Dax-Konzern und ein Beratungsunternehmen also. Dass so viele Großkanzleien zu den beliebtesten Arbeitgebern zählen, ist kein Wunder. Schließlich gilt dieser Karriereweg für die größte Gruppe der Juristen als äußerst erstrebenswert: Knapp 39 Prozent der Absolventen wollen ihre Laufbahn bei einer Großkanzlei beginnen, hat das Marktforschungsinstitut Trendence herausgefunden.

Wer trotz der Krise einen Job bei einem seiner Wunscharbeitgeber ergattern will, muss bitteschön einen brillanten Abschluss vorweisen. So sucht beispielsweise Daniela Favoccia, Partnerin der Wirtschaftskanzlei Hengeler Mueller, junge Juristen, „die besondere Ansprüche an sich selbst stellen“. Und erklärt: „Das wird sich in aller Regel in Prädikatsexamen niedergeschlagen haben.“ Auch Promotionen oder ein Studium im englischsprachigen Ausland sind bei der Top-Kanzlei gern gesehen, die rund 250 Mitarbeiter an Standorten wie Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, München, Brüssel und London beschäftigt.

Wer es zu Hengeler Mueller geschafft hat, darf mit einem schnellen Aufstieg rechnen. „Eineinhalb Jahre nach dem Einstieg wird über die Aufnahme des Namens in den Briefkopf entschieden“, sagt Favoccia. „Nach drei Jahren steht die Ernennung zum Senior Associate an.“ Außerdem können sich schon Kanzleineulinge über ein Gehalt von 100000 Euro im Jahr freuen – eine Summe, die weit über den 65400 Euro liegt, die mittelgroße Kanzleien Berufseinsteigern durchschnittlich zahlen.

Hohe Ansprüche an ihre Juristen haben auch große Aktiengesellschaften. So stellt zum Beispiel der Rückversicherer Munich Re nur fünf bis zehn Jura-Absolventen pro Jahr ein, die in der Rechts-, Personal- oder Finanzabteilung zum Einsatz kommen. Das Wunschprofil: hervorragende Abschlussnoten, Auslandssemester, sehr gute Kenntnisse in Englisch und am besten noch einer weiteren Fremdsprache. „Internationalität ist bei unserem weltweiten Geschäft natürlich ganz besonders relevant“, sagt Personalchef Peter Seemann. Praktika in der Versicherungs- oder Rückversicherungsbranche gelten ebenfalls als Plus.

Kaum Chancen ohne Top-Examen

Auch mittelständische Unternehmen schauen zuerst auf die Examensnoten, wenn sie Juristen einstellen wollen. So ist Michael Steinbach, junger Syndikusanwalt beim Autozulieferer Brose in Coburg, überzeugt: Ohne seine zwei Prädikatsexamen hätte er den Job auf keinen Fall bekommen.

Wer kein Top-Examen hat, braucht oft auch erst gar nicht zu versuchen, Staatsanwalt oder Richter zu werden. „Für den höheren Justizdienst kann sich bei uns bewerben, wer beide juristische Staatsprüfungen mindestens mit der Note Vollbefriedigend bestanden hat“, erklärt Staatssekretärin Gabriele Hauser vom Sächsischen Staatsministerium der Justiz. Und ist stolz darauf, in diesem Jahr viele Bewerber eingestellt zu haben, die im Zweiten Staatsexamen sogar die Note Gut geschafft haben. Das gelingt nur etwa zwei Prozent der Absolventen.

Viele Absolventen wollen in den Staatsdienst

Wer dazu zählt, kann im Staatsdienst mitunter eine Menge erleben. Yvonne Lask weiß das: Die 28-jährige Staatsanwältin geht regelmäßig zusammen mit der Polizei zu Haus- oder Wohnungsdurchsuchungen. Und hat dabei immer ein Gesetzesbuch unterm Arm. So fühlt sie sich sicherer, weil sie schnell mal Paragrafen nachschlagen kann.

Obwohl Juristen ohne Prädikatsexamen viele Wege versperrt sind, zahlt sich das Studium für viele trotzdem aus. Kanzleigründerin Sabrina Buelli hat rasch bemerkt, wie viel Spaß es macht, sein eigener Chef zu sein. Zumindest wenn man sich darauf einlässt, erst einmal sehr wenig zu verdienen – Gründer einer Sozietät machen laut BRAK im zweiten Jahr durchschnittlich nur 2376 Euro Gewinn. Zum Leben ist das viel zu wenig.

