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• Viele Reden sind unverständlich, weil Sätze zu lang und Worte abstrakt sind.
• Große Stilmängel – auch erfahrene Manager fallen durch.
• Sieger feilt selbst so lange am Text, bis die Rede sitzt.
Statt Klartext sprechen Deutschlands Topmanager auf den Jahreshauptversammlungen der Aktionäre von "Nettofinanzschulden", "diversifizierten Industriekonzepten" und "Desinvestitionsprogrammen".
"Diese Vorstandsvorsitzenden verspielen ihre Chance, die allgemeine Öffentlichkeit zu überzeugen. Sie konzentrieren sich in ihrer Ansprache zu sehr auf die Analysten und Wirtschaftsjournalisten", sagt Frank Brettschneider.
Hauptversammlungs-Kauderwelsch
Er ist Leiter des Fachgebiets Kommunikationstheorie an der Uni Hohenheim. Der Sprachwissenschaftler hat exklusiv für das Handelsblatt die Reden aller 30 Dax-Konzernchefs auf ihren diesjährigen Hauptversammlungen auf Verständlichkeit analysiert.
Sein ernüchterndes Fazit: Konzernlenker bedeutet keineswegs Spitzen-Rhetoriker, der Aktionäre gekonnt informiert, idealerweise sogar überzeugt und mitreißt.
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Ganz im Gegenteil. Insgesamt neun der Dax-30-Chefs schneiden in Sachen "Verständlichkeit" sehr schlecht ab.
Auf dem letzten Platz landete Wolfgang Reitzle.
Schon nach wenigen Minuten kamen etliche der anwesenden Aktionäre auf der Hauptversammlung der Linde AG nicht mehr so richtig mit. Sie hatten Mühe, den Worten des Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Reitzle zu folgen.
Was zum einen daran lag, dass Reitzle bei seiner 34-minütigen Rede im Münchener Congress Center sehr schnell sprach. Vor allem aber bildete er viele lange und verschachtelte Sätze.
Zuhörer verlieren Überblick
Jeder fünfte Satz war länger als 20 Wörter. Zum Vergleich: In verständlichen Radionachrichten haben Sätze nicht mehr als sieben Wörter. In einem Fall reihte Reitzle sogar 48 Wörter aneinander.
Und die meisten davon auch noch abstrakt und schwer verständlich wie "dynamischer Verschuldungsgrad" oder "ertragsorientierte Dividendenpolitik", so dass die Zuhörer manchmal nicht mehr so genau wussten, was der Vorstandsvorsitzende denn genau ausdrücken wollte.
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Da halfen auch die insgesamt 127 Powerpoint-Einblendungen auf der Großleinwand hinter dem Redner nicht. Nicht überraschend also, dass der Redner Reitzle beim "Fass-dich-Kurz-Index" null Punkte erzielte.
"Dieser ist aber besonders wichtig, um Zuhörer nicht mit Informationen zu überfordern", sagt Frank Brettschneider.
Ob Abschiedsreden wie von Josef Ackermann oder Jürgen Großmann, Premieren wie die des neuen Metro-Lenkers Olaf Koch und des neuen Thyssen-Krupp-Chefs Heinrich Hiesinger oder Blut-Schweiß-und-Tränen-Ansprachen, wie sie Commerzbank-Vorstand Martin Blessing halten musste – stets ist die Wortwahl zu schwülstig, der Satzbau zu kompliziert und der Anteil von Fremdwörtern und Fachjargon zu hoch.
Zu viele Fremdwörter und Fachjargon
Das ergab die Analyse durch ein spezielles Computerprogramm der Hohenheimer Wissenschaftler. Es untersuchte Satzbau, Fremdwortanteil, Abstraktheitsgrad sowie Wort- und Satzlänge und ordnete dann jede Rede auf einer Verständlichkeitsskala ein.
Diese reicht von null – der Vortrag ist etwa so unverständlich für den Durchschnittsbürger wie eine Doktorarbeit – bis zehn – dem besonders hohen Verständlichkeitsgrad von Radionachrichten.
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Diese "A-Note" bewertet also ähnlich wie im Tanzsport die "Pflichtdarbietung" der Redner. Außerdem hat Kommunikationswissenschaftler Brettschneider eine Checkliste entwickelt, mit der sich die stilistische Leistung der Manager bewerten lässt.
In Sachen "Kür" können die Redner in zwei Teilbereichen "Relevanz und Aufbau" sowie "Präsentationsform" insgesamt 100 Punkte für ihre "B-Note" holen.
Doch auch bei der Kür patzte der Großteil der 30 Topmanager: Die meisten Chefs kleben an ihrem Manuskript und klammern sich nervös ans Pult.
Emotionen Fehlanzeige
Sogar Rekordzahlen, wie sie Martin Winterkorn seinen VW-Aktionären mitteilen konnte, werden vorgetragen, ohne eine Miene zu verziehen.
Matthias Pöhm, einer der bekanntesten Rhetorik-Trainer, bemängelt an den Auftritten der deutschen Topmanager: "Statt Spannung zu erzeugen, lesen sie sogar teilweise noch die eingeblendeten Powerpoint-Folien vor. Das ist Langeweile pur."
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Doch welcher Vorstandsvorsitzende der Dax-30-Unternehmen, von Ackermann bis Zetsche, reicht an Bühnenlegenden wie Apples verstorbenen Chef Steve Jobs heran, der nur mit einem iPad in der Hand sein Publikum zu faszinieren verstand?
Oder wer ist so unterhaltsam wie die amerikanische Investment-Legende Warren Buffett, der die Aktionäre vor der Hauptversammlung seiner Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway mit Filmszenen aus dem Kinohit "Wall Street" mit Hollywood-Star Michael Douglas in der Rolle des habgierigen Investors Gordon Gekko begrüßt?
Erstmals in der Geschichte der Hauptversammlungen gibt unser neues "CEO Rhetorik-Ranking" eine detaillierte Einschätzung.
René Obermann hat den Dreh raus
Führte zur Halbzeit nach den ersten 15 Hauptversammlungen noch Daimler-Chef Dieter Zetsche mit insgesamt mittelmäßigen Werten bei Pflicht und Kür, heißt die Nummer eins im Gesamtklassement 2012: René Obermann.
Der Telekom-Chef servierte seinem Publikum in der Kölner Lanxess-Arena die wenigsten Worthülsen, vergraulte es nicht mit Fachjargon und überforderte seine Zuhörer auch nicht mit Bandwurmsätzen.
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Im Gegenteil: Der 49-Jährige hielt seinen Vortrag kurz und knackig. Er sprach klar, seine Stimme nahm aber an Schärfe zu, als er die Folgen der staatlichen Regulierung kritisierte.
Über die Investitionen in Glasfasernetze sagte er: "Kein Vermieter baut ein Haus, wenn die Gefahr besteht, dass im Nachhinein Behörden die Mieten festlegen."
So ähnlich sei das mit den Netzen. Ein anschaulicher Vergleich, den jeder im Publikum verstand. Der gelernte Industriekaufmann lächelte und gestikulierte während seines lockeren und natürlichen Vortrags, bei dem er zuvor persönlich für den Feinschliff gesorgt hatte.
Persönlicher Feinschliff
"Texte müssen leicht zu sprechen sein. Wenn ich beim Durchlesen hängen bleibe, stimmt etwas nicht", sagt der Telekom-Chef über seine Vorbereitung auf das wichtigste Ereignis des Jahres.
Gemeinsam mit zwei internen Spezialisten erarbeitet er seine Hauptversammlungsrede und probt sie ausführlich. "Ich achte strikt auf eine klare, einfache Sprache, vermeide Anglizismen und erläutere Fachbegriffe, die sich dem Zuhörer nicht direkt erschließen."
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Obermann weiß, wie er sein Publikum auf seine Seite zieht. Sein jugendlicher Charme hilft ihm dabei. Er thematisierte aber auch den niedrigen Aktienkurs.
Er sei ja selbst Telekom-Aktionär und spüre die Kursentwicklung im eigenen Portemonnaie. "Glauben Sie mir, dass auch ich mit dem Kurs nicht zufrieden bin", warb er um Verständnis.
Und schließlich räumte er Fehler ein: "Ich weiß, dass noch nicht alles perfekt läuft." Dieser Stil kommt an. So erreichte er 7,2 Punkte in der A-Note beziehungsweise 85 Punkte in der B-Note. Frank Brettschneiders Fazit: "Das ist schon richtig gut."