Um in den Anfangsjahren nicht zu verhungern und die Kanzlei schnell rentabel zu machen, ist es wichtig, den Weg in die Selbstständigkeit gut vorzubereiten. „Wer eine Kanzlei gründen will, sollte das mit Bedacht tun, denn das wirtschaftliche Risiko ist groß – zum Beispiel wegen der scharfen Konkurrenz“, sagt Silke Waterschek, Vorsitzende des Forums Junge Anwaltschaft im Deutschen Anwaltverein (DAV).

Die gewählte Rechtsform entscheidet mit über den Erfolg

Zunächst müssen angehende Anwälte entscheiden, welche Rechtsform ihre Kanzlei haben soll: Gründet man mit Partnern und will sich das wirtschaftliche Risiko teilen, bietet sich eine klassische Sozietät an. Alternative ist eine Bürogemeinschaft, in der Anwälte zwar gemeinsam arbeiten, aber keine finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Kollegen eingehen. Hier arbeitet jeder auf eigene Rechnung, die Kosten für Miete und Einrichtung teilen sich alle. Wer nicht mit Kollegen zusammenarbeiten will, kann natürlich auch ganz allein ein Büro mieten.

Generell sollten Kanzleigründer eher extrovertierte Menschen sein, meint Thomas Degen, Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Stuttgart. Schließlich müssen sie oft eine wirtschaftlich schwierige Anlaufzeit meistern, ohne sich jeden zweiten Tag angenervt in ihrem Büro einzuschließen. Schüchterne Persönlichkeiten bringen nach Degens Erfahrung kaum die Ellbogenmentalität mit, die nötig ist, um sich gegen Konkurrenten durchzusetzen, Mandanten zu akquirieren und sich mit dem neuen Unternehmen schnell einen möglichst guten Platz im Markt zu erkämpfen.

Waterschek vom DAV rät angehenden Anwälten, zunächst einen Businessplan auszuarbeiten. Darin müssen Gründer strategische Fragen klären: Wollen sie ihre Kanzlei in einer Stadt oder auf dem Land eröffnen? Wie groß ist hier die Konkurrenz, und für welche Rechtsgebiete gibt es eine Nachfrage? „Wer zum Beispiel auf Patentrecht spezialisiert ist, sollte seine Kanzlei in einer Metropole eröffnen, weil er nur dort Mandanten finden wird“, sagt Waterschek.

Bei der Auswahl eines oder mehrerer Rechtsgebiete sollten sich Kanzleigründer aber nicht nur von der Nachfrage leiten lassen, sondern sich auch an den eigenen Interessen und Fähigkeiten orientieren, rät Waterschek. „Berät ein Anwalt in einem Rechtsgebiet, das ihm nicht liegt, merken die Mandanten das schnell – und suchen sich einen anderen.“

Teil des Businessplans ist auch ein Finanzplan. „Gründer sollten sich finanziell nicht überschätzen und zunächst so wenig Schulden machen wie möglich“, warnt Waterschek. So sollten sie bei Miete, Möbeln, Büromaterial und Software knausern und sich nicht zu schade sein, Preise zu vergleichen und nach Schnäppchen zu suchen. Auf diesem Weg können sie die monatlichen Belastungen aus einem Kredit senken.

Gründer brauchen einen professionellen Onlineauftritt

Übermäßiges Sparen kann jedoch auch schädlich sein. So sollten sich Gründer von Anfang an eine informative und seriös wirkende Website leisten. Denn im Internet nach einem Anwalt zu suchen, ist heute üblich. Wer hier nicht zu finden ist oder online keinen professionellen Eindruck erweckt, verliert potenzielle Mandanten. Ein guter erster Eindruck ist auch in der analogen Welt wichtig. Dabei helfen Marketinginstrumente wie ein unverwechselbares Logo, edel aussehende Visitenkarten und ein individuelles Briefpapier.

Wer als Gründer Erfolg haben will, braucht neben juristischem Sachverstand eben auch unternehmerisches Gespür. Doch in der Juristenausbildung lerne man das nicht, kritisiert Waterschek. Sie rät deshalb zum Besuch von Existenzgründerseminaren, wie sie zum Beispiel die Deutsche Anwaltakademie anbietet. Hier erfahren Junganwälte, welche Versicherungen sie brauchen, welche Haftungsrisiken sie eingehen, wie Kanzleimarketing und Netzwerke funktionieren und wie man bei Mandanten einen professionellen Eindruck hinterlässt.