Zu viel Routine
Mit Abstand folgen auf den Plätzen zwei und drei des aktuellen Rhetorik-Rankings Norbert Reithofer von BMW und Infineon-Chef Peter Bauer. Der Großteil der Vorstandsvorsitzenden dagegen ist rhetorisch betrachtet lediglich Mittelmaß.
Und das, obwohl für viele von ihnen das Sprechen vor Publikum zum Tagesgeschäft gehört. Diese Regelmäßigkeit an sich sollte schon ein gewisses Training darstellen. "Doch Routine heißt eben nicht automatisch Qualität", weiß René Obermann.
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Das zeigte sich ganz deutlich am Auftritt von Josef Ackermann, der die Gelegenheit nutzte, auf seine zehn Jahre als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank zurückzublicken.
Doch nach der Präsentation der wichtigsten Konzernzahlen fehlte seiner letzten Rede vor den Aktionären der logische Aufbau.
Von der erfolgreichen Bewältigung der Finanzkrise mit dem pathetischen Satz "Ihre Bank hat immer zu Deutschland gestanden" wechselte er zum Beispiel zusammenhanglos zum verbreiteten ehrenamtlichen Engagement seiner Mitarbeiter.
Klare Bezüge
Zwei davon, die im Publikum saßen und sich für bessere Lebensbedingungen von Slum-Bewohnern einsetzen, hieß er sogar aufstehen.
Das wirkte angesichts der ebenfalls erwähnten Kritik, die Bank begünstige durch ihre Milliardengeschäfte den Hunger in der Welt, irritierend.
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Danach sprang Ackermann zum guten Fortschritt in puncto Frauen in Führungspositionen, blieb aber ebenso wie beim Thema "Rechtsstreitigkeiten der Bank" konkrete Information schuldig.
Immer wieder schielte Ackermann links auf einen von mehreren Telepromptern, auf denen ihm seine Rede eingeblendet wurde.
Eigentlich ein sinnvolles Hilfsmittel, um intensiveren Kontakt mit dem Publikum zu erzeugen, als nur ab und zu vom Manuskript auf dem Pult aufzuschauen. In Ackermanns Fall jedoch wirkte der kurze Seitenblick verlegen.
Schlechte Darbietung
So schnitt der routinierte Redner insgesamt in Sachen Darbietung schlecht ab. Gerade mal 53 Punkte waren für ihn drin.
Ebenso wie bei den Newcomern Olaf Koch und Heinrich Hiesinger, aber auch für Siemens-Chef Peter Löscher lautet die B-Note dementsprechend: "Der Stil weist deutliche Mängel auf."
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Im Mittelfeld dagegen platzierte sich das SAP-Führungsduo, das sich die Aufgabe teilte, die Anteilseigner über Zahlen und Strategie zu informieren.
Das interne Rededuell des Dänen Jim Hagemann Snabe und des Amerikaners Bill McDermott endete zwar unentschieden.
Beide gemeinsam widerlegten jedoch die These, dass deutsche Muttersprachler beim Auftritt vor der Hauptversammlung ihren ausländischen Kollegen überlegen seien.
Auf die Länge kommt es nicht an
Die längste Rede mit insgesamt 8134 Wörtern lieferte übrigens der jüngste Chef: Bei seinem ersten Auftritt am Mikrofon sprach der neue Metro-Vorstandsvorsitzende Olaf Koch 75 Minuten – viel zu lang für die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne.
Die kürzeste Ansprache dagegen bot Fresenius-Chef Ulf Schneider mit gerade mal 2 333 Wörtern. Der hielt sich damit zwar teilweise an das Rhetorik-Rezept Winston Churchills – und fasste sich kurz.
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Der britische Premierminister hatte einst mit einem Augenzwinkern gesagt: "Eine gute Rede besteht aus einem interessanten Anfang und einem wirkungsvollen Schluss – der Abstand dazwischen sollte möglichst gering gehalten werden."
Allerdings widerlegte Ulf Schneider gleichzeitig eine wichtige Grundannahme der Hohenheimer Sprachtheoretiker. Sie besagt: Je kürzer eine Rede, umso verständlicher ist sie auch. Mitnichten.