Unternehmerisches Denken musste sich auch Steueranwältin Veronica Pütz aus Wiesbaden erst aneignen. Ihre eigene Kanzlei läuft inzwischen nur deshalb gut, weil sie vor der Gründung zunächst drei Jahre lang als Angestellte arbeitete und währenddessen mehrere Dutzend Steuerfälle bearbeitete. Diese praktische Erfahrung ist die Voraussetzung für die Fachanwaltsprüfung, die sie später ablegte.

Die Spezialisierung auf ein Rechtsgebiet mit entsprechendem Titel zahlt sich zumeist aus. Juristen ohne einen solchen Abschluss verdienen im Durchschnitt einen Stundensatz von 174 Euro. Fachanwälte hingegen berechnen Mandanten, laut Soldan-Institut durchschnittlich 194 Euro pro Stunde. Manche Rechtsgebiete sind besonders lukrativ, etwa Erb-, Insolvenz- und Verwaltungsrecht.

Einfluss auf die Höhe der Honorare hat auch der Kanzleityp. Anwälte, die allein arbeiten, verdienen am wenigsten, durchschnittlich 166 Euro pro Stunde. Je größer die Kanzlei, desto höher auch die Honorare. In Sozietäten mit sechs bis zehn Anwälten beträgt der durchschnittliche Stundensatz schon 217 Euro. Auch der Sitz der Kanzlei schlägt sich in den Honoraren nieder: Je höher die Einwohnerzahl ist, desto höher fallen die Stundensätze aus.

Der Verwaltungsaufwand ist oft enorm

Fachanwältin Pütz hat den Schritt in die Selbstständigkeit nicht bereut. Nur der Verwaltungsaufwand stört sie zwei Jahre nach der Gründung immer noch: „Ich hatte völlig unterschätzt, wie viel Zeit man zum Beispiel für die Buchhaltung aufwenden muss.“ Diese Arbeiten macht Pütz selbst. Eine Sekretärin oder Buchhalterin will sie sich noch nicht leisten. „Aber ich bin zuversichtlich, dass ich im kommenden Jahr jemanden einstellen kann“, sagt sie.

Pütz ist in guter Gesellschaft: Viele junge, selbstständige Anwälte unterschätzen den Aufwand, den die Verwaltung ihrer Kanzlei mit sich bringt. Das ist die Erfahrung von Rechtsanwaltskammer-Chef Degen. Welcher Jurist hat schon im Studium geübt, eine Akte anzulegen? Oder erklärt bekommen, dass er Klageschriften elektronisch zum Gericht schicken kann? In welchem Jura-Seminar wird IT-Sicherheit gelehrt oder das Anlegen einer elektronischen Anwaltssignatur?

„Im Bereich des Kanzleimanagements gibt es viele Defizite“, urteilt Degen. Seit einigen Jahren enthält das Studium zwar drei Intensivtage zum Thema Kanzleimanagement. „Das reicht aber längst nicht aus“, kritisiert Degen. Der Experte rät Kanzleigründern deshalb, einen berufsbegleitenden Studiengang zum Rechtsfachwirt zu belegen. Die juristischen Inhalte des Studiengangs sind für die Juristen nichts Neues. Dafür lernen sie hier aber Details über Kanzleimanagement und Buchhaltung – wichtiges Handwerkszeug für Selbstständige, die wie Veronica Pütz erst einmal kein Personal für diese Aufgaben einstellen wollen, um Kosten zu sparen.

Fortbildungen kosten Zeit und Geld

Die Fortbildung zum Rechtsfachwirt kann je nach Anbieter mehrere Tausend Euro kosten. So verlangt die Rechtsanwaltskammer Köln etwa 1500 Euro für ein Seminar. Und es hat nicht jeder Selbstständige Zeit, noch einmal zur Schule zu gehen – schließlich muss die Kanzlei ans Laufen gebracht werden.

In diesem Fall rät Degen: Bücher kaufen – über Buchhaltung, Kanzleimanagement, Personalmanagement und IT. Außerdem gibt es gedruckte Ratgeber von den Rechtsanwaltskammern und vom Deutschen Anwaltverein. Und wer sich in der Anfangszeit trotzdem unsicher fühlt, für den hält Degen einen Trost bereit: „Die Juristenausbildung in Deutschland ist eine der besten der Welt“, sagt er. „Aber unter drei Jahren Berufspraxis tut man sich immer schwer – egal in welchem Beruf.“

Porträt Michael Steinbach

Hätte er gewollt – Michael Steinbach wäre nach seinem JuraStudium in Bayreuth in einer großen Wirtschaftskanzlei durchgestartet. Angebote hatte der 31-Jährige genug. Kein Wunder bei seinen Qualifikationen: Prädikatsexamen, wirtschaftswissenschaftliche Zusatzausbildung, Uni-Zusatzkurs „English for Lawyers“. Aber: Wirtschaftskanzleien sind nicht spannend genug, entschied Steinbach – und ging direkt in die Wirtschaft. Heute ist er Syndikusanwalt, also Unternehmensjurist, beim Automobilzulieferer Brose in Coburg.

Während seines Referendariats hatte der gebürtige Freiburger dort bereits ein Praktikum gemacht. Weil es ihm gut gefiel, bewarb er sich, als nach seinem Uni-Abschluss ein Job in der Rechtsabteilung frei wurde. Und bekam den Job. „Was ich jetzt mache, ist viel abwechslungsreicher als die Arbeit in einer Großkanzlei“, sagt Steinbach. Denn Broses Juristen sind nicht streng jeweils auf ein einziges Rechtsgebiet abonniert. Jeder ist für alles zuständig: „In der Rechtsabteilung sind wir alle Generalisten“, sagt Steinbach.

Steinbachs Aufgabenbereiche sind vielschichtig

Ein wichtiger Teil seines Berufsalltags ist das Vertragsrecht. Er entwirft Verkaufsverträge, prüft Kaufverträge und verhandelt mit den Vertragspartnern. Auch wenn Brose ein Grundstück mietet, kauft oder verkauft, tritt Steinbach in Aktion. Er behält darüber hinaus die Versicherungspolicen im Auge, die der Autozulieferer abgeschlossen hat, erklärt Mitarbeitern bei Schulungen die Fallstricke der Produkthaftung und kümmert sich um rechtliche Fragen, die aufkommen, wenn ein Lieferant oder ein Kunde seines Arbeitgebers insolvent wird: Leitet der Geschäftsführer das Unternehmen noch, oder hat der Insolvenzverwalter diese Aufgabe bereits übernommen? Stehen noch Brose-Werkzeuge beim insolventen Lieferanten? Wie sieht das Insolvenzrecht im Heimatland des ausländischen Kunden aus? Eine seltene, aber spannende Aufgabe für Steinbach ist es schließlich, wenn Brose Teile anderer Firmen übernimmt. Das passierte zuletzt im April, als die Elektromotorensparte von Zulieferer-Konkurrent Conti in den Besitz von Brose überging.

Der junge Anwalt kommt in der Welt herum, denn Brose ist ein international tätiges Unternehmen und hat Standorte in 21 Ländern. Zuletzt war Steinbach im schwedischen Göteborg, um sich dort mit anderen Brose-Mitarbeitern zu treffen. „Urlaub ist das natürlich nicht“, betont er. „Aber abends geht man schon mal mit den ausländischen Kollegen etwas essen. Es ist schön, sie auf diesem Weg persönlich kennenzulernen.“

Steinbach treibt es ins Ausland

Gut für Steinbach, dass er den fachspezifischen Englischkurs absolviert hat, sonst würde womöglich ein Kollege die Auslandstouren übernehmen. Dabei gefällt es Steinbach im Ausland so gut, dass er gern einmal länger fortbleiben würde: Er kann sich gut vorstellen, ein bis zwei Jahre von einem Auslandsstandort aus für die Brose-Rechtsabteilung in Coburg zu arbeiten.

In Deutschland ist er bis dahin nicht unglücklich. In der Zentrale des Autozulieferers gibt es neben ihm nur zwei andere Anwälte, die Hierarchien sind flach, die Arbeitszeiten flexibel. Steinbach ist froh darüber, sich im Studium richtig angestrengt zu haben, so dass es zum Prädikatsexamen reichte. „Das erleichtert den Einstieg in den Job enorm“, sagt er. Ohne seinen exzellenten Abschluss, ist er sich sicher, hätte ihn kein Unternehmen so schnell eingestellt.