Wie viele andere Anteilseigner der Dax-30-Riege blieben auch die Fresenius-Aktionäre vor lauter abstrakten Formulierungen, Fremdwörtern und Schachtelsätzen an so mancher Stelle über Wohl und Wehe ihres Unternehmens ratlos zurück.
Rang | A-Note: | B-Note: | C-Note: | |
1 | Rene Obermann Deutsche Telekom | 7,2 /10 | 85 /100 | 5,72 /10 |
2 | Norbert Reithofer BMW | 6,5 /10 | 75 /100 | 10 /10 |
3 | Peter Bauer Infineon | 5,9 /10 | 72 /100 | 8,16 /10 |
4 | Dieter Zetsche Daimler | 5,8 /10 | 65 /100 | 4,88 /10 |
5 | Jürgen Großmann RWE | 5,7 /10 | 65 /100 | 4,27 /10 |
6 | Peter Löscher Siemens | 5,7 /10 | 52 /100 | 5,98 /10 |
7 | Martin Winterkorn Volkswagen | 5,5 /10 | 86 /100 | 7,34 /10 |
8 | Georg Pachta-Reyhofen MAN | 4,9 /10 | 71 /100 | 2,74 /10 |
9 | Karl-Ludwig Kley Merck | 4,9 /10 | 61 /100 | 5,31 /10 |
10 | Josef Ackermann Deutsche Bank | 4,9 /10 | 53 /100 | 1,72 /10 |
11 | Christoph Franz Lufthansa | 4,8 /10 | 73 /100 | 4,12 /10 |
12 | Johannes Teyssen Eon | 4,3 /10 | 75 /100 | 0 /10 |
13 | Marijn Dekkers Bayer | 4,0 /10 | 86 /100 | 2,33 /10 |
14 | Heinrich Hiesinger ThyssenKrupp | 4,0 /10 | 50 /100 | 0,61 /10 |
15 | Jim Hagemann Snabe SAP (Doppelspitze) | 3,8 /10 | 83 /100 | 2,38 /10 |
16 | Nikolaus von Bomhard Munich Re | 3,6 /10 | 63 /100 | 0 /10 |
17 | Norbert Steiner K+S | 3,2 /10 | 61 /100 | 0 /10 |
18 | Kurt Bock BASF | 3,2 /10 | 59 /100 | 0,36 /10 |
19 | Bill McDermott SAP (Doppelspitze) | 3,1 /10 | 77 /100 | 0,47 /10 |
20 | Kasper Rorsted Henkel | 3,1 /10 | 75 /100 | 0 /10 |
21 | Thomas Quaas Beiersdorf | 3,0 /10 | 70 /100 | 0 /10 |
22 | Herbert Hainer Adidas | 2,8 /10 | 79 /100 | 0 /10 |
23 | Reto Francioni Deutsche Börse | 2,6 /10 | 62 /100 | 0 /10 |
24 | Martin Blessing Commerzbank | 2,0 /10 | 68 /100 | 0 /10 |
25 | Ben Lipps Fresenius Medical Care | 2,0 /10 | 68 /100 | 0 /10 |
26 | Michael Diekmann Allianz | 1,9 /10 | 60 /100 | 0 /10 |
27 | Frank Appel Deutsche Post | 1,8 /10 | 76 /100 | 0 /10 |
28 | Olaf Koch Metro | 1,3 /10 | 51 /100 | 0 /10 |
29 | Ulf Schneider Fresenius SE | 1,1 /10 | 67 /100 | 0 /10 |
30 | Wolfgang Reitzle Linde | 1,0 /10 | 60 /100 | 0 /10 |
Quellen: Uni Hohenheim, Handelsblatt
A-Note (Verständlichkeitsgrad):
0 Punkte = unverständlich 10 Punkte = sehr verständlich
B-Note (Stil):
93 bis 100 Punkte = hervorragend
76 bis 92 Punkte = überdurchschnittlich
59 bis 75 Punkte = genügt durchschnittlichen Anforderungen
50 bis 58 Punkte = weist deutliche Mängel auf
unter 50 Punkte = genügt wegen erheblicher Mängel den Anforderungen nicht
FDK-Index (Fass-Dich-Kurz-Index):
0 Punkte = umständlich, schwülstig 10 Punkte = kurz und präzise