Porträt Yvonne Lask

Wenn Yvonne Lask aus ihrem Alltag berichtet, klingt das ein bisschen nach einer dieser Anwaltsserien, die nachmittags im Privatfernsehen laufen. Die 28-jährige Staatsanwältin beschattet zwar keine Verdächtigen, und sie befragt auch keine zwielichtigen Gestalten in schummrigen Etablissements. Zeugen ruft sie vom Büro aus an. Sie sitzt aber mitnichten den ganzen Tag hinter Aktenbergen. Staatsanwälte ermitteln auch selbst – und so ist Lask etwa einmal im Monat dabei, wenn die Polizei auf ihre Initiative hin eine Wohnung durchsucht. Bisher ist noch kein Verdächtiger aggressiv oder gewalttätig geworden. Doch um sich sicherer zu fühlen, hat Lask immer eine gebundene Ausgabe der Strafprozessordnung dabei. So kann sie im Zweifelsfall schnell Paragrafen nachschlagen. „Mit dem Gesetz fühle ich mich gut gerüstet“, sagt Lask.

Zusammenhänge erkennen

Das Rüstzeug für ihren Job bekam die gebürtige Dresdnerin beim Jurastudium in Leipzig vermittelt. „Ich fand Jura schon immer interessant“, sagt sie. Bereut hat sie ihre Wahl nie. „Es geht gar nicht so sehr ums Auswendiglernen, wie viele meinen“, verteidigt Lask das oft als staubtrocken verschriene Studium. „Es geht vielmehr darum, Zusammenhänge zu erkennen.“ Als sie 2008 ihr Zweites Staatsexamen bestanden hatte, wusste sie genau, wie es weitergehen sollte: „Ich wollte Richterin werden, um Gerechtigkeit durchzusetzen und einen Dienst an der Gesellschaft zu leisten“, sagt sie. Am liebsten Zivilrichterin. Die Voraussetzung für den Staatsdienst, zwei Prädikatsexamen, erfüllte sie.

Lask bewarb sich also als Richterin auf Probe beim Justizministerium, wurde angenommen und zunächst für drei Probejahre der Staatsanwaltschaft zugewiesen. Wechsel zwischen Gerichten und der Staatsanwaltschaft sind in Sachsen üblich. Nachdem sich Lask die ersten zwei Monate mit leichten bis mittelschweren Delikten wie Beleidigung und Diebstahl beschäftigt hatte, kam sie in eine Spezialabteilung, in der sie bis heute arbeitet. Hier sind die Fälle gewichtiger: Es geht einerseits um Verfahren gegen Justizbedienstete, die sich zum Beispiel der Rechtsbeugung oder der Untreue schuldig gemacht haben. Andererseits bringt die Abteilung politisch motivierte Delikte zur Anklage – wie Hakenkreuz-Schmierereien.

Bevor ihre Probezeit abgeschlossen ist, würde Yvonne Lask gern noch den Richterjob, ihr ursprüngliches Traumziel, ausprobieren. Auch wenn es ihr bei der Staatsanwaltschaft mittlerweile sehr gut gefällt. Ob sie nach ihrer Probezeit als Richterin oder Staatsanwältin arbeiten wird, weiß sie noch nicht. Diese Entscheidung hängt auch davon ab, in welchem Bereich der Staat mehr Personal braucht. Lask hat sich vorgenommen, in jedem Fall flexibel zu bleiben und eventuell auch einmal zwischen den beiden Berufen zu wechseln. „Es wäre schade, die nächsten 40 Jahre nur ein Rechtsgebiet zu bearbeiten“, sagt sie.

Der Staatsdienst ist ein sicherer Job

Hauptsache Staatsdienst – denn da fühlt sich Lask einfach am wohlsten. „Man kann selbstbestimmt arbeiten und sich seine Zeit meist selbst einteilen“, schwärmt sie. Die Bezahlung sei zwar nicht hervorragend, aber der Job dafür sehr sicher. In einer erstklassigen Rechtsanwaltskanzlei hätte Lask sicher mehr Geld verdient. Trotzdem ist sie froh, die Jobangebote von Großkanzleien ausgeschlagen zu haben.

Um die Auswahl zwischen mehreren Karrierewegen zu haben, rät Lask Jurastudenten, sich mit aller Energie um ein Prädikatsexamen zu bemühen. „Das ist nicht einfach, aber die Mühe wert“, sagt sie. „Danach kann man sich seinen Job aussuchen.